Dubrovnik Turboprop. Sebastian Fust. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sebastian Fust
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005563
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      Sebastian Fust

      Dubrovnik Turboprop

      Roman

      1. Auflage

      © Edition Atelier, Wien 2012

       www.editionatelier.at

      Schutzumschlag & Satz: Jorghi Poll

      ISBN 9783902498564

      Das Buch ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere für Übersetzungen, Nachdrucke, Vorträge sowie jegliche mediale Nutzung (Funk, Fernsehen, Internet). Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors reproduziert oder weiterverwendet werden.

      Mit freundlicher Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur und des Literaturreferats der Stadt Wien, MA7.

      Für Johanna

      Inhalt

       Kapitel I

       Kapitel II

       Kapitel III

       Kapitel IV

       Kapitel IV1/2

       Kapitel V

      

      I

      Das Gras war taubenetzt, die Wolken silbergrau und die Sonne brach dann golden durch, es war Sommer, August, und ich ging auf den weißgrauen Betonbau zu, die manifestierte Siebzigerjahre-Architektenfantasie, vielstöckig, die Außenstelle des Altersheims, das Gebäude für betreutes Wohnen, ich holte die Großmutter ab, die feine alte Dame mit ihrem kaputten Knie; allenfalls war Laufen mit einem Gehwagen möglich, aber umständlich, und wenn, dann nur kurze Strecken, ansonsten griff man auf einen Kassenrollstuhl zurück. Die Luft war frisch, und ich fuhr mit dem Aufzug in den dritten Stock, klingelte, und Frau Dresenkamp, eine Russlanddeutsche, eigentlich Deutschlehrerin von Beruf, hier in Deutschland aber ohne Arbeit, dafür mit elfjähriger Tochter und Ehemann, auch Russlanddeutscher, Ingenieur, jetzt Handwerker und teilzeit- oder schwarzbeschäftigt, also nur ab und an beschäftigt und sonst zu Hause, zu Hause vor dem Computer und spielsüchtig, passte jetzt auf die Tochter, oder die Tochter auf ihn, auf, denn es waren Schulferien, und Frau Dresenkamp öffnete die Türe, sie, die bezahlte Stütze meiner Großmutter im Alter, beim betreuten Wohnen, sie erledigte kleinere Einkäufe, wusch die Wäsche, spülte das Geschirr und war eigentlich nur zum Reden, zum Ansprechen, zur Unterhaltung der alten Frau dort und bezahlt, als Abglanz dessen, was es einst war, was es für die feine alte Dame gewesen war, das Leben, denn Dienstmädchen hatte sie immer gehabt, die Großmutter, und jetzt eben, im Alter, in ihrer Hinfälligkeit blieb eben nur noch die Frau Dresenkamp, als Stütze und Rückversicherung gegenüber dem einstigen Leben, als Zeichen des Vergangenen, Platzhalter des Vergangenen, ein Statussymbol, das sich die feine alte Dame leisten konnte und wollte, ja, leisten musste, um nicht ins Nichts zu fallen, noch nicht ins Nichts zu fallen, um zumindest einen kleinen Halt im Alter zu haben, eine Rückbindung an sich selbst und an das einstige Leben, von dem jetzt nur eine Erinnerung und eben dieser Rest, wie gesagt, als Rückversicherung – zumindest kam es mir so vor – übrig geblieben war, und jetzt öffnete sie, Frau Dresenkamp, die Türe und ein Schwall warmer, abgestandener Luft kam mir entgegen. Aus dem Wohnzimmer hörte ich die Stimme meiner Großmutter, hörte ich die alte Dame rufen:

      »Alexander, bist du das?«

      Ich antwortete »Ja!« und gab Frau Dresenkamp die Hand.

      »Wollen wir los?«

      »Wir können.«

      Auf der Fahrt erzählte die Großmutter, wie sie sich freute, noch einmal, ein letztes Mal nach Dubrovnik zu reisen, mir diese Reise ermöglichen zu können, und sie erzählte von Ivo, dem Reiseleiter, den sie dort, nach dem Tod ihres Mannes, meines Großvaters, von dem sie immer nur als »der Vater« sprach, den sie also nach dem Tod des Vaters kennengelernt hatte, weil sie sich hatte ablenken und erholen müssen nach dem Tod des Vaters, und da war sie nach Dubrovnik gereist, Dubrovnik, warum auch immer, damals noch Jugoslawien und zwischen den Blöcken Ost und West, für sie unbekannt, Terra incognita, wie für mich Mumbai, Baku oder Taschkent, gleichviel, aber der Name Dubrovnik schien ihr etwas zu versprechen, hatte eine Sehnsucht in ihr ausgelöst, klang wie Gold in ihren Ohren und hallte in ihrer Fantasie wider und wurde größer und fantastischer, und so buchte sie eine Reise, flog dorthin, denn Geld spielte keine Rolle – Gott sei Dank! Der Vater hatte vorgesorgt –, und dann war sie dort angekommen, in Dubrovnik, das so schön geklungen hatte, und auf dem Flughafen wurde sie vom Reiseleiter, wurde die ganze westliche Touristengruppe, den sozialistischen Tourismusvorgaben entsprechend, vom Reiseleiter abgeholt. Der Reiseleiter hieß Ivo. Zwanzig Jahre jünger als sie und ein Gentleman, ein wahrer Gentleman, naturgemäß, und Dubrovnik hielt, was der Klang des Namens, dem Fallen einer Münze gleich, deren Klang auf dem Boden nicht bricht, sondern nur heller erklingt, versprochen hatte. Und von dort aus ging das Leben meiner Großmutter weiter, es ging ihr besser, sie flog ein- oder zweimal im Jahr dorthin, damit es ihr besser ginge, und ja, es tat ihr gut, die Menschen, die Stadt, die Luft, die frische Luft, immer direkt am Meer, und zum Meer hin ging das Zimmer; und sie, auf dem Balkon, schaute am späten Nachmittag bis in den Abend hinein, bis zum Abendessen, hinaus aufs Meer, das Mittelmeer, gegenüber Italien, irgendwo, unsichtbar. Die Wellen klatschten lustig und monoton und beruhigend an den Kieselstrand, nach dem Essen nahm sie ihren Digestiv auf dem Balkon, das Meer war schwarz und in der Ferne sah sie die Lichter der Fischerboote und manchmal die der Tanker, und immer ging das Meer ruhig, fast berechenbar, mathematisch beruhigend, und so schlief sie ein, bei offenem Fenster, um sie herum die frische, salzige Luft. Morgen würde sie wieder in die Stadt gehen, in die Altstadt, in einem Café einen Cappuccino trinken, dann über das Kopfsteinpflaster, den Marmor, das Marmorpflaster, über die Stadtmauern, die Schutzmauern, die Befestigungsmauern der Altstadt den Rundgang entlangspazieren, den Rundgang, früher für die Patrouillen gegen Feinde und Piraten, heute für Touristen, und morgen würde sie wieder diesen Weg gehen und der Reiseleiter, ja, Ivo würde sie begleiten, ihr dies und das über die Stadt und über die Geschichte der Stadt erzählen, und sie würde ihm nicht zuhören, auch morgen nicht zuhören, sondern einfach nur darauf achten, wie sich beim Sprechen, wenn Ivo zu ihr sprach, wenn er von der Stadt, von der Geschichte der Stadt und manchmal auch von der des Landes, oder wenn er einfach nur über das Wetter sprach, wie sich seine Nasenspitze bewegte, wie sich die Grübchen in seine Wangen schoben, das linke etwas stärker ausgeprägt als das rechte, und wie er mit seinen feisten Händen, auch wenn der restliche Körper sonst sportlich und kräftig, gerade für einen Mittsechzigjährigen sportlich und kräftig war, abwechselnd durch die kurzen, borstigen, teils grauen, aber kräftigen Haare fuhr, den Schädel vielleicht verlegen, vielleicht nachdenklich rieb, streichelte, unbewusst, aber entzückend – an solches und dergleichen vieles mehr denkend schlief meine Großmutter ein, bei offener Balkontüre, offenem Fenster, hin zum Meer, und die frische salzige Luft strömte ins Zimmer, die Wellen klatschten beruhigend monoton die Nacht hindurch an den Kieselstrand, und am Morgen, wenn die Sonne durch das Grau der Wolken sich erst silbern in den Wolken ankündigte und sie dann golden durchbrach, und die alte Dame mutmaßlich von den ersten Schreien der Seemöwen geweckt wurde und sie mit einem Seufzer erwachte, (denn alles war, wie sie es sich wünschte oder erträumte) wusste sie, dass sie ihm auch heute nicht zuhören würde, sie würde ihn einfach nur anschauen und anschauen