Eisenjahre. Chrisanna Burkhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Chrisanna Burkhardt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862488
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deren Name ihr nicht oder nur völlig verdreht einfallen wollte, nachzuahmen. Wenn sie abends berichtete, wer vorgesprochen hatte, verwandelte sie sich etwa in einen Buckligen oder Hinkenden, nuschelte oder bellte brummig. Amüsiert verfolgte der Schmied das abendliche Privatkabarett, lachte herzlich und rief dann anerkennend aus: »Weiß schon! Das muss der ... gewesen sein ...«

      Sie war auch eine hervorragende Köchin. Mit raschen Schritten trippelte sie zwischen Küche und Büro hin und her, zauberte pünktlich um zwölf Uhr dampfende Köstlichkeiten auf den Tisch, pflanzte einen Gemüsegarten an, kaufte Äcker und Wälder, die sie von Pächtern und Dienstboten, manchmal auch von Familienmitgliedern bearbeiten ließ, und legte auch selbst oft genug Hand an. Sie ließ die Stallungen vergrößern, hielt Hühner, eine Kuh, Ziegen, Schweine ... Am Morgen ging sie selbst in den Stall, um Eier einzusammeln und frische Milch für den Frühstückstisch zu melken.

      Egal, woran sie arbeitete, sie streckte dabei immer die Zungenspitze aus dem Mundwinkel heraus. Einmal betrachtete sie der Schmied liebevoll, wie sie so in der Küche stand und blitzartig etwas mit einem scharfen Messer hackte. »Geht es denn mit deinem Zünglein um so viel besser?«, neckte er sie. Irritiert verschwand die Zungenspitze wieder zwischen den Lippen, gleich darauf schnitt sie sich in den Finger. »Siehst du!«, sagte sie ein wenig vorwurfsvoll.

      Er wusste, was er an ihr hatte. Und umgekehrt – sie wusste, welchem Mann sie diese Prachtfrau sein wollte und war.

      Auch zwei weitere Kinder gebar sie ihm noch, von denen aber nur die Tochter am Leben blieb. Die Tochter wurde nach der ersten Frau des Schmiedes benannt, der Sohn nach dem verstorbenen Ehemann der Frau. Beide liebten sie alle vier Kinder so, als wäre jedes ihr eigenes. Der Schmied hatte nun drei Töchter zu seinem Sohn dazubekommen und die Frau hatte den Sohn, den sie sich immer gewünscht hatte. Sie waren eine glückliche Familie, in der nie die Silbe »Stief« in irgendeinem Zusammenhang verwendet wurde.

      Bei aller innigen Liebe überwachte die Frau aber auch den Geschäftsgang der Schmiede. Der Schmied war nämlich herzensgut und daher auch anfällig für Bitten und Betteleien und häufig ein wenig zu großzügig. Vielleicht trug auch einer seiner bevorzugten Aussprüche dazu bei: »Man kann nie wissen, weil man sowieso nichts weiß.«

      Es gab drei Gebetshäuser: die einstige Wehrkirche der Katholiken, die von den Einwanderern aus der französischen Schweiz errichtete Kirche der Protestanten sowie eine Synagoge (deren ausgebrannte Ruine zu Ende der 70er Jahre leider abgerissen wurde).

      Toleranz und Herzlichkeit waren dem Schmied naturgegeben. So, wie er seine bunt gemischte Familie ohne Unterschied liebte, jedes Kind als sein eigenes betrachtete und auch so umsorgte, waren ihm alle Menschen willkommen und seiner Freundlichkeit gewiss.

      Selbst in den Wirren des Ersten Weltkriegs hatte ihm seine Gewaltlosigkeit nicht nur das Leben gerettet, sondern ihm für wenige Augenblicke einen für alle Zeit unbekannten Freund beschert. Er war als junger Soldat seiner Kompanie nachgetaumelt, als er plötzlich einem einzelnen Feind gegenüberstand, der sofort die Waffe gegen ihn erhob. Anstatt gleichfalls verteidigend die seine in Anschlag zu bringen, hatte er sich lediglich die Jacke aufgerissen und den – wahrscheinlich russischen – Soldaten aufgefordert: »Da schieß eben, du Depp!« Das Schimpfwort bezog sich weniger auf die Person, als viel mehr auf die verachtungswerte Waffe.

      Der Andere hielt den Lauf noch sekundenlang gegen die bereitwillig dargebotene Brust, ließ ihn aber schließlich sinken, lachte laut auf und klopfte dem jungen Soldaten sogar anerkennend auf die Schulter.

      »Du gut, du Depp«, wiederholte er mehrmals kehlig und teilte dann sogar mit ihm einen Magenwände verätzenden Trunk aus seiner Feldflasche, ehe er sich wieder ins Kriegstreiben stürzte. Zum Abschied reichte er dem jungen Raimund nochmals die Hand. »Du Depp!«, sagte er dabei mehrmals feierlich und nahm dies vielleicht als Ausdruck höchsten Respekts oder versöhnlicher Geste mit nach Hause, wie der Schmied öfters in trauter Runde anmerkte. Nicht verächtlich über die Unwissenheit des Gegners, sondern anerkennend, dass sich einer davon hatte abhalten lassen, einen unbekannten Feind sinnlos niederzumetzeln. »Und ein Depp ist schließlich jeder, der sich in einen Krieg treiben lässt«, setzte er dann hinzu.

      Deshalb erscheint es auch selbstverständlich, dass er allen drei Glaubensgemeinschaften denselben Respekt zollte, weshalb er auch in allen drei Gebetshäusern quasi allgegenwärtig war – mit schmiedeeisernem Zierwerk (sollte es tatsächlich ein Himmelstor geben, dann ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit schmiedeeisern. Man wird ja sehen.) Ausgelöst wurde dies durch den Pastor, dem der prachtvolle Backsteinbau, anfangs des 19. Jahrhunderts von einem namhaften Wiener Architekten errichtet, überantwortet war, in dem sich die evangelische Glaubensgemeinschaft einfand. Er blickte eines Tages beim kleinen Straßeneingang zur Schmiede hinein, wo der Schmied gerade mit wuchtigen Schlägen Eisen zwang, sich in die von ihm gewünschte Form bringen zu lassen. Erst ging das Hüsteln des Pastors im Lärm des Gehämmers unter, aber als er schließlich ins Blickfeld des Schmiedes trat, fand er doch dessen Aufmerksamkeit.

      Der herzlichen Begrüßung und dem Austausch von Neuigkeiten folgte die Frage, ob er den Schmied auch nicht gerade bei einer wichtigen Arbeit störe. Höflich verneinte der Schmied. Solange es dem Herrn Pastor nichts ausmache, wenn er weiterarbeitete; man könne ja weiter ein wenig plaudern, aber dieses Tor müsse bis morgen fertig sein.

      Ach, ein Tor! Ja, jetzt sehe er auch, woran der Meister da arbeitete. Man sähe jetzt immer mehr solcher schmiedeeiserner Pforten in der kleinen Stadt. – Irgendwie ein stolzes Gefühl, wenn man die Arbeit seiner Hände noch vielfach bewundert weiß, nicht wahr?

      Der Schmied lächelte ein wenig geschmeichelt und hob die Schultern. Ja, freilich freue es einen, wenn man ein wenig zur Verschönerung der Stadt beitragen könne.

      So geschickte Hände wären eine Gabe Gottes, bemerkte der Pastor. Man könne dem Schöpfer nicht genug dankbar dafür sein.

      Es folgte eine Pause schweigender Zustimmung, in der es dem Schmied dämmerte, in welcher Weise er seine Dankbarkeit ausdrücken könnte.

      Wie viel denn so ein Tor koste, wollte der Pastor unvermittelt wissen.

      Das käme vor allem auf die Größe an, sagte der Schmied.

      »Etwa für meine Kirche«, gab der Pastor ein praktisches Beispiel.

      Das darauf folgende Gespräch war kurz. Der Schmied schätzte die Kosten, der Pastor sagte, dass seine Kirchengemeinde zu arm und zu klein wäre, worauf der Schmied schließlich einräumte, es wäre schon einzusehen, dass er zum Dank für die Geschicklichkeit seiner Hände eine entsprechende Gegenleistung erbrachte. Dankbar über die Gesprächswendung erteilte ihm der Pastor den Segen, versprach ihm zahlreiche Gebete, die sich irgendwann in einer anderen Welt als dieser als vorteilhaft erweisen würden, und ließ dann den Schmied mit vielen guten Wünschen und dem Zettel mit den Maßen, den er zufällig dabei hatte, wieder allein.

      Nach mehreren Wochen spazierten die gläubigen Protestanten durch eine ansehnliche neue Pforte und wurden in der Sonntagsmesse aufgerufen, das wunderschöne neue Tor zu bewundern, und vor allem Gott, aber auch dem Schmied für diese großzügige Spende zu danken.

      Die Sonntagsruhe wurde respektiert, aber bereits am Montagmorgen überdröhnte der Bass des katholischen Kirchenvorstehers das eifrige Hämmern in der Schmiede. Der katholische Stadtpfarrer stapfte durch die Werkstätten, bis er den Schmied gefunden hatte.

      Gelobt sei der Herr, der sich derzeit wundern mochte, was einen Schmied, dessen Familie doch zum überwiegenden Teil aus Katholiken bestand, dazu veranlasste, mit den Anhängern Luthers Geschäfte zu machen, über die sich – weiß Gott, ja! – alle die Mäuler zerrissen.

      Der Schmied tappte blind in die Falle. Von Geschäften könne keine Rede sein, es handle sich um eine Spende. Eine gewiss gottgefällige noch dazu.

      Triumphierendes Schweigen.

      Die beiden Männer kamen friedfertig überein, dass das katholische Gotteshaus einem Verschleiß unterworfen war, an dem ein Teil der großen Familie des Schmiedes nicht unbeteiligt war. Das Seitentor spotte längst jeglicher Beschreibung, vom Altargitter gar nicht zu reden. Damit überreichte der Pfarrer dem Schmied den Zettel mit den Maßen,