»Und wenn mein Baby etwas größer ist, werde ich es Tante Bea gern anvertrauen, Sandro. Ich hoffe dann, du bist groß genug, um sogar die Flügel deines Jungen-Glücks schützend über meinem Liebling auszubreiten.«
Bea blickte über Sandros Kopf zu Klaudia hinüber. Die beiden Frauen lächelten sich an.
»Oder meinst du, das ist alles Quatsch?« fragte Klaudia vorsichtig.
»Es gibt Übleres«, kam es gepreßt aus Tante Beas Armen. »Papi hätte gesagt, ein richtiger Mann muß mit Angestellten umgehen können. Meinst du, Tante Bea, das gilt auch für Babies?«
»Selbstverständlich.«
Er sah zu ihr hoch. Ganz allmählich entstand ein schelmisches Grinsen auf seinem Gesicht, das jetzt sogar frech strahlte.
»Onkel Detlefs Gemüse ist übrigens Spitze. Meinst du, ich kann noch davon nehmen?« Und kaum hatte sie genickt, war er draußen.
»Hoffentlich bekommt er nächstes Jahr auf dem Internat auch gesunde Kost«, überlegte Beate.
»Ach, Bea! Du bist wirklich die beste Tante der Welt!« Klaudia streckte lachend die Hand aus, um sie wieder in den Garten zu führen.
Es war ein herrlicher Maitag. In der Nacht waren in dem großen Garten hinter dem Haus die Knospen an den Rosensträuchern aufgeblüht. Allerdings hatte Christine keine Zeit, all diese Schönheit zu genießen. Sie stand mit mehlbestäubten Händen in der Küche und knetete einen widerspenstigen Teigklumpen. Ausgerechnet jetzt mußte es auch noch an der Tür klingeln!
Die junge Frau klopfte eilig ihre Hände über dem Ausguß ab. Im selben Moment erklang aus der Diele ein dumpfes Geräusch, dem ein durchdringendes Geheul folgte. Christine eilte hinaus und fand ihre jüngste Tochter Florentine heulend am Fuß des Treppengeländers. »Aua, tut weh!« jammerte die Kleine und hielt sich das Köpfchen.
Mitfühlend schloß Christine sie in die Arme. »Zeig mal her, Flo. Das ist nicht schlimm, du kriegst nur eine dicke Beule. Sag mal, wie oft habe ich dir wohl schon gesagt, daß du das Treppengeländer nicht hinunterrutschen sollst?«
»Pusten, Mami!« bat Florentine. Christine strich dem Kind über die dicken blonden Locken und pustete kräftig auf den Hinterkopf. Währenddessen klingelte es zum zweitenmal.
»Ich komme ja schon!« Christine eilte zur Tür. Draußen stand eine vornehme weißhaarige Dame im Schneiderkostüm, die die junge Frau kritisch musterte. »Guten Tag. Weinert ist mein Name. Bin ich hier richtig beim Partyservice Christine Kohse?«
Christine nickte. »Haben Sie morgen Zeit?« wollte die Dame wissen. »Mein Mann hat Geburtstag, und nun ist uns die Köchin krank geworden. Keine große Feier, es kommen nur etwa vierzig Personen.«
»Vierzig Personen!« rief Christine erschrocken aus.
»Ja – lohnt sich das nicht für Sie? Sie können auch gern Speisen für fünfzig Personen liefern, Hauptsache, Sie sind pünktlich. Der Preis spielt keine Rolle.«
Fieberhaft dachte Christine nach. Eigentlich war das kaum zu schaffen, aber einen solchen Auftrag konnte sie sich kaum entgehen lassen. War Weinert nicht der Name eines pensionierten hohen Diplomaten? Sicher würden viele wohlhabende Leute zu dem Fest kommen. Nein, auf diese Werbung für ihren neugegründeten Partyservice konnte sie nicht verzichten.
»Selbstverständlich geht das«, sagte sie rasch. »Möchten Sie ein Fischbuffet oder ein gemischtes Buffet? Drei oder vier Sorten Nachtisch?«
»Mami!« ertönte eine durchdringend helle Stimme hinter ihr. »Kannst du mir mal bei den Rechenaufgaben helfen?« Der wuschelige braune Schopf der elfjährigen Julia tauchte neben ihrer Mutter auf. »Wer ist denn die da?« wollte sie wissen.
»Entschuldigen Sie«, sagte Christine verlegen und schob ihre Tochter sanft, aber energisch in die Diele zurück. Frau Weinert rümpfte die Nase. »Sie scheinen recht lebhafte Kinder zu haben, Frau Kohse. Vielleicht sollten Sie sich ein Kindermädchen anschaffen.«
Christine dachte an den Berg Arbeit, der vor ihr lag. »Das wäre wahrscheinlich eine gute Idee«, gab sie zu.
Die weißhaarige Dame lächelte dünn. »Was das Buffet angeht – wir hätten gern das gemischte und dazu noch etwas Fisch extra, und vier verschiedene Desserts. Können Sie das alles bis morgen, Punkt sechs Uhr abends, liefern?«
Christine versprach es mit einem etwas mulmigen Gefühl im Magen. »Also, ich verlasse mich darauf! Hier ist meine Karte. Auf Wiedersehen.« Frau Weinert wandte sich ab und ging den kiesbestreuten Weg durch den Vorgarten hinunter. Christine schloß die Tür und blickte auf das weiße Kärtchen in ihrer Hand. Himmel, heute war ja Samstag! Sie mußte sofort zum Großhandel fahren. Hoffentlich bekam sie noch alle nötigen Zutaten. Und wenn sie in einer Stunde zurück war, konnte sie das Buffet für die Jubiläumsfeier heute abend gerade noch rechtzeitig fertig bekommen…
»Gib das her!« ertönte es aus dem oberen Stockwerk. »Das ist meins!« schrie eine helle Jungenstimme noch lauter. Christine vermutete, daß sich Julia und ihr achtjähriger Bruder Markus um die neue Lokomotive ihrer elektrischen Eisenbahn stritten. Sie ließ sich erschöpft auf den Sessel neben dem Telefon sinken und stützte den Kopf in die Hand. In diesem Moment drehte sich ein Schlüssel in der Haustür.
»Hallo, Schatz!« Ein schlanker, sonnengebräunter junger Mann trat auf Christine zu und gab ihr einen flüchtigen Kuß. Er hielt einen Squash-Schläger lässig in der Hand. »Das Match hat ein bißchen länger gedauert, tut mir leid.«
»Das macht doch nichts, Sven«, sagte sie. »Aber… kannst du ein oder zwei Stunden auf die Kinder aufpassen und ihnen das Mittagessen aufwärmen? Bitte, ich weiß sonst nicht, wie ich alles schaffen soll.«
Sven Struve verzog das Gesicht. »Wenn es unbedingt sein muß…«, sagte er. »Aber übertreib’s nicht mit dem Streß. Was ist überhaupt mit unserem Urlaub? Findet der nun statt oder nicht?« Er legte den Arm um Christines Schultern. Sie sah zärtlich in seine schmalen grauen Augen. »Ich möchte doch so gern mit dir verreisen! Aber jetzt habe ich es eilig. Vielen, vielen Dank für deine Hilfe!« Sie gab ihm einen Kuß und eilte zur Garderobe.
»Ein schöner Samstag! Wie kann eine so reizende junge Frau bloß so viele Kinder haben!« stöhnte Sven. Christine lachte gezwungen. Sie war sich durchaus nicht sicher, ob er das scherzhaft gemeint hatte.
*
Sven schlenderte in die Küche und öffnete die Kühlschranktür. Eine Menge gute Sachen lagen darin, die Christine für das Buffet heute abend vorbereitet hatte. Sven naschte ein paar Krabben und kostete mit einem kleinen Löffel von der Mayonnaise. Er fuhr zusammen, als er Florentine bemerkte.
»Das darfst du nicht!« protestierte sie. »Die sind buh, hat Mami gesagt.«
»›Tabu‹ meinst du wohl«, sagte Sven leichthin. »Aber was Jupiter darf, ist dem Ochsen noch lange nicht erlaubt. Ich darf probieren, ihr nicht.«
»Darfst du nicht!« sagte Florentine ernsthaft. »Außerdem habe ich Hunger.«
Sven trat an den Herd und lüpfte den Deckel des großen Topfes, der darauf stand. »Gemüseeintopf«, sagte er und stellte die Platte an. »In zehn Minuten gibt’s Essen.«
Julia und Markus vergaßen ihre Lokomotive und rutschten elegant das Treppengeländer hinunter, sobald der Essensgeruch das obere Stockwerk erreichte. Sven teilte die Teller aus.
»Hilfst du mir nachher bei den Rechenaufgaben?« wollte Julia wissen, als alle satt waren. »Nee! Du hast versprochen, daß du mit mir Fußball spielst«, rief Markus.
»Hast du vielleicht auch einen Wunsch, Florentine?«