In der Kasse lagen eine Menge Papiere verstreut. Mehrere waren zerrissen. Aber was man sogleich bemerkte, war, daß das kleine Geheimfach im Innern der Kasse, das vermutlich die wichtigsten Papiere des Wucherers barg, mit Gewalt in Stücke gesprengt war, und daß man im Inhalt furchtbar herumgewühlt hatte.
»Dacht' ich mir's doch,« murmelte der Detektiv, »hier sind ungebetene Gäste gewesen.«
Der Polizeichef, der Krags Bemerkung gehört hatte, wendete ein:
»Aber die Kasse selbst ist doch unversehrt. Wie reimen Sie sich das zusammen?«
Wieder lächelte der Detektiv in seiner eigentümlichen Weise.
»Ja, wenn ich das wüßte,« gab er zurück, »dann hätte ich damit das eine der Geheimnisse enträtselt.«
»Das eine?«
»Ich sage, das eine,« fuhr der Polizist ernst fort, »denn in dieser unheimlichen Tragödie gibt es viele Geheimnisse.«
IV.
Die falschen Wechsel
Man schritt nun zu einer eingehenden Untersuchung der eisernen Kasse. Es fand sich kein Geld vor, aber eine große Anzahl von Wertpapieren, auf recht ansehnliche Beträge lautend. In einem kleinen separaten Raum lagen drei kleine Bankbücher von verschiedenen Banken Christianias, bei denen Jaerven viele tausend Kronen eingelegt hatte. Jedes kleinste Ding des Inhaltes wurde aufnotiert und in die feuerfesten Gewölbe der Polizei hinterlegt. Krag bekam noch mehrere Namen für seine Liste der Personen, die mit dem Verschwundenen in Verbindung gestanden hatten. Sobald die notwendigen Formalitäten erledigt waren, begab sich der Detektiv in sein Kontor, um die Papiere durchzusehen. Er setzte sich auf seinen harten lederbezogenen Sessel und breitete die Papiere vor sich auf dem Tisch aus. Dann nahm er eine Handvoll starker Kubazigaretten, legte sie neben sich, zündete eine an und machte sich an die Arbeit.
Wie die meisten Männer, die viel zu denken haben, liebte er es, starken Tabak zu rauchen. Der erste Name auf der Liste war »Stud. med. Jens Isaksen«. Er war für ein Darlehen von 200 Kronen, am Dreiundzwanzigsten fällig, notiert. Der zweite Name war »Schiffskapitän Halvor Bjerk«, auch auf ein Darlehen von 200 Kronen, am Einunddreißigsten fällig. Krag hielt sich nicht weiter bei diesen und einer ganzen Reihe anderer Namen auf. Aber plötzlich zuckte er zusammen. Da stand Kommissionsagent Jens Bruun, 3000 Kronen, am Elften fällig. Gleich darunter stand Leutnant Hjelm, 2000 Kronen, am Zehnten fällig. Da waren noch ein paar kleinere Beträge, die um den Elften herum fällig waren – dem Tage, an dem Jaerven verschwunden war.
Krag sagte sich folgendes: Wenn jemand ein Interesse daran hatte, Jaerven aus dem Weg zu räumen, mußte es einer seiner Schuldner sein, vermutlich einer, der nicht bezahlen konnte. Er hielt sich darum sofort an die zwei großen Beträge. Den des Kommissionsagenten von 3000 Kronen und den des Leutnants von 2000 Kronen. Krag, der sich als langjähriger Polizeibeamter eine ausgedehnte Personalkenntnis erworben hatte, kannte die beiden Herren ganz gut. Leutnant Hjelm war arm wie eine Kirchenmaus; er stand in dem Ruf, an konstanter Geldverlegenheit zu leiden, und man glaubte, daß er in die Krallen der Wucherer gefallen war. Kommissionsagent Bruun hatte seinerzeit recht große Geschäfte gemacht; aber er war in den letzten Jahren zurückgegangen, und sein Kredit hatte erheblich darunter gelitten, daß sein reicher Onkel, Konsul Bruun, die Hand vollständig von ihm abgezogen hatte.
Während der Detektiv noch in diese Gedanken versunken dasaß, trat der Polizeichef zu ihm ein. Krag sah sofort, daß er etwas auf dem Herzen hatte.
»Finden Sie nichts Merkwürdiges an diesem Geldschrank, abgesehen davon, daß er klarerweise einem Einbruch ausgesetzt war?« fragte er.
»Ja,« erwiderte der Detektiv, »an diesem Geldschrank ist allerlei Merkwürdiges. Was sofort in die Augen fällt, ist ja, daß sich nicht ein einziger unbezahlter Wechsel darin vorfindet. Hingegen eine Menge anderer Papiere. Wo hat der Wucherer seine Wechsel?«
»Genau, was ich dachte,« sagte der Chef. »Und ob das nicht so zu verstehen ist, daß mehrere an dem Verbrechen beteiligt waren – und daß sie die Wechsel vernichtet haben?«
»Sehr möglich. Aber das Wahrscheinlichste ist doch, daß Jaerven seine Wertpapiere in der Bank deponiert hat?«
»Das können wir baldigst feststellen,« sagte der Chef, »ich werde sofort telephonieren ...«
Er verschwand in sein Kontor. Als er bald darauf zurückkehrte, sagte er:
»Ja, ganz richtig. Jaerven hat ein Safe in dem feuersicheren Gewölbe der Bank gemietet. Da das Gerücht von der vermutlichen Ermordung des Wucherers schon dorthin gedrungen ist und große Bestürzung hervorgerufen hat, hat mir der Bankdirektor die Erlaubnis gegeben, die von Jaerven in der Bank deponierten Papiere zu untersuchen. Ich gehe sofort hin. Sie kommen doch mit?«
Krag erwiderte:
»Für den Augenblick ist es nicht von großem Interesse für mich, diese Papiere zu sehen. Es genügt vollständig, wenn Sie sie untersuchen. Ich habe jetzt anderes vor. Aber ich möchte Sie bitten, mir namentlich eine Information zu verschaffen: Welche Indossenten die Wechsel des Kommissionsagenten Bruun und des Leutnants Hjelm auf 3000 bzw. 2000 Kronen unterschrieben haben. Die Wechsel sind am Zehnten und Elften fällig. Jaerven ist, wie Sie sich erinnern werden, am Zwölften verschwunden.«
Der Polizeichef verstand sofort, was er meinte, und notierte sich die Namen.
»Das habe ich mir auch gedacht,« sagte er, »wenn der Verbrecher einer von Jaervens Schuldnern ist, dann muß es einer sein, dessen Wechsel an dem Tag fällig war, an dem der Wucherer verschwunden ist.«
Damit ging der Chef.
Krag blieb einige Minuten in tiefen Gedanken sitzen, während er seine Zigarette rauchte. Dann stand er plötzlich auf, trat an ein Bücherbrett und nahm einen Adreßkalender heraus. Sobald er gefunden hatte, was er suchte, ging er fort.
Beim nächsten Standplatz nahm er eine Droschke und fuhr in der Richtung der Bygdöer Allee fort.
– – – Unterdessen war der Polizeichef in der Bank angelangt, wo er den Präsidenten der Direktion traf, der ihn sofort in die feuerfesten Gewölbe der Bank geleitete. Hier lagen die Privat-Safes in Reih und Glied. Agent Jaervens Safe trug die Nummer 29; es wurde geöffnet, und man begann sofort die Papiere zu durchsuchen.
Der Polizeichef bat, ihm die zwei Wechsel zu zeigen, die vom Kommissionsagenten Bruun und Leutnant Hjelm unterschrieben waren. Der erste war vom Konsul A. C. Brunn indossiert.
Der Direktor der Bank war sehr erstaunt, als er den Namen des Konsuls auf diesem Wechsel des Wucherers erblickte.
»Das ist doch seltsam,« sagte der Polizeichef, »der Konsul ist so reich, daß man einen Wechsel mit seinem Namen in jeder Bank anbringen kann, da braucht man sich doch nicht erst an einen Wucherer zu wenden.«
»Selbstverständlich,« erwiderte der Bankdirektor, »und wenn der Wechsel auch auf 300 000 Kronen gelautet hatte anstatt auf 3000. Da muß sicherlich etwas dahinterstecken.«
Und er sah dem Polizeichef mit einem bedeutungsvollen Blick in die Augen.
»Es wird jedenfalls notwendig sein, sich der Person dieses Kommissionsagenten zu versichern,« sagte der Polizeichef.
Der Bankdirektor fügte hinzu:
»Aber gleichzeitig möchte ich Sie bitten, seinen Onkel, den Konsul, rufen zu lassen. Hier handelt es sich ja um nichts Geringeres, als daß seine im ganzen Lande bekannte Familie vielleicht durch einen aufsehenerregenden Skandal bemakelt werden soll. Wenn der Wechsel falsch ist – und man ist unleugbar versucht, es zu glauben –, dann bin ich überzeugt, daß der Konsul das Geld bezahlen wird, um den Skandal zu vermeiden.«
Der Polizeichef nickte. Die anderen bemerkten, daß er plötzlich sichtlich bewegt schien. Nach einigen Augenblicken des Schweigens sagte er: