Sàndor sah ein, daß er jetzt gehorchen mußte. Im Grunde war er froh, daß seine Krankheit nun endlich behandelt wurde. Er fühlte, daß er hohes Fieber hatte, und auch die Schmerzen in seiner Lunge wurden immer unerträglicher.
Er warf Dr. Daniel einen unsicheren Blick zu, dann sah er Dr. Metzler an.
»Herr Chefarzt, ich glaube…, ich glaube, ich habe eine Lungen-entzündung«, gestand er leise.
Völlig fassungslos starrte Dr. Metzler ihn an, und auch Dr. Daniel schien wirklich entsetzt zu sein.
»Und damit gehst du Tag für Tag zur Arbeit?« fragte er entgeistert. »Ja, bist du denn verrückt geworden? An so einer Krankheit kann man sterben, Sàndor!«
Auch Dr. Metzler hatte sich von seinem ersten Schock erholt und befahl streng: »Los, ziehen Sie Ihr Hemd aus.«
Sàndor gehorchte, dann hörte Dr. Metzler sehr gewissenhaft Herz und Lunge ab. Kopfschüttelnd sah er den jungen Mann danach an.
»So etwas von Leichtsinn ist mir in meiner ganzen bisherigen Laufbahn noch nicht untergekommen.« Er kontrollierte Sàndors Temperatur und schüttelte dann wieder den Kopf. »Fast vierzig Fieber. Meine Güte, wenn ich Ihr Vater wäre, dann könnten Sie sich auf etwas gefaßt machen.«
Dr. Metzler verließ den Raum, während Dr. Daniel Sàndor beim Arm nahm und ihn in das Zimmer begleitete, das Schwester Alexandra schon für ihn hergerichtet hatte.
»Leg dich ins Bett, Sàndor«, erklärte Dr. Daniel, dann ließ er sich von der Schwester ein Infusionsbesteck bringen.
»Was geschieht jetzt mit mir?« fragte Sàndor leise.
»Du mußt vorerst Infusionen bekommen«, meinte Dr. Daniel, während er sich schon über Sàndors linken Arm beugte, um den Zugang zu legen. »Das Einführen der Kanüle wird ein bißchen weh tun.«
»Au«, entfuhr es Sàndor da auch schon.
Dr. Daniel warf ihm einen kurzen, ungewöhnlich strengen Blick zu. »Beklag’ dich bitte nicht. Daß du in diese Situation geraten bist, ist ganz allein deine eigene Schuld.«
Sàndor schluckte schwer. So barsch hatte sich Dr. Daniel ihm gegenüber noch nie gegeben. Jetzt trat Dr. Metzler herein und schloß die Infusion an, ohne mit Sàndor auch nur ein Wort zu wechseln. Er sprach lediglich mit Dr. Daniel und bedankte sich bei ihm für seine Hilfe. Erst dann wandte er sich Sàndor zu.
»So, mein Freund, das wär’s fürs erste. Für ein paar Wochen werden Sie jetzt hier festsitzen.«
Beschämt senkte Sàndor den Kopf. »Es tut mir leid.«
»Das glaube ich Ihnen sogar«, meinte Dr. Metzler, dann wies er auf das Tablett, das Schwester Alexandra auf dem fahrbaren Nachttischchen abgestellt hatte. »Sie können jetzt essen, und anschließend wird geschlafen. Haben wir uns verstanden?«
Sàndor nickte. »Ja, Herr Chefarzt.«
Trotz des Ernstes der Lage mußte Dr. Daniel nun doch schmunzeln. »Erstaunlich, wie brav du sein kannst – wenn man dir keine andere Wahl läßt.«
Dr. Metzler nickte zustimmend, was Sàndor wieder verlegen machte.
»Es tut mir wirklich leid, daß ich nicht auf Sie gehört habe«, beteuerte er.
Dr. Daniel fuhr ihm durch die dichten Locken. »Das wird schon wieder, mein Junge. In ein paar Wochen wird das alles der Vergangenheit angehören.«
*
Eva-Maria erfuhr noch am selben Tag, wie krank Sàndor war.
»Ich glaube, er würde sich sehr freuen, wenn du ihn besuchen würdest«, meinte Dr. Daniel.
Eva-Marie zögerte.
»Ich bin ja auch noch nicht gesund«, wandte sie dann ein, doch diese Ausrede klang nicht sehr glaubwürdig.
Dr. Daniel lächelte. »Du bist aber nicht ans Bett gefesselt, Eva-Maria.« Er griff nach ihrer Hand. »Glaub mir doch endlich. Sàndor liebt dich.«
Eva-Maria preßte die Lippen zusammen. Wenn sie nur nicht so viel Angst davor gehabt hätte, vom ihm abgewiesen zu werden.
»Er hat sich die ganze Zeit so lieb um mich gekümmert«, erklärte sie leise. »Da bin ich ihm wohl eigentlich einen Besuch schuldig.«
»Das meine ich aber auch«, stimmte Dr. Daniel zu. Bereitwillig begleitete er Eva-Maria in die Chirurgie hinüber bis zu dem Zimmer, in dem Sàndor lag.
»Hineingehen mußt du schon allein«, meinte er.
Eva-Maria nickte, dann atmete sie tief durch, klopfte und trat schließlich ein. Sàndor lag im Bett, und im ersten Moment dachte Eva-Maria, er würde schlafen, doch bei ihrem Eintreten wandte er den Kopf und richtete sich mit einem strahlenden Lächeln auf.
»Eva-Maria!«
Es war das erste Mal, daß er sie beim Vornamen nannte, und der Klang seiner Stimme traf das junge Mädchen mitten ins Herz. Sollte Dr. Daniel tatsächlich recht haben? Die Antwort auf diese Frage lag in Sàndors dunklen Augen. Jetzt streckte er die rechte Hand aus. Eva-Maria zögerte noch sekundenlang, dann ergriff sie seine Hand und setzte sich auf die Bettkante. Plötzlich wurde ihr bewußt, was sie da tat, und voller Verlegenheit ließ sie seine Hand wieder los.
»Es ist meine Schuld, daß du hier liegst«, meinte sie und bemerkte dabei gar nicht, daß sie ihn ganz selbstverständlich duzte.
Sàndor schüttelte den Kopf. »Nein, das ist schon meine eigene Schuld. Hätte ich auf Dr. Daniel und Dr. Metzler gehört, dann wäre ich sicher mit einer harmlosen Erkältung davongekommen.«
Er zögerte einen Moment, dann berührte er sehr behutsam ihr Gesicht. Erschrocken zuckte Eva-Maria zusammen. Für einen Moment trafen sich ihre Augen, dann senkte das junge Mädchen verwirrt den Blick. Noch immer wagte sie nicht zu glauben, was doch ganz offensichtlich der Fall war.
»Ich kann es nicht mehr länger für mich behalten«, platzte Sàndor plötzlich heraus. »Eva-Maria, ich liebe dich. Als ich dich das erste Mal sah, habe ich mich bereits in dich verliebt, aber bis jetzt…, ich hatte Angst, es dir zu sagen. Dr. Metzler…, der Chefarzt…, er hat gesagt, er würde es nicht gern sehen, wenn Personal und Patienten…« Er tastete nach ihrer Hand. Sanft, aber dennoch fest schlossen sich seine Finger darum, und er spürte, wie Eva-Maria zitterte. »Wir kennen uns kaum…, eigentlich kennen wir uns überhaupt nicht, trotzdem bin ich sicher, daß ich in dir die wahre Liebe gefunden habe…, und gegen die kann auch Dr. Metzler nichts einzuwenden haben.«
Obwohl sie sich nach seiner Berührung immer gesehnt hatte, entzog Eva-Maria ihm jetzt ihre Hand.
»Ich habe gelogen.«
Die Worte standen im Raum, als wollten sie das junge Mäd-chen erdrücken.
»Ich weiß«, antwortete Sàndor nach einer Zeit, die Eva-Maria wie eine Ewigkeit erschien. Er sah ihr in die Augen. »Sagst du mir auch den Grund dafür?«
Diesmal hielt Eva-Maria seinem Blick stand. Sie wußte, daß sie jetzt ebenso ehrlich sein mußte, wie Sàndor es gewesen war.
»Du warst der Grund«, antwortete sie leise, aber deutlich. »Ich wollte nicht aus der Klinik entlassen werden, weil ich Angst hatte, dich dann nicht mehr zu sehen.« Mit einer fahrigen Handbewegung strich sie ihr langes blondes Haar zurück. »Ich habe nicht damit gerechnet, daß man mich so gründlich untersuchen würde…, irgendwie dachte ich, man würde mich nur zur Beobachtung hierbehalten. Ich dachte, du würdest weiterhin zu mir kommen und meinen Blutdruck und Puls kontrollieren. Es waren so kleine, kaum wahrnehmbare Berührungen, aber ich freute mich jeden Tag aufs neue darauf, und der Gedanke, auf deine sanften Hände verzichten zu müssen… Es war mir einfach unerträglich.« Wieder strich sie ihre Haare zurück. »Dann flog meine Lüge auf, und ich geriet in Panik. Ich dachte, ein Mann wie du könnte keine Lügnerin lieben. Der Traum, den ich hatte, bestätigte mich noch darin.« Erst jetzt wich sie seinem Blick aus.