Der Kollektivismus und die soziale Monarchie. Josef von Neupauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Josef von Neupauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112875
Скачать книгу
hat, die ihm angeborener oder erworbener Gebrechen wegen zur Erlangung eines gewissen Grades von Lebensglück nötig ist.[8] In Nordamerika allein sind erfolgreiche Versuche gemacht worden, jene Unglücklichen zum geistigen Verkehre mit den Mitmenschen zu erwecken, die schon in früher Jugend Gesicht und Gehör verloren haben. Ist es notwendig, daß eine oder mehrere Personen ihr ganzes Leben in den Dienst einer solchen besonderen Aufgabe stellen, so hat der Staat diese Personen zu bestellen und überdies so viel als möglich die Bevölkerung zu ermuntern, daß sie freiwillig ihre Tätigkeit diesem Zwecke widme, wodurch sich die Last auf viele verteilen wird.

      Zu den Aufgaben der Ärzte, die sie im Einvernehmen mit den Pädagogen zu lösen haben, gehört auch die Ermittlung der Vererbungsgesetze nicht nur in Beziehung auf normale physische Konstitution, sondern auch auf ethische und intellektuelle Anlagen und auf Geschicklichkeiten. Dementsprechend werden sie die zur Fortpflanzung bestimmten Personen auswählen und auch für die zweckmäßige Paarung Gesetze zu ermitteln trachten. In wieferne der Staat schwächliche oder erblich belastete Individuen von der Fortpflanzung auszuschließen und auf die Gattenwahl Einfluß zu nehmen berechtigt ist, wird in VII, 1, besprochen. Zunächst handelt es sich um Aufklärung und Rat; Gesetze und Gewalt können erst dann in Betracht gezogen werden, wenn das Volk zur Überzeugung ihrer Notwendigkeit und Gerechtigkeit gelangt ist.

      Als Hilfsorgane der Ärzte werden Zahnärzte, zugleich Zahntechniker, zu bestellen sein, welche die Gebisse aller Bewohner eines Bezirkes regelmäßig zu untersuchen und die erforderlichen Operationen teils selbständig, teils unter Aufsicht des Arztes vorzunehmen haben. Es handelt sich aber nicht bloß um Verhütung des Verlustes und der Krankheit der Zähne und eventuell ihren Ersatz, sondern auch die Vererbung guter Zähne kommt in Betracht, weil ein gutes Gebiß der schönste Schmuck des Menschen und gewiß auch ein Zeichen einer guten Konstitution ist. Eine Statistik der vorhandenen und der fehlenden gesunden und kranken Zähne und der verschiedenen Zahnleiden wäre sehr interessant und könnte leicht beschafft werden.

      Der Arzt untersteht in fachwissenschaftlicher Hinsicht dem Bezirksarzte, dieser dem Provinzialarzte und dieser dem Chefarzte des Reiches. In den höheren Instanzen werden selbstverständlich zahlreiche Körperschaften dem Chefarzte beigeordnet sein. Die Hierarchie dient dazu, um verdienten Ärzten eine Beförderung zu eröffnen und um eine Organisation zu schaffen, durch welche die sanitären Beobachtungen auf Grund der Statistik und der Berichte der ausübenden Ärzte zur Sammlung und Verarbeitung gelangen. Instruktionen werden erlassen werden, inwieferne der Gemeindearzt seinen Vorgesetzten über jeden einzelnen Krankheitsfall durch Bulletin auf dem Laufenden zu erhalten hat. Diese Berichterstattung kann so eingerichtet werden, daß der Bezirksarzt daraus sofort erkennen kann, ob Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose oder der Behandlung bestehen, in welchem Falle er selbst zur Überprüfung schreiten, oder einen anderen Arzt seines Bezirkes damit beauftragen kann. Diese Überwachung der Gemeindeärzte erstreckt sich auch auf Gutachten über Krankheitsurlaube, den Besuch von Thermen, Berufseignung oder Fortpflanzungstauglichkeit, dann auf Spitalsverwaltung und sanitäre Anstalten.

      Spezialärzte verschiedener Fächer werden zu bestellen und über das Land zweckmäßig zu verteilen sein. Vorzüglich kommt da das Fach der Operateure in Betracht. Wahrscheinlich wird sich auch das Fach der operativen Heilkunde in viele Zweige spalten. Weiter wird es Fachärzte für die Erkrankungen einzelner Organe, wie heute, für Infektionskrankheiten, gewisse Arten von Diagnosen, chemische Untersuchungen und besondere Heilverfahren, wie Kaltwasser, Elektrizität, Pneumatik, Massage, Belichtung, Heißluftbehandlung usw. geben. Die Sanitätsverwaltung wird verfügen, inwieferne sich solche Ärzte an Ort und Stelle zu begeben haben, oder die Kranken zum Arzte geschickt oder in Sanatorien aufgenommen werden sollen und insbesondere wie weit die Kompetenz des Gemeindearztes in weniger bedeutenden oder besonders dringenden Spezialfällen geht. Die Sanitätsverwaltung hat auch die Einrichtung von Kurorten und die Verfügung der Aufnahme der einzelnen Kranken in dieselben über sich.

      Was die Unterbringung von Kranken und die Krankenpflege anbelangt, so wird man eigentliche Spitäler tunlichst vermeiden. Nur insoferne die Isolierung von Kranken geboten erscheint, oder wo es der klinische Unterricht erfordert, wird man eigentliche Krankenhäuser errichten.

      In einem Staate von 45 Millionen Einwohnern erfordert der ärztliche Dienst nach obigen Grundsätzen mit Inbegriff der Spezialisten und der übergeordneten Organe etwa 60 Tausend Ärzte und ebensoviele weibliche Ärzte, somit 120 Tausend Personen. In Österreich ist gegenwärtig die Zahl der wissenschaftlich gebildeten Ärzte sehr gering, somit ist eine große Vermehrung erforderlich. Auch das Wartepersonal, welches in Österreich gegenwärtig nicht zahlreich ist, wird sehr vermehrt werden müssen. Die Untersuchung, welche Berufe im Sozialstaate ganz entfallen, oder geringere Arbeitskräfte beanspruchen, wird in VIII, 11, folgen und daraus sich ergeben, wie der höhere Arbeitsaufwand in manchen Berufen, somit auch im ärztlichen und Wärterberuf hereingebracht werden wird.

      Für die Verhinderung der Einschleppung von Kontagien oder ansteckenden Krankheiten, insbesondere auch von Geschlechtskrankheiten, kann in einem so stramm organisierten Staate leicht gesorgt werden. Personen, welche nicht aus einem ebenso gut verwalteten Gebiete kommen, können beim Überschreiten der Grenzen einer ärztlichen Untersuchung unterzogen werden. Der Warenverkehr über die Grenze kann jederzeit auf längere Zeit gänzlich abgesperrt werden, weil der Staat immer für Vorräte solcher Waren sorgen wird, für die man auf das Ausland angewiesen ist.

      Prüft man diese Organisation des ärztlichen Dienstes, so gewinnt man die Überzeugung, daß damit alles für den Einzelnen und die Gesamtheit erreicht werden kann, was man heute für notwendig erkennt, aber in der individualistischen Gesellschaftsordnung undurchführbar ist. Die Ärzte drängen sich in den großen Städten zusammen, in den ländlichen Gemeinden fehlt es oft an aller Hilfe für Kranke und Verunglückte und jedenfalls an den Anstalten, die für besondere Fälle notwendig sind.

      Nun aber alle anderen Dienste, die ein so eingerichteter ärztlicher Körper dem Einzelnen und der Gesamtheit und der Wissenschaft leisten könnte.

      Der Arzt wird bei obiger Organisation nicht gerufen, er sucht diejenigen, für deren Gesundheit er verantwortlich ist, auf. Er ist ihnen Freund, Berater für das Leben und ersetzt ihnen auch Priester und Beichtvater. Er fördert die wahre Moral in viel höherem Maße, als es heute die Kirche vermag. Keinerlei entstehendes Leiden, erbliche Belastung, Disqualifikation zu bestimmten Berufen, zur Zeugung oder für die Ertragung der Schwangerschaft und Entbindung kann dem Arzte oder seiner Gehilfin entgehen. Sie können die Weitervererbung von Krankheiten und deren Übertragung auf kommende Generationen verhindern. Nur im Kollektivstaate kann man Lues, Tuberkulose und Alkoholismus unterdrücken oder in der ersten Zeit wenigstens für Dritte völlig unschädlich machen. Jeder Arzt ist zugleich Anthropologe und im Dienst der anthropologischen Forschung. In seinem Berufe liegt es nicht nur, die Degeneration des Volkes zu verhindern, sondern von Generation zu Generation ein immer herrlicheres Geschlecht heranzubilden. Das alles ist zum Teile allerdings von der Menge der anzustellenden Ärzte, ebensosehr aber von der Verteilung der Ärzte und der Verteilung der Bevölkerung und von der Organisation des Dienstes abhängig. Nicht nur diese Verteilung, sondern auch die Anstellung der erforderlichen Anzahl von Ärzten ist ohne Kollektivismus nicht denkbar.

      Noch sei bemerkt, daß in Deutschland bei den Krankenkassen statistisch ermittelt wurde, daß auf ein Kassenmitglied im Durchschnitt 6 Krankheitstage im Jahre kommen. Obwohl bei den hygienisch vorzüglichen Einrichtungen des Kollektivstaates und bei der Verminderung aller Berufsschädlichkeiten und anderer günstiger Umstände wegen der Krankenstand beträchtlich sinken müßte, wäre selbst nach diesem Verhältnisse der Durchschnitt in einer Gemeinde von Tausend Köpfen nicht mehr als etwa 6000 Krankheitstage im Jahre. Das gibt einen Tagesdurchschnitt von 16-18 Kranken, zu deren Behandlung zwei Ärzte zur Verfügung ständen. Es blieben also dem ärztlichen Personale viele Stunden des Tages für andere Aufgaben als die Behandlung der Kranken übrig, für Überwachung der Kinderpflege, für Untersuchungen der Gesunden, Beeinflussung der Lebensweise, Statistik und andere Amtsgeschäfte, wissenschaftliche Beobachtungen und Gutachten. Da in jeder Wohnansiedlung eine besondere Abteilung für Krankenzimmer einzurichten wäre, und