»Na, na, Hedi – du hast schon allerlei Tollheiten angestellt. Und gut ging es auch nicht immer aus.«
»Hast recht, Vati, gestern hab' ich den Paul mächtig verprügelt; da war er so böse, daß er auf einen Baum kletterte, und dann ist er 'runtergefallen, und das Bein ist nun kaputt. – Das ist auch nicht gut ausgegangen.«
»Du mußt daher diese tollen Streiche in Zukunft unterlassen, Hedi.«
»Da bin ich dann aber kein Pucki mehr, und ich möchte gern euer Pucki bleiben.«
»Aber unser artiger Pucki, der seine Mutter nicht so ärgert, wie es der Waldpuck getan hat.«
»Was hat er denn gemacht?«
»Er sitzt auf den Bäumen, wirft mit Kienäpfeln und Eicheln, seine Mutter hat es ihm schon oft verboten, doch er hört nicht darauf. Darum hat sie ihn auch nicht wachsen lassen. So ist er immer ein ganz kleiner Junge geblieben.«
»Ich möchte aber ganz groß werden.«
»Groß werden nur artige Kinder.«
»Ach nein, Vati, Onkel Niepel hat gesagt, seine Jungens sind furchtbar unartig, und der Paul ist auch schon groß.«
»Na, der Paul, der paßt zum Pucki, er ist wie der Mucki.«
»Wer ist Mucki?«
»Die Waldfrau hatte außer dem Pucki noch ein zweites Kindchen, ein sehr eigensinniges Kindchen. Dem wuchs auf der Stirn ein Muckenhorn. – Du hast auch manchmal Mucken, das weißt du doch?«
»Wächst mir auch ein Horn auf der Stirn?«
»Bis jetzt noch nicht. – Aber dem Mucki von der Waldfrau ist das Horn gewachsen.«
»Kann man den Mucki auch mal sehen?«
»Solch kleine Waldgeister sind für uns Menschen meistens unsichtbar. Wenn aber ein Kind mal sehr unartig ist, kommt der Mucki, tippt es auf die Stirn, und dann wächst ihm auch solch ein Horn.«
»Wie den Ziegenböckchen.«
»Ich denke, unsere kleine Hedi wird ein liebes Mädchen sein, keine tollen Streiche machen wie Pucki und auch nicht so eigensinnig sein wie Mucki.«
»Ich möchte gar zu gern die Kinder von der Waldfrau mal sehen. Vati, nimmst du mich bald mal mit in den allerdunkelsten Wald?«
»In unserem Wald ist kein Pucki und auch kein Mucki.«
»Na«, sagte Hedi erleichtert, »dann kann er ja auch nicht kommen und mit dem Finger auf die Stirn tippen. – Dann ist's ja gut.«
»Na, na, sieh dich nur vor. Der Mucki kommt schnell mal durch die Luft geflogen, und wenn du unartig bist, kann es schlimm ausgehen.«
»Wird schon nicht schlimm ausgehen«, beharrte Hedi. Aber den ganzen Vormittag über dachte sie doch an die Kinder der Waldfrau. Heute nachmittag, wenn sie wieder zum Paul fuhr, wollte sie ihm von den beiden Waldgeistern erzählen.
Der Vater, der mit Harras in den Wald gegangen war, kam heute früher als sonst heim.
»Biste schon da, Vati?«
»Ja, mein Kind, Onkel Oberförster wird sogleich kommen, er will den Vati sprechen.«
»Mit dem Auto?«
»Wahrscheinlich.«
»Oh – dann darf ich wieder drücken, und es tutet!«
»Das sollst du nicht, Hedi.«
»Wenn er's doch so furchtbar gern hat, er lacht dann immer.«
Zehn Minuten später fuhr Oberförster Gregor bei dem Forsthaus vor. Er war ein freundlicher, älterer Herr, der das kleine Mädchen zur Begrüßung hoch emporhob und hin und her schwenkte.
»Darf ich mal drücken?«
»Du meinst an der Hupe? – Na ja – komm!«
Hedi strahlte, als sie die Hupe wohl zwanzigmal nacheinander ertönen lassen durfte. Schließlich kam der Vater hinzu, und der Spaß hatte ein Ende. Während die beiden Herren im Forsthause saßen, schlich das Kind erneut hinaus, kletterte über den verschlossenen Wagenschlag und begann abermals mit dem herrlichen Konzert. Die Mutter kam herbei und untersagte dem Töchterlein diese Spielerei.
»Das Auto gehört dem Onkel Oberförster. Du wirst die Hupe entzweimachen. Komm heraus, man darf nicht an die Sachen anderer Leute gehen.«
Sehr betrübt folgte Hedi der Mutter, die die Kleine nochmals eindringlich ermahnte, die Autos nicht zu berühren.
»Es würde dir auch nicht gefallen, Hedi, wenn ein anderer deine Spielsachen nähme.«
»Ein Auto ist aber kein Spielzeug, Mutti, sondern ein großer Wagen.«
Große Freude gab es am heutigen Vormittag für das kleine Mädchen. Oberförster Gregor erklärte sich bereit, die Kleine nach dem Niepelschen Gutshause zu fahren, dort abzusetzen und nach einer halben Stunde, in der er eine Besichtigung vorzunehmen hatte, wieder ins Forsthaus zurückzubringen.
»Du kannst dich gleich nach deinem kranken Spielkameraden umsehen«, sagte der Vater. »Wer weiß, ob heute eine Gelegenheit wäre, hinaus aufs Gut zu fahren.«
Hedi war überglücklich. Sie durfte direkt neben dem Oberförster ganz vorn sitzen, durfte an der Hupe drücken und sogar einmal das Steuerrad anfassen, an dem der Onkel drehte.
»Fürchtest du dich nicht, wenn wir durch den Wald fahren?«
»O nein, wir fürchten uns nicht, Onkel.«
»Wenn aber ein Hirsch oder ein Reh kommt?«
Hedi lachte. »Das sind gar liebe Tierchen, sie haben mich gerne.«
»Wenn aber der Schornsteinfeger kommt – fürchtest du dich dann?«
»Wir fürchten uns nicht, Onkel Oberförster. Alle die lieben grünen Bäume passen auf, daß Hedi nichts passiert.«
»Bist du aber ein tapferes kleines Mädchen. Das ist brav von dir. Du spielst wohl sehr gern mit den Niepelschen Jungen?«
»O ja, sehr gern!«
»Vielleicht bekommst du auch nächstens ein kleines Brüderchen oder ein Schwesterchen. Dann brauchst du nicht erst auf das Gut zu fahren, dann kannst du daheim mit dem Brüderchen tollen.«
»Aber dann möchte ich ein Brüderchen, so wie der Fritz ist, nicht so einen frechen Jungen wie der Paul.«
»Erst bekommst du ein ganz kleines Brüderchen, noch viel kleiner als die Dora.«
»Nein, Onkel, so klein möchte ich es nicht, dann schreit es immer gleich wie die Dora. Ich möchte ein Kindchen haben, mit dem ich gleich Verstecken spielen kann. Wir gehen dann zusammen in den Wald.«
»Deine Mutti will erst ein ganz kleines Kindchen haben.«
»Ach, die Mutti ist sehr gut, ich werde ihr sagen, wir möchten gleich ein großes Kindchen, dann wird sie es schon machen.«
»Du mußt auch mit einem kleinen Schwesterchen zufrieden sein, Hedi.«
»Dann möchte ich schon lieber ein Paar Klotzpantinen und kein Schwesterchen, das immerzu schreit. – Oder ein Schmalzbrot von der Gans mit ohne Wurst.«
»Du hast recht merkwürdige Wünsche, kleines Mädchen. – Nun schau, gleich sind wir da.«
Hedi griff nach der Hupe und ließ sie mehrmals laut ertönen. Lachend hob der Oberförster das Kind aus dem Wagen, begrüßte Frau Niepel herzlich und sagte, daß er die Kleine bei seiner Rückkehr in einer knappen Stunde wieder abholen würde, um sie zurück ins Forsthaus zu bringen.
Paul war sehr erfreut, als er die Spielgefährtin erblickte. Der Arzt hatte tatsächlich einen Knöchelbruch festgestellt und das Bein des Knaben in Gips gelegt. Selbstverständlich schmerzte der Bruch, und Paul begann