Stefan seufzte, was von Manon mit einem erstaunten Blick zur Kenntnis genommen wurde.
»Das klingt ja, als wärst du über meine Antwort enttäuscht«, stellte sie ein wenig überrascht fest. »Dabei dachte ich eigentlich, daß du dar-über erleichtert sein würdest.« Sie lächelte. »Immerhin mußt du jetzt nicht mehr befürchten, daß du mich zur Stiefmutter bekommst.«
»Du wärst mir aber sehr viel lieber als diese Linda«, entfuhr es Stefan, dann errötete er. »So deutlich wollte ich eigentlich gar nicht werden.«
Manon atmete tief durch. »Ich habe schon bemerkt, daß sich zwischen deinem Vater und dieser fremden Frau, die vor ein paar Wochen hierhergekommen ist, eine ziemlich ernste Beziehung anbahnt.« Sie schwieg kurz. »Ich will ehrlich sein, Stefan, mir gefällt das auch nicht. Es ist nicht so, daß ich eifersüchtig wäre, aber…« Sie stockte, dann gestand sie aufblickend: »Ein bißchen Eifersucht ist wohl doch dabei. Ich habe dir vorhin schon gesagt, daß mir dein Vater sehr viel bedeutet, und ich fürchte, daß eine Freundschaft zwischen ihm und mir nicht mehr möglich sein wird, wenn er erst verheiratet ist… oder auch nur zu heiraten gedenkt.«
Stefan erschrak sichtlich. »Du glaubst also wirklich, daß er sie heiraten wird?«
»Du vielleicht nicht?«
Da senkte Stefan den Blick. »Ja, wahrscheinlich hast du recht. Diese Linda hat ihm total den Kopf verdreht.« Er seufzte. »Sie ist wunderschön, und sie hat auch eine gewisse Ähnlichkeit mit meiner Mutter, aber… Mama war so sanft und lieb. Linda dagegen… ihre Augen sind kalt.« Er schwieg kurz, dann fügte er leise hinzu: »Ich habe Angst um meinen Vater. Ich fürchte, daß er den größten Fehler seines Lebens begehen wird, wenn er diese Frau heiratet.«
*
Mein ganzes Leben, dachte Dr. Daniel, mein ganzes restliches Leben möchte ich an der Seite dieser Frau verbringen.
Gestern waren sie in Trier angekommen, und Dr. Daniel war hingerissen von der Villa gewesen, die Linda hier besaß. Es herrschte in den weitläufigen Räumen zwar nicht die Gemütlichkeit, die er von zu Hause her gewohnt war, aber trotzdem fühlte sich Dr. Daniel wohl. Vielleicht kam das ja auch daher, weil er hier in Trier zum ersten Mal mit der geliebten Frau völlig allein war. Er mußte nicht ständig Angst haben, daß Irene plötzlich hereinplatzte, während sie sich küßten, und er konnte ungeniert Hand in Hand mit Linda spazierengehen, ohne von irgendwelchen Dorfbewohnern erstaunt oder gar entrüstet angeschaut zu werden.
Dr. Daniel seufzte leise bei diesem Gedanken. Weshalb sollte es ihm denn nicht vergönnt sein, eine zweite Liebe zu erleben? Er war ja auch nur ein Mensch und hatte Gefühle, und er war doch viel zu jung zum Witwer geworden. Aber nur zu deutlich sah er Stefans Augen vor sich und erkannte die Mißbilligung darin.
Auch seine Tochter Karina war entsetzt gewesen, als sie von der Liebe ihres Vaters erfahren hatte. Sie hatte von Linda zwar noch keinen persönlichen Eindruck gewinnen können, weil sie nach wie vor in Freiburg studierte und erst in den Semesterferien wieder nach Hause kommen würde, trotzdem war sie über die Aussicht, möglicherweise eine Stiefmutter zu bekommen, nicht gerade erfreut gewesen. Sie hatte am Telefon auch gleich Bedenken geäußert, ob Linda wohl wirklich eine Kusine ihrer Mutter sei, aber Dr. Daniel vermutete, daß Irene ihr das eingeredet hatte. Seine Schwester war nämlich überzeugt davon, daß er einer Betrügerin auf den Leim ging. Allerdings nahm Dr. Daniel ihr das nicht übel, denn schließlich kannte er seine Schwester und wußte, daß sie nur besorgt um ihn war.
»Was machst du denn für ein Gesicht, Liebling?« fragte Linda besorgt, dann streichelte sie zärtlich durch sein dichtes blondes Haar. »Gefällt es dir bei mir nicht?«
Dr. Daniel zog sie sanft in seine Arme. »Doch, Linda, es gefällt mir sogar außerordentlich gut. Und ich bin überglücklich, weil wir endlich einmal ungestört sind.«
»Deine Schwester mag mich nicht besonders«, meinte Linda.
»Ja, leider«, antwortete Dr. Daniel, »aber das muß dich nicht kümmern. Irene wird sich daran gewöhnen, daß es in meinem Leben jetzt wieder eine Frau gibt. Auch Stefan und Karina werden das akzeptieren müssen. Schließlich leben die beiden ja ebenfalls ihr eigenes Leben.«
»Dieser Meinung bin ich auch«, stimmte Linda zu. »Deine Kinder sind erwachsen, und sie werden dich sicher nicht um Erlaubnis fragen, bevor sie sich binden.«
Irgend etwas an diesen Worten stieß Dr. Daniel ein wenig ab, doch er schob das unangenehme Gefühl, das ihn ergriffen hatte, gleich wieder beiseite. Schließlich hatte Linda keine eigenen Kinder und wußte daher nicht, wie sehr man mit ihnen lebte und litt. Wenn er nur an seine Tochter dachte, die sich damals so unglücklich in Wolfgang Metzler, den Chefarzt der Waldsee-Klinik, verliebt hatte. Und obwohl sie jetzt schon seit geraumer Zeit mit dem Schweizer Pianisten Jean Veltli verlobt war, hatte Dr. Daniel gelegentlich noch immer so seine Zweifel, ob sie diese unselige Liebe zu Wolfgang tatsächlich schon überwunden hatte.
Auch mit Stefan hatte er schon sorgenvolle Tage erlebt – damals, als er nach seiner Brasilien-Reise eine schwere Diphterie bekommen hatte. Und auch in Liebesdingen war Stefan das Glück bislang nicht gerade hold gewesen. Erst vor wenigen Monaten war seine Verlobung mit der jungen Assistenzärztin Rabea Gess-ner in die Brüche gegangen, was Stefan bestimmt noch nicht ganz verwunden hatte, auch wenn sich zwischen ihm und der Krankenpflegehelferin Darinka Stöber eine zarte Freundschaft zu entwickeln begann.
»Bist du schon wieder in Gedanken?« fragte Linda und riß ihn damit in die Wirklichkeit zurück.
»Ja, Liebes, tut mir leid«, meinte Dr. Daniel. »Ich mußte an die Kinder denken.«
Linda schmunzelte. »Du wirst doch nach einem Tag nicht schon Sehnsucht nach ihnen haben?«
»Nein«, antwortete Dr. Daniel, doch Linda spürte, daß es eigentlich eher ja bedeuten sollte. Robert Daniel war mit seiner Heimat und seiner Familie sehr verwurzelt. Das würde noch gewisse Schwierigkeiten mit sich bringen, dessen war Linda gewiß. Allerdings war sie auch fest entschlossen, diese Schwierigkeiten zu beseitigen. Dieser Mann mußte Chefarzt ihrer Klinik werden, und sie würde alle Hebel in Bewegung setzen, um dieses Ziel zu erreichen.
*
Am letzten Tag vor ihrer Rückreise nach Steinhausen fuhr Linda mit Dr. Daniel den bewaldeten Hügel hinauf, auf dessen Lichtung die Frauenklinik stand. Unwillkürlich hielt Dr. Daniel den Atem an, als er den herrlichen Bau erblickte. In weißgetünchter Sauberkeit stand er auf der ausladenden Lichtung und schien zu ihm herüberzugrüßen.
Dann hielt Linda ihren schnittigen Sportwagen vor dem Eingang und stieg mit geschmeidigen Bewegungen aus. Sie war ausgesprochen guter Dinge, denn natürlich hatte sie gleich gemerkt, welchen großen Eindruck diese Klinik auf Dr. Daniel gemacht hatte.
»Nun, willst du nicht hineingehen?« fragte sie überflüssigerweise.
»Natürlich!« bekräftigte Dr. Daniel. Er sah sich um und erkannte sofort die günstige Lage dieser Klinik. Die würzige Waldluft mußte jedem Kranken guttun. Dazu war da nur eine Privatstraße, also praktisch kein Verkehr, der die Luft verpesten oder die Ruhe stören würde.
Linda öffnete die breiten Doppeltüren und ließ Dr. Daniel dann vorangehen. Er betrachtete den kostbaren Marmorboden in der Eingangshalle und fühlte sich plötzlich fehl am Platz.
Zusammen mit Linda unternahm er einen Rundgang durch die Räume. Alles war aufs Modernste ausgestattet. Hier wurden einem Gynäkologen wirklich alle Möglichkeiten geboten. Die vorhandenen Apparate zur Untersuchung und Behandlung der Patienten ließen jedes Arztherz höher schlagen, und doch konnte Dr. Daniel keine rechte Begeisterung empfinden. Dieser Klinik fehlte die Menschlichkeit, die gerade er so sehr betonte und die seiner Meinung nach ganz außerordentlich wichtig für den Genesungsprozeß war.
»Nun? Was sagst du?« wollte Linda schließlich