Nun wurde von den Klerikern die zeitweilige Askese (griech. askesis = Verzicht) als Verzicht auf Essen und Trinken, auf Schlaf und Sexualität auch den Laienchristen empfohlen. Die Theologen verfassten Schriften über die »Jungfräulichkeit« (De virginitate), in denen sie ausführten, dass die asketischen Männer und Frauen dem Göttlichen näher seien als die verheirateten und sexuell aktiven Christen. Gewiss war Jesus von Nazaret durch den Asketen und Täufer Johannes in seine Berufung eingeführt worden, doch Jesus lebte nach dem Zeugnis der Evangelien nicht asketisch. Er aß und trank reichlich und ließ sich von Frauen in der Öffentlichkeit salben und zärtlich berühren.
Wenn man der gängigen, aber gar nicht so unproblematischen Deutung des archäologischen Befundes am Toten Meer trauen darf, hatte sich im Judentum schon 150 Jahre vor Jesus in Qumran eine Gemeinschaft gebildet, in der ein Teil der Mitglieder unverheiratet und asketisch lebte. Diese Gemeinschaft soll ihre Lebensweise als Protest gegen die griechische Kultur im Land und gegen den Hohenpriester aus der Sippe der Hasmonäer verstanden haben. Bildete Qumran tatsächlich eine Frühform von klösterlichen Gemeinschaften, bildet diese einen Vorläufer zu der Lebensform, die im 2. Jahrhundert n. Chr. auch Jesusjünger und Christen in Syrien, Palästina und Ägypten wählten? Einige von ihnen lebten allein als Asketen (monachoi = Einzelne = Mönche), andere lebten in Gruppen zusammen (koinoi = Gemeinsame, bios = Leben, daher Koinobiten oder Zönobiten, Gemeinsam Lebende oder Zusammenlebende). Sie alle aber wollten das Evangelium Jesu in besonderer Weise verwirklichen.
Aus diesen frühen asketischen Gruppen und Gemeinschaften entwickelten sich später die verschiedenen kirchlichen Orden. Die Namen der frühen Gründer sind uns nur zum Teil bekannt, doch gerade die späteren Gründer werden von diesen Lebensgemeinschaften hoch geschätzt und verehrt. In diesem Buch sollen die wichtigsten Ordensgründer in den verschiedenen Zeitabschnitten der Kirchen übersichtlich dargestellt werden. Dabei wird auf das kulturelle Umfeld geachtet, in dem die verschiedenen Orden und religiösen Gemeinschaften entstanden sind und in dem sie ihre segensreichen Tätigkeiten ausgeführt haben.
1. »NEUES IM OSTEN« – VON EREMITEN, ANACHORETEN UND KOINOBITEN
Zur Entstehung des christlichen Mönchtums
Die Anfänge des eigentlichen christlichen Mönchtums liegen in der Wüste. In Syrien und Palästina entstanden im 3. Jahrhundert in unwirtlichen Gegenden und Einöden die ersten geistlichen Gemeinschaften, die das christliche Mönchtum begründeten. Doch war dies keine christliche Neuerfindung, wie sich mit Blick sowohl auf zeitgenössische jüdische als auch griechische Einrichtungen vergleichbarer Art zeigt. Zudem gab es selbst im Christentum schon früher asketische Bewegungen, deren Prinzipien und Ideale im Unterschied zu den so genannten Wüstenvätern aber nicht weiterwirkten.
So beschrieb der jüdische Philosoph Philo von Alexandria im 1. Jahrhundert n. Chr. eine asketisch ausgerichtete christliche Gruppe der »Therapeuten« in Ägypten. Ihre Mitglieder lasen regelmäßig die Heiligen Schriften der griechischen Bibel (Septuaginta), verfassten Gesänge und Hymnen an Gott und Jesus Christus und lebten in Meditation. Sie verzichteten auf Sexualität und Fleischgenuss, tranken keinen Wein und lebten vegetarisch. Bei ihren gemeinsamen Mahlzeiten verharrten sie im Schweigen, danach lasen und meditierten sie die Texte der Heiligen Schriften.1
Ab dem 2. und 3. Jahrhundert sind uns christliche Briefe über die »Jungfräulichkeit« überliefert, die aus Syrien und Palästina stammen. Darin ist von asketischen Gruppen die Rede, die in ihrer Lebensform noch den frühchristlichen Wanderlehrern glichen. Sie zogen von Dorf zu Dorf und predigten das Evangelium von Jesus Christus, sprachen außerdem Fürbitten für die Bewohner und heilten die Kranken. In diesen Kreisen hatte sich eine Ethik der zwei Vollkommenheitsstufen gebildet. Die erste und niedere Stufe bildeten die verheirateten Laienchristen, welche Kinder groß zogen und in den verschiedensten Berufen arbeiteten. Die zweite und höhere Stufe bildeten die asketischen Männer und Frauen, die um des »Himmelreiches« willen ihre Sippen und Familien verließen.
Das engelsgleiche Leben
Bald wurde diese asketische Lebensform das »engelgleiche Leben« genannt, weil gelehrt und geglaubt wurde, dass die Engel als Geistwesen ganz ohne Sexualität lebten. Diese asketischen Gruppen hießen die Enkratiten (griech. enkrateia = Enthaltsamkeit), denn sie verzichteten auf Ehe und Familie, zeugten und gebaren keine Kinder und verweigerten die Weitergabe des Lebens. Wahrscheinlich war mit dieser asketischen Lebensform auch ein Protest gegen die als ungerecht empfundene Lebenswelt der antiken und spätantiken Kultur verbunden. Für die Enkratiten war die Sexualität zwischen Männern und Frauen eine Folge des »Sündenfalls«, da im Paradies – so las man die Texte in Gen 1-4, wo erst nach der Vertreibung aus dem Paradies von der Zeugung der ersten Menschenkinder, Kain und Abel, berichtet wird – Adam und Eva sexuell enthaltsam gelebt hätten.
In ihren Schriften, z. B. in den so genannten Thomasakten, warnten diese Asketen vor den Gefahren der Sexualität, denn sie sei immer mit dem Wirken böser Dämonen verbunden. Diese leibfeindlichen Christen rieten vom Erleben der Sexualität, von Ehe und Familie und von der Kinderzeugung ab. Mit ihrer Lebensform unterbrachen sie die Weitergabe von Leben bzw. überließen diese anderen Mitchristen. Gegen diese asketischen Gruppen mussten viele Theologen in der Folge die Notwendigkeit und Heiligkeit der Ehe betonen, denn hätte sich der Enkratismus zur allgemeinen christlichen Lebensform entwickelt, wären die Christen – dies zu Ende gedacht – letztlich ausgestorben. Doch auch in den entstehenden Großkirchen gab es eine hohe Wertschätzung der ehelosen Lebensform, was viele Schriften der Theologen und Kirchenväter zeigen. Auch sie lehrten, dass ehelose Männer und Frauen näher bei Gott und Christus seien als verheiratete Laienchristen.2
Im syrischen Christentum waren wandernde Einzelasketen sehr angesehen. Sie erhielten von den sesshaften Mitchristen durchaus Unterstützung und wurden mit Kleidung und Nahrung versorgt. Sie spendeten den Laienchristen den göttlichen Segen und konnten viele Krankheiten heilen. Jene Wanderasketen aber standen schon früh in einem Gegensatz zu den Bischöfen in den christlichen Gemeinden. So schrieb Johannes Cassianus, der Wandermönch müsse den Kontakt mit den Bischöfen und mit den Frauen meiden. Viele dieser Asketen standen eine Zeitlang auf Steinsäulen, um göttlichen Segen auf die Menschen herabzuflehen. Die Menschen pilgerten zu ihnen, um die Vergebung ihrer Sünden oder die Heilung von Krankheiten zu erbitten.
Erste Wohngemeinschaften
Andere Asketen wie Antonios von Ägypten lebten dagegen bald in Wohngemeinschaften zusammen. Sie zogen in die Wüste oder an den Rand der Wüste, errichteten dort regelrechte Asketendörfer, die untereinander in Beziehung lebten, und waren davon überzeugt, durch die asketische Lebensform das Bürgerrecht im »Reich Gottes« zu bekommen. Zuerst waren es vor allem Männer, die solche asketische Gemeinschaften bildeten, doch schon früh sind auch weibliche Asketinnen bekannt und Gemeinschaften von gottgeweihten Jungfrauen entstanden. In den Städten und größeren Siedlungen gab es schon seit langem Wohngemeinschaften von nicht verheirateten Frauen, die bei Familien oder Sippen wohnten. Diese Häuser der gottgeweihten Jungfrauen standen unter der besonderen Aufsicht der Bischöfe, die für ihren ehrenwerten Ruf zu sorgen hatten. Wie beliebt diese Häuser waren, zeigt sich am Beispiel der Schwester des Theologen Gregorios von Nyssa. Sie beschloss im Jahr 339, im Alter von gerade einmal zwölf Jahren, allein zu leben und nicht zu heiraten. So gründete sie eine Lebensgemeinschaft von Jungfrauen, die in Jesus Christus ihren »Bräutigam« sahen.
Zu Beginn des 4. Jahrhunderts bildete der Asket Pachomios in Tabenissi (ägypt. Hain der Isis) in Oberägypten eine Gemeinschaft