»Wo ist das Gefängnis?«
In den Moment der absoluten Stille hinein schnitt eine harte, metallische Stimme; sie kam drüben von der wartenden Postkutsche her.
»Du solltest lieber fragen: Wo ist der Sheriff?«
Geg warf den Kopf herum und sah drüben in zwanzig Yards Entfernung den Kopf und die Schultern des Postfahrers.
»Was willst du, Staubschlucker?« krächzte er.
»Reiß das Maul nicht so auf, Peshaur!« rief Wyatt kalt zurück.
»He!« Wieder stieß der Cowboy den Zahnlückenpfiff aus. »Der Rumpelkisten-Jonny kennt mich! Das ist schon besser!«
In diesem Augenblick beging der Bürgermeister in seiner Unbedachtsamkeit einen ziemlich großen Fehler. Er trat einen halben Schritt vor und brüllte:
»Verschwinden Sie jetzt, Mann. Wir haben genug an Ben Thompson!«
Geg Peshaur riß blindwütig den Colt hoch und wollte ihn dem Major auf den Schädel schmettern.
Da peitschte ein Schuß auf, und der schwere Revolver mit den beiden silbernen Andreaskreuzen wurde dem Cowboy aus der Hand gerissen.
Der Schuß war von der Overland-Kutsche gekommen.
Peshaur und seine Freunde starrten verblüfft zu dem Schützen hinüber.
Da rief der Postfahrer: »Du hast verdammt schlechte Manieren, Peshaur! Die hättest du besser unten in Texas gelassen.«
Aus dem Gesicht des Cowboys war plötzlich alle Farbe gewichen. Er stieß mit einem blitzschnellen Ruck seine Rechte zum Colt, riß die Waffe heraus – und mußte erleben, daß ein zweiter Schuß vom Kutschbock der Overland her ihm auch diese Waffe aus der Hand riß.
Peshaur spreizte die Hände, hob sie an und brüllte plötzlich wie ein waidwund geschossenes Tier:
»Du verdammter Skunk! Du elender Staubfresser…«
Die Cowboys blickten in stummer Anspannnung zu dem Mann auf dem Kutschbock hinüber.
Der stieg jetzt vom Wagen und kam langsam zurück, auf den Vorbau zu.
Die Cowboys starrten ihn mit harten Augen an.
Aber niemand rührte sich.
Wyatt Earp hatte keine Waffe in der Hand. Er würde jetzt in der nächsten Minute das tun, was er in seinem ganzen weiteren Leben tun sollte und was vielleicht auch der Grundtick seines Erfolges war: Er ging langsam die Vorbautreppe hinauf und hielt dem Mayor die Rechte hin.
Diesmal kapierte Miller: Er nahm den Blechstern aus der Tasche und reichte ihn dem Postfahrer.
Wyatt heftete den Fünfzack an seine staubige Weste; dann wandte er sich um und legte Peshaur die Rechte auf die Schulter. »Sie sind festgenommen!« Er zog den Cowboy vorwärts und schob ihn ins Sheriff Office.
Auch George Peshaur kam erst zu Verstand, als er in der Zelle saß und nebenan Ben Thompson gewahrte. Er rannte in wildem Zorn nach vorn, zerrte an den Gitterstäben und fauchte wie ein Bergpuma.
»Was soll das heißen? Laß mich sofort hier raus!«
Wyatt hatte längst abgeschlossen, blickte ihn kalt an und meinte:
»Keine Kraftvergeudung, Peshaur. Du sitzt hier wegen Bedrohung und Beleidigung des Mayors von Ellsworth.«
Der Bürgermeister und die anderen Leute hatten es angesichts der großen Reiterschar nicht gewagt, Wyatt mit dem Gefangenen ins Office zu folgen. Wie gebannt starrten sie auf die Cowboys. Was würde geschehen? Nie und nimmer konnten die Reiter das hinnehmen.
Aber die Männer von Ellsworth mußten erleben, daß die Cowboys ebenso erstarrt waren wie sie selber. Sie erlebten gemeinsam zum erstenmal etwas von der seltsamen Macht, die dieser Wyatt Earp ausstrahlte.
Ehe der erste der Cowboys sich wieder gefaßt hatte, stand der Postfahrer schon vorn auf dem Vorbau. Er hatte die Beine gespreizt und die Arme vor der Brust verschränkt. Hochaufgerichtet stand er da und blickte zu den Reitern hinüber.
Der tief in die Stirn gezogene breitrandige Hut warf einen harten dunklen Schatten auf sein eckiges Gesicht. Und dennoch sahen die Männer seine Augen. Ein Augenpaar, in dessen Tiefen es eiskalt und kristallen schimmerte. Irgend etwas Besonderes war in diesen Augen; niemand konnte sagen, was es war.
Jetzt öffneten sich Wyatts Lippen, und eine Doppelreihe blendendweißer Zähne blitzten in der Sonne.
»Hat noch jemand etwas zu sagen?« fragte er nicht einmal sonderlich laut.
Nein, es hatte niemand mehr etwas zu sagen.
Und auch er selbst war kein Mann vieler Worte.
Er wandte sich um, nestelte den Blechstern von der Brust und reichte ihn dem Mayor zurück. Dann ging er mit harten sporenklirrenden Schritten über die Vorbautreppe auf die Straße. Er dachte gar nicht daran, sich auch nur einmal umzuwenden. Er hielt auf die Postkutsche zu, hatte schon die Hand nach dem Eisenring des Vorderrades ausgestreckt, als ihn eine schrille Stimme aufhielt.
Ein junger Mann mit blondem Haar, kantigem wettergrauem Gesicht, aus dem ein bernsteinfarbenes Augenpaar glühte, hatte sich vom Pferd geschwungen und stand jetzt breitbeinig mitten auf der Straße. Er schoß so schnell, daß es niemanden auf der heißen Mainstreet der kleinen Kansasstadt Ellsworth gab, der auch nur einen Cent für das Leben des Postfahrers gegeben hätte.
Wyatt Earp lag auf der Erde. Aber mit dem Kopf den Reitern zugewandt. Unter dem Hutrand funkelten seine Augen hervor.
In der Linken hielt er einen seiner beiden Colts, aus dessen Mündung ein dünner gekräuselter Rauchfaden kroch.
Der Cowboy drüben stand wie erstarrt; dann fiel ihm der Colt aus der Hand.
Der Mann knickte in die Knie und schlug hart mit dem Gesicht in den Staub der Straße.
Langsam stand Wyatt auf, nahm den Hut ab, klopfte sich den Staub aus den Kleidern.
Erst jetzt wich der Bann von den Männern.
Damned! Was war eigentlich geschehen?
Der Cowboy war vom Pferd gesprungen und hatte »Heh!« gebrüllt, und dann hatte er sofort geschossen.
Gedankenschnell war der Mann aus Missouri herumgefahren, hatte sich gleichzeitig in einer halben Pirouette zu Boden fallen lassen und geschossen. Und die Kugel, die er auf die Reise geschickt hatte, war dem zwanzigjährigen Cowboy Rory Calleger oberhalb des Herzens in die Brust gedrungen.
Wyatt blieb vor dem Gestürzten stehen. Er hatte den Colt längst wieder in das Halfter zurückgleiten lassen. Unendlich langsam hob er den Blick.
Aber diesmal gab es wirklich niemanden mehr, der noch etwas von ihm wollte.
Ein riesengroßer Cowboy rümpfte die Nase, kratzte sich das Kinn, nahm die Zügelleine hoch und trabte die Straße zurück.
Die andern folgten ihm langsam.
Der Missourier stand allein auf der Straße. Vor seinen staubigen Stiefelspitzen lag der niedergeschossene Cowboy, der seinen wilden Übermut mit einem glühenden Stück Blei in der Brust hatte bezahlen müssen.
Die Sonne schleuderte eine Höllenglut auf die Häuser; es roch nach Staub, Holz und Pferdeschweiß. Über den Dächern waberte die Hitze.
Da warf oben auf dem Vorbau der kleine rotnasige Mann seine dünnen Arme in die Luft und krächzte: »Wyatt Earp! Hell and devils! Wyatt Earp!« Dann stürmte er über die Treppenbretter auf die Straße, preßte die Hand des Postfahrers und brüllte noch einmal mit sich überschlagender Stimme dessen Namen.
Damit war das Eis der Erstarrung gebrochen. Die Ellsworther kamen vom Office heruntergestürmt und umringten den großen, ernstgesichtigen Mann, wollten ihm die Hände drücken, redeten auf ihn ein, bestürmten ihn mit Fragen – und mußten erleben, daß er sich Platz