Dr. Daniel sah sich um. »Ich weiß nicht so recht…« Er zögerte. »Weißt du, als junger Arzt habe ich immer von einer modernen Frauenklinik geträumt, aber jetzt… ich bin inzwischen einundfünfzig, habe meine Praxis, an der ich sehr hänge, und bin Direktor der Waldsee-Klinik. Im Grunde habe ich alles erreicht, was es für mich zu erreichen gibt, und vor allen Dingen – ich bin glücklich mit meiner Arbeit. Die meisten meiner Patientinnen kenne ich bereits seit vielen Jahren, sie haben Vertrauen zu mir… sie mögen mich, und das ist für mich sehr wichtig.«
Linda lächelte. »Die Patientinnen, die in diese Klinik kommen werden, werden dich auch mögen, Robert. Und sie werden zu dir kommen, weil sie dir vertrauen… weil sie wissen, daß du ihnen helfen wirst.«
»Ich?« Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich dafür der richtige Mann wäre.«
»Doch, Robert, das bist du ganz bestimmt«, bekräftigte Linda. »Du bist ein ausgezeichneter Gynäkologe – der beste, den ich kenne.«
Wieder schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Du kennst mich nicht, Linda – jedenfalls nicht in meiner Eigenschaft als Arzt.«
Da lächelte sie wieder. »Ach komm, Liebling, stell dein Licht nicht so unter den Scheffel. Dein Ruf als Arzt ist weit über die Grenzen Bayerns hinausgedrungen – vor allem, seit die Waldsee-Klinik steht. Innerhalb kürzester Zeit wurde bekannt, welche Erfolge ihr gerade bei Kinderwunschbehandlungen habt, und daran bist du ja nicht unmaßgeblich beteiligt. Immerhin war es ursprünglich deine Idee, Ehepaare gemeinsam zu behandeln.«
Dr. Daniel zog die Augenbrauen hoch. »Du bist ja erstaunlich gut informiert.«
Linda zuckte nur die Schultern, dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn durch eine Milchglastür in einen Seitenflügel der Klinik. Dort öffnete sie eine schwere, innen gepolsterte Eichentür auf der rechten Seite und ließ Dr. Daniel eintreten.
»Dies ist das Büro des Chefarztes«, erklärte Linda. »Und ich möchte, daß du an diesem Schreibtisch sitzen wirst, wenn die Klinik neu eröffnet wird.«
Dr. Daniel sah sich um. Das Büro war wie alles hier in der Klinik sehr exklusiv eingerichtet. Ein wuchtiger Schreibtisch aus Eiche, ein dunkler Ledersessel, schwere Samtvorhänge, die den Raum aber keineswegs düster erscheinen ließen. Dazu ein echter Perserteppich am Boden, der allein schon ein kleines Vermögen gekostet haben mußte. Und wieder fühlte sich Dr. Daniel fehl am Platz.
Er drehte sich zu Linda um. »Ich fühle mich sehr geehrt, daß du mir den Chefarztposten anbietest, aber ich weiß nicht, ob ich…«
»Überleg es dir«, fiel Linda ihm sofort ins Wort. »Bitte, Robert, denk über mein Angebot nach – solange du möchtest. Ob und wann die Klinik wiedereröffnet wird, liegt allein in deiner Hand.«
»Ob und wann…«, wiederholte Dr. Daniel nachdenklich, dann sah er Linda an. »Heißt das, daß du keinen anderen Arzt fragen wirst, wenn ich ablehnen sollte?«
Linda nickte. »Diese Frauenklinik ist das Beste, was es im Augenblick in Deutschland gibt. Und sie verlangt einfach den besten Chefarzt. Du bist der einzige, der das Format hat, um hier schalten und walten zu können. Wenn du ablehnst, werde ich die Klinik verkaufen.«
Dr. Daniel senkte den Kopf. »Damit läßt du mir ja überhaupt keine Wahl, Linda. Ich weiß doch, wie sehr du an der Klinik hängst.«
Liebevoll fuhr sie durch sein Haar. »Unsinn, Robert. Du bist doch das einzige, was für mich zählt. Ich liebe dich, und ich will, daß du dich ganz frei entscheidest. Allerdings…« Sie lächelte. »Lieber wäre es mir natürlich schon, wenn du den Chefarztposten annehmen würdest, aber ich würde das niemals zu einer Bedingung machen.«
Dr. Daniel dachte einen Augenblick nach, dann nickte er. »Gut, Linda, ich werde darüber nachdenken.« Noch einmal ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. »Ja, ich werde sogar sehr genau darüber nachdenken.«
*
Zumindest am ersten Tag nach seiner Rückkehr aus Trier blieb Dr. Daniel nicht viel Zeit, über das Angebot nachzudenken, das Linda ihm gemacht hatte, denn in seiner Praxis war die Hölle los. Seine Patientinnen gaben sich praktisch die Türklinke in die Hand, was Dr. Daniel nur zu deutlich bewies, wie beliebt er hier doch war. Er wußte allerdings, daß dieser Umstand ihm die Entscheidung nicht unbedingt erleichtern würde.
Wieder legte seine Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau eine Karteikarte auf seinen Schreibtisch und brachte gleich darauf auch die junge Patientin herein: Martina Sanders. Sie war in Tränen aufgelöst, was Dr. Daniel erschrocken aufstehen und zu ihr gehen ließ.
»Martina, was ist denn los mit dir?« fragte er besorgt.
»Ich bin schwanger!« stieß sie hervor.
Dr. Daniel seufzte, dann bot er dem jungen Mädchen Platz an. »Bist du sicher?«
Martina nickte. »Ihre Sprechstundenhilfe hat gerade einen Schwangerschaftstest gemacht.«
Dr. Daniel warf einen Blick in die Karteikarte und sah das rosa verfärbte Testblättchen, das Sarina hineingelegt hatte.
Jetzt wischte Martina die Tränen ab, putzte sich die Nase und sah Dr. Daniel bittend an.
»Ich kann das Baby nicht bekommen«, erklärte sie. »Ich bin erst sechzehn und gehe noch zur Schule. Und nach dem Abitur möchte ich studieren…«
»Es tut mir leid, das zu sagen, aber ich fürchte, diese Gedanken hättest du dir früher machen sollen«, fiel Dr. Daniel ihr ins Wort. »Zufällig habe ich von deiner Mutter erfahren, daß sie dir mehrmals geraten hat, mich aufzusuchen. Wir hätten uns ausführlich über die möglichen Verhütungsmethoden unterhalten und dann die beste für dich auswählen können. Dazu ist es jetzt aber zu spät.«
»Nein!« begehrte Martina auf. »Es gibt doch die Abtreibungspil-le!«
Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, da unterliegst du einem großen Irrtum, Martina. Was du meinst, ist die sogenannte Pille danach. Dabei handelt es sich aber keineswegs um eine Abtreibungspille. Es ist lediglich ein Verhütungsmittel, das spätestens vierundzwanzig Stunden nach dem Verkehr eingenommen werden muß. Dieses Medikament greift aber so vehement in den natürlichen Zyklus einer Frau ein, daß ich es dir auf gar keinen Fall verschrieben hätte. Du bist erst sechzehn, Martina, steckst also noch in der Entwicklung, und da würde ich dir keinesfalls einen solchen Hormonhammer verpassen.«
Wieder begannen bei Martina die Tränen zu fließen. »Dann müssen Sie eben abtreiben! Richie hat gesagt, daß er mich zum Teufel schickt, wenn ich das Baby nicht wegmachen lasse.«
»Dann ist dein Richie aber keine Mark wert, wenn ich das so sagen darf«, entgegnete Dr. Daniel ernst. »Immerhin war er es ja wohl, der dich dazu überredet hat, nicht zu mir zu kommen.«
Martina errötete tief. »Er sagte… es wäre Sünde, die Pille zu nehmen. Immerhin ist der Papst ja auch dagegen.«
»Ach!« Dr. Daniel zog die Augenbrauen hoch. »Aber ein Kind abzutreiben – das ist in seinen Augen keine Sünde? Wenn dein Richie tatsächlich so gläubig sein will, dann würde ich ihm raten, auch mal einen Blick in die Bibel zu werfen.«
Martina schluchzte auf. »Bitte, Herr Doktor, helfen Sie mir.«
»Ja, Martina, ich werde dir helfen«, antwortete Dr. Daniel sehr ernst. »Und zwar werde ich dir helfen, Adoptiveltern für dein Baby zu finden.«
Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrte das junge Mädchen ihn an. »Heißt das, ich soll die Schwangerschaft durchstehen? Und die Geburt?«
Dr. Daniel nickte. »So wird es wohl aussehen. Einen Schwangerschaftsabbruch nehme ich bei dir nämlich nur vor, wenn zwingende medizinische Gründe dafür vorliegen.«
Da stand Martina auf. »Wenn Sie mich von diesem Problem nicht befreien, dann zerstören Sie mir meine ganze Zukunft.«
»Nicht ich, Martina, sondern du selbst hast das getan«, entgegnete