Unverglüht. Jona Mondlicht. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jona Mondlicht
Издательство: Bookwire
Серия: Unverglüht
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783945163054
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      Kapitel Vier

      »Zieh sie an«, sagte der Mann zu Lia und deutete auf ein paar Schuhe, die sorgfältig vor ihm standen. »Jetzt gleich.«

      Lia erschrak. Mit den Augen erfasste sie das, was sie immer als Herausforderung betrachtet hatte: Heels mit einer gefühlten Absatzhöhe deutlich über zehn Zentimetern. Schwarz, sich vorn spitz verjüngend, mit einem breiten Knöchelriemen.

      »Und trocken«, ergänzt Sarah süffisant. Mit einem Blick zur Seite erfasst sie ihre Stiefeletten aus Wildleder. Der nasse Streifen zeichnet sich noch deutlich genug ab, eine Grenze, die etwa auf der Hälfte der Höhe zwischen Sohle und Schaft verläuft.

      »Ich hatte gesagt, dass du still sein sollst, wenn ich erzähle!« Herr Conrad klingt tatsächlich verärgert. Seine Stimme ist nicht nur tief, sondern auch scharf. »Hast du das schon vergessen?«

      Sarah dreht sich überrascht wieder nach vorn. Sie hat es nicht vergessen, nein, sie erinnert sich daran. Aber sie hat es auch nicht ernst genommen. »Entschuldigung«, stammelt sie, erschrocken über die schroffe Reaktion des Mannes im Thronsessel.

      Der alte Mann greift in seine Westentasche und hebt aus ihr einen kleinen Stopfer, der mit seinem flachen Holzgriff wie ein Taschenmesser aussieht. »Hole mir Streichhölzer. Sie liegen dort drüben im Regal neben dem Vorhang.« Herr Conrad weist unwirsch mit dem Pfeifenkopf die Richtung.

      »Aber ich sollte dafür Schuhe anhaben«, meint Sarah und streckt die Füße nach vorn, während sie mit dem Hintern noch ein wenig zurück auf die Tischplatte rutscht. Außerdem, denkt sie, ist es für den Mann im Sessel lediglich die halbe Entfernung. Sie selbst würde den kompletten Raum durchqueren müssen. In Strümpfen.

      »Du hättest auch still sein sollen«, entgegnet Herr Conrad scharf und sieht Sarah mit einem Blick an, der wie Nadeln sticht. Kurz duellieren sie sich. Ja gegen Nein, Unnachgiebigkeit gegen Trotz, Folgen gegen Verweigern. Auf dem Tisch knistert die Kerze, deren Docht den Kampf mit dem brennenden Paraffin bald verlieren wird. Langsam hebt Herr Conrad seine Hand, ohne den Blick zu lösen. Zentimeter um Zentimeter. Beugt sich nach vorn, als wolle er Sarah noch genauer beobachten. Dann zeigt er wieder mit der abgegriffenen Pfeife auf die andere Seite des Raumes und verharrt. »Jetzt!«

      Sarah rutscht langsam von der Tischplatte. Spürt zuerst an den Zehenspitzen den Parkettboden, tritt dann mit dem vorderen Teil des Fußes auf. Verlagert ihr Gewicht. Schließlich senkt sie den Blick. Sie weiß nicht, warum sie sich geschlagen gibt. Vielleicht, weil sie sonst auf den Fortlauf der Geschichte verzichten muss. Möglicherweise aber auch, weil Herr Conrad recht hat. Er hat sie gebeten, zu schweigen. Und sie ist ihm ins Wort gefallen. Es gibt keine Rechtfertigung. Aber Sarah ist unsicher, ob es da nicht noch andere Gründe gibt. Sie durchquert auf Zehenspitzen den Raum, so, wie sie vorhin zum Tisch gegangen ist. Währenddessen vermeidet sie den Blickkontakt mit dem Mann im Sessel. Sie weiß auch so, dass er sie beobachtet. In Augenhöhe findet sie im Regal eine kleine Packung Streichhölzer, abgegriffen, die Reibeflächen mit roten Streifen überzogen. Die Schachtel liegt vor einem Kasten, der bis an den Rand mit Metallteilen gefüllt ist. Ösen könnten es sein, denkt Sarah, und sie erinnert sich an die Schnur im Rücken von Lia. An die Kraft, die diese Frau gehabt haben muss, um die Schnürung zu ertragen. In Kauf zu nehmen. Durchzuhalten. Sich nichts anmerken zu lassen. Bewundernswert, denkt Sarah und beschließt, nicht weniger entschlossen als Lia die Streichhölzer zu dem Mann im Sessel zu tragen. Sie greift die Schachtel und dreht sich auf der Stelle um.

      Herr Conrad hält noch immer die Hand erhoben. Als hätte er sich nicht bewegt, während Sarah vom Arbeitstisch zum Regal auf der anderen Seite des Raumes gegangen ist. Der Pfeifenkopf zeigt direkt auf Sarah.

      Sie geht zügig, aber nicht eilend auf ihn zu. Als sie die Schachtel in der Hand bewegt, spürt sie am leichten Klappern, dass nur noch wenige Streichhölzer in ihr wohnen. Seitlich neben dem großen Thronsessel bleibt sie stehen, streckt die geöffnete Hand mit der Schachtel aus und hält dem Blick von Herrn Conrad stand. Wartet. Wie in einem Patt begegnen sie sich.

      Der Mann im Sessel senkt schließlich die Hand. »Na gut«, sagt er. »Lassen wir das so gelten.«

      Sarah lächelt. Selbstbewusst, triumphierend. So schnell lässt sie sich nicht beeindrucken. Warme Finger spürt sie kurz auf ihrer Hand, als Herr Conrad die kleine Schachtel greift. Es ist die erste bewusste Berührung zwischen ihnen, registriert sie. Denn mit Handschlag begrüßt hat er sie nicht, weder gestern, noch heute. Sie dreht sich um und lässt sich von ihren Zehenspitzen auf das Sofa tragen.

      »Das sieht gut aus«, hört sie hinter sich eine tiefe Stimme. »So, wie du läufst.«

      »Danke«, antwortet Sarah kokett, während sie es sich bequem macht und eines der alten Kissen heranzieht.

      Herr Conrad schiebt die Schachtel auf. Seine Finger haben ein wenig Mühe, dem kleinen Päckchen ein einzelnes Streichholz zu entnehmen.

      Vielleicht hätte ich ihm helfen sollen, denkt Sarah. Sie stellt sich vor, wie das ausgesehen hätte – sie, die aus dem Regal Streichhölzer holt, neben ihm eines entzündet und es ihm reicht. Fast wie ein Hausmädchen. Nur ein Knicks hätte noch gefehlt. Ein seltsames Gefühl.

      »So, wie du läufst, erinnert es mich an die Geschichte, die ich dir erzählen wollte.« Herr Conrad nimmt das Mundstück der Pfeife erneut zwischen seine Lippen, streift ein Holz bis zum Entflammen. Es zischelt kurz, dann schwenkt er die Flamme vorsichtig und langsam über dem Pfeifenkopf. Während er Luft einsaugt und sich auf seinen Backen Kuhlen bilden, bewegt sich seine kleine Brille auf der Nase auf und ab. Schmatzend zieht er noch mehrmals Luft durch das Mundstück, dann steigt feiner Rauch auf. »Kommen wir nun weiter oder redest du wieder dazwischen?«

      Sarah lächelt. »Ich höre zu.« Maßregeln lassen will sie sich nicht.

      Herr Conrad wedelt mit einer beiläufigen Bewegung dem brennenden Streichholz das Leben aus. Dann platziert er es gemeinsam mit der kleinen Schachtel vor sich auf dem Tisch. Gleich neben der Teetasse. Korrekt nebeneinander ausgerichtet. Beinahe pedantisch.

      Sarah beobachtet den alten Mann. In sich versunken nimmt er den Stopfer und drückt den Tabak an, der sich im Pfeifenkopf unter der Hitze des Feuers ein wenig aufgerichtet hat. Seine ruhigen und entspannten Bewegungen erwecken den Eindruck, dass er das Rauchen zelebriert. Sie geduldet sich. Mag ihn nicht noch einmal stören.

      Schließlich lehnt sich Herr Conrad zurück. Fährt sich mit der Zunge durch den Mund und schluckt genießerisch. Es riecht nach Cognac.

      Lia ließ sich langsam auf den Boden sinken, ohne dabei den Blick des Mannes zu verlassen. Sie achtete darauf, dass ihre Knie nach außen zeigten, während sie saß, so weit es ihr möglich war. Das verlangte er immer so. Er hatte es ihr beigebracht, bis es ihr in Fleisch und Blut übergegangen war. Es geschah sogar, dass sie sich so bewegte, wenn er nicht zugegen war. Und wenn sie nicht nackt war.

      Nackt? Sarah sieht ruckartig zu Herrn Conrad. Der lächelt verschmitzt und lehnt sich gemütlich in seinen Sessel zurück. Zieht an seiner Pfeife. Als würde er den Moment genießen. Er ist sicher, dass Sarah nichts sagen wird. Sie sich auch.

      Dann griff sie den ersten Schuh, schob ihn über ihren Fuß. Schlüpfte mit der Ferse hinein, bemerkte sofort, wie ihr Fußgelenk gestreckt wurde. Der Mann sah auf sie herab, nickte. Lia löste ihren Blick, bemühte sich darum, auch den anderen Schuh zügig anzuziehen. Mit beiden Händen schloss sie die Riemchen um die Knöchel und gab darauf acht, nicht zu schwanken. Als sie fertig war, verharrte sie in dieser Position.

      »Steh wieder auf.«

      Lia wartete nur eine einzige Sekunde, da sie erfahren wollte, ob er ihr eine Hand entgegen strecken würde. Er tat es nicht. So mühte sie sich, nach oben zu kommen, ohne dass es ungelenk aussah vor ihm. Sie konnte trotzdem nicht verhindern, ein wenig zu schwanken.

      Er beobachtete sie, blieb an ihrer Seite, bis sie ruhig stand. Schließlich trat er hinter sie, legte ihr die Hände auf die Schultern. »Vertraust du mir?«

      »Ja«, antwortete