Von der Philosophie gibt es demnach so viele Teile, als es Arten der reinen Wesenheit gibt, und es muß daher unter diesen eine die oberste und eine die abgeleitete sein. Denn das Seiende und Eine hat es an sich, daß es von vornherein Arten in sich befaßt, und eben aus diesen ergeben sich die einzelnen Zweige der Wissenschaft. Von dem Philosophen gilt in dieser Beziehung dasselbe, was vom Mathematiker gilt. Auch die Mathematik zerfällt in Fächer; auch unter den mathematischen Fächern gibt es eine grundlegende und eine abgeleitete Wissenschaft, und darunter wieder andere in bestimmter Reihenfolge.
Nun aber ist es die Aufgabe jeder einzelnen Wissenschaft die Begriffe zu betrachten, die einen Gegensatz bilden, und zu dem Einen bildet den Gegensatz die Vielheit. Ebenso ist es die Aufgabe jeder einzelnen Wissenschaft, auch die Negation und die Privation zu betrachten, weil Negation oder Privation dem Einen gilt, das in beiden Beziehungen betrachtet wird. Denn wir sagen entweder schlechthin, daß etwas nicht vorhanden ist, oder daß es an einer bestimmten Gattung von Gegenständen nicht vorhanden ist. In dem einen Falle wird außer dem was negiert wird, zu dem Einen nur die Negation hinzugesetzt, die den Unterschied bezeichnet; denn die Negation bedeutet bloß, daß das, was negiert wird, nicht da ist. Bei der Privation dagegen handelt es sich außerdem noch um eine Wesenheit als das Substrat, von dem die Privation gilt. Dem Einen steht nun die Vielheit gegenüber, und infolgedessen hat die bezeichnete Wissenschaft auch das dem oben Angeführten gegensätzlich Gegenüberstehende, das Andere, das Unähnliche und Ungleiche, zu erkennen, und alles übrige, was unter diesem Gesichtspunkte oder unter dem der Vielheit und des Einen ausgesagt wird. Dahin gehört nun auch der konträre Gegensatz. Denn unter den Begriff des Unterschiedes fällt auch der konträre Gegensatz, der Unterschied aber fällt unter den Begriff des Andersseins. Da nun von Einheit in mehreren Bedeutungen gesprochen wird, so wird auch dieses letztere in mehrfachen Bedeutungen ausgesagt werden; gleichwohl bleibt es die Aufgabe der einen Wissenschaft, alles dies zu erforschen. Denn nicht schon deshalb, weil es mehrere Bedeutungen hat, gehört es auch verschiedenen Wissenschaften an; das würde es erst dann, wenn diese Bedeutungen weder auf einen einheitlichen Gesichtspunkt hinausliefen, noch auf eine einheitliche Beziehung hindeuteten. Da aber alles auf das oberste Prinzip bezogen wird, z.B. alles was ein Eines heißt auf die oberste Einheit, so muß man dasselbe auch von dem Identischen, dem Verschiedenen und dem Entgegengesetzten gelten lassen. Darum hat man wohl zu unterscheiden, in wie vielen Bedeutungen jeglicher der genannten Begriffe ausgesagt wird, um sodann bei jeder Aussage anzugeben, in welcher Beziehung zu jenem obersten Prinzip sie gemeint ist. Das eine wird auf dieses Oberste bezogen sein in dem Sinne, daß dieses es an sich hat, das andere in dem Sinne, daß es dasselbe bewirkt, und ebenso wieder anderes in anderem Sinne.
Offenbar nun ist es, wie oben in der Abhandlung von den Problemen dargelegt worden ist, die Aufgabe einer und derselben Wissenschaft, über diese Bestimmungen wie über die reine Wesenheit selbst die Untersuchung zu führen. Dies war der eine Punkt in der Erörterung der Probleme. Des Philosophen Kennzeichen ist es, daß er über alles, was Gegenstand ist, wissenschaftlich zu handeln vermag. Leistet es nicht der Philosoph, wer wollte dann solche ernste Fragen erörtern wie die, ob Sokrates und der sitzende Sokrates ein und derselbe Sokrates ist, oder ob das, was dem Eins entgegengesetzt ist, wieder Eins ist; oder was ein Gegensatz ist oder in wie vielen Bedeutungen von ihm die Rede ist, und was es sonst noch an ähnlichen Fragen gibt! Da nun dies alles Bestimmungen sind, die an und für sich das Eine betreffen, sofern es Eines, und das Seiende, sofern es Seiendes ist, aber nicht sofern sie Zahlen oder Linien oder Feuer sind, so ist es offenbar die Aufgabe jener Wissenschaft, sowohl das reine Wesen der Gegenstände zu erforschen wie die an ihnen auftretenden Bestimmungen. Und diejenigen, welche über Fragen wie die oben bezeichneten ihre Untersuchungen anstellen, fehlen nicht darin, daß sie solches behandelten, was nicht in das Gebiet der Philosophie gehörte, sondern darin, daß sie nicht von der reinen Wesenheit, die doch das Prius ist, zuerst Einsicht zu gewinnen suchten. Denn wie die Zahl als Zahl ihr eigentümlich zukommende Bestimmungen hat, z.B. das Gerade und das Ungerade, Kommensurabilität und Gleichheit, das Zuviel und das Zuwenig, Bestimmungen, die den Zahlen an und für sich und in Beziehung auf einander zukommen, oder wie in derselben Weise die Körper die Bestimmung der Bewegung und der Bewegungslosigkeit, der Schwere und der Leichtigkeit an sich tragen und andere ihnen eigentümliche Bestimmungen: so hat auch das Seiende, sofern es Seiendes ist, ihm eigentümlich zukommende Bestimmungen, und diese nun sind es, über die die Wahrheit zu ermitteln die Aufgabe des Philosophen bildet.
Man sieht das schon daran: die Dialektiker und die Sophisten gebärden sich genau so wie der Philosoph. Denn die Sophistik ist eine wissenschaftliche Betätigung nur dem Scheine nach, und dasselbe gilt von der Dialektik. Sie reden über alles; gemeinsamer Gegenstand für sie alle aber ist das Seiende, und wenn sie darüber reden, so geschieht es offenbar aus dem Grunde, weil dies das eigentümliche Gebiet der Philosophie bezeichnet. Denn Sophistik und Dialektik drehen sich um dasselbe Reich der Objekte wie die Philosophie; den Unterschied macht nur bei der einen die Richtung, die das Erkenntnisvermögen einschlägt, bei der anderen das Lebensziel, das sie sich steckt. Die Dialektik ist eine bloße Übung der Erkenntniskräfte an den Gegenständen, die die Philosophie ernsthaft zu erkennen trachtet, und die Sophistik treibt die Wissenschaft nur zum Schein, nicht wirkliche Wissenschaft.
Von den Paaren von Gegensätzen ist nun weiter jedesmal das eine Glied die Privation; alle Gegensätze aber lassen sich zurückführen auf den Gegensatz des Seienden und des Nichtseienden, der Einheit und der Vielheit. So z.B. fällt die Ruhe auf die Seite des Einen, die Bewegung auf die Seite der Vielheit. Nun lassen so ziemlich alle übereinstimmend das Seiende und die Substanz aus Entgegengesetztem zusammengesetzt sein; wenigstens stellen alle die Prinzipien in Gegensätzen dar. Die einen bezeichnen als solche das Ungerade und das Gerade, die anderen das Warme und das Kalte, die dritten das Begrenzte und das Unbegrenzte oder die Liebe und den Haß. Aber auch alle übrigen Gegensätze sind offenbar auf das Eine und das Viele zurückzuführen, eine Zurückführung, die wir hier als vollzogen voraussetzen; die Prinzipien aber, und nun vollends auch die, die bei den anderen Denkern auftreten, fallen gleichfalls unter diese Gattungen: Einheit und Vielheit.
Auch daraus geht augenscheinlich hervor, daß es die Aufgabe einer einheitlichen Wissenschaft ist, das Seiende als Seiendes zu betrachten. Denn alles ist entweder entgegengesetzt oder besteht aus Gegensätzen, die Prinzipien aber für die Gegensätze sind das Eine und das Viele, und diese sind Gegenstände einer einheitlichen Wissenschaft, sei es, daß sie unter einen einheitlichen Gesichtspunkt gestellt werden oder nicht, welches letztere doch wohl der Wirklichkeit mehr entspricht. Aber gleichwohl, wenn auch die Einheit in mehrfacher Bedeutung aufgefaßt wird, so werden doch alle diese Bedeutungen in Beziehung auf das oberste Prinzip gedacht, und von dem Entgegengesetzten gilt dasselbe. Und deshalb, wenn auch das Seiende oder das Eine nicht allgemein und nicht in allem identisch noch etwas für sich Getrenntes ist, wie es doch wohl wirklich nicht ist, so ist es doch teils auf die Einheit bezogen, teils stufenweise davon abgeleitet; schon deshalb also ist es nicht die Sache etwa des Mathematikers zu untersuchen, was der Gegensatz oder was das Vollkommene oder das Seiende oder das Eine oder das Identische oder das Andere ist, sondern nur sofern es für sein besonderes Objekt von Bedeutung ist.
Daß also eine einheitliche Wissenschaft die Aufgabe hat, das Seiende als Seiendes und das was ihm als solchem zukommt zu betrachten, wird daraus klar geworden sein, ebenso, daß eine und dieselbe Untersuchung nicht nur die reinen Wesenheiten, sondern auch das, was an ihnen auftritt, zu betrachten hat, also zu dem oben Angeführten auch noch das Ursprüngliche und das Abgeleitete, die Gattung und die Art, das Ganze und den Teil und die anderen hierher