Auch die Brüder waren traurig. Sie drückten sich in einem Winkel zusammen. Die Kinder malten sich die Zukunft Pauls in den schrecklichsten Farben aus.
»Nun ist er auch ein Hinkeldei«, meinte Walter.
»Aber ganz abgebrochen hat er sich das Bein doch nicht«, meinte Hedi, »es hing noch dran, ich hab' es gesehen.«
»Nun kann er nicht in die Schule gehen.«
»Hat der es gut!«
»Ach nein – der Paul hat es gar nicht gut. Das gebrochene Bein tut ihm mächtig weh. Und dann ist er immer ein Hinkeldei, und die anderen lachen über ihn.«
»Sie werden alle hinter ihm herrufen: Hinkeldei – Hinkeldei!«
»Das dürfen sie nicht«, rief Hedi kampfbereit, »dann haue ich sie!«
So saßen die Kinder wohl eine volle Stunde besorgt zusammen. Der Arzt kam und ging wieder, erst dann durften die drei hinein zu dem blassen, weinenden Spielgefährten.
»Ich will es nicht wieder sagen«, schluchzte Paul. »Nun bin ich schwer gestraft. – Es hat so weh getan!«
»Wirst du nu immer ein Hinkeldei sein?«
»Ich weiß nicht – ach, es tut so weh!«
Während die beiden Brüder das Zimmer wieder verließen, zog Hedi ein Stühlchen heran und setzte sich an das Bett des Kranken.
»Weine nicht, Paulchen, ich schenke dir auch ein Osterei. Und du wirst auch nicht immer ein Hinkeldei sein. Unser Männe hat sich auch mal das Bein gebrochen, und er ist auch kein Hinkeldei. Der Vater hat ihm das Bein geflickt, jetzt springt er wieder in der Stube und im Wald umher. – Mußt nicht weinen, Paulchen, ich bin ja hier.«
»Es tut doch so weh!«
»Soll ich dir eine Geschichte erzählen? Dann tut es nicht mehr so weh. Von der Traumfee oder der Waldfee?«
»Nun muß ich so lange im Bett liegen – –«
»Dann brauchst du nicht in die Schule«, flüsterte Hedi dem Knaben zu. »Die anderen müssen hin, und du kannst zu Hause bleiben. – Paulchen, ich komme immerfort zu dir und erzähle dir was Schönes. – Willst du?«
Mit einem verlegenen Blick schaute Paul auf das kleine Mädchen, das er vor kurzem gescholten hatte. Jetzt empfand er es wohltuend, daß Hedi neben ihm saß und lieb mit ihm sprach. Dabei hatte er sie doch wegen der Ostereier belogen.
»Bist du mir böse?«
»O nein – du hast doch ein zerbrochenes Bein, da werde ich dir doch nicht böse sein. – Nu schlaf recht schön, ich will dir was vorsingen.«
»Wenn nur das Bein nicht so weh täte.«
»Wenn ich singe, tut es nicht mehr weh.« Dann begann die Kleine von dem schwarzen und dem weißen Schaf zu singen. Doch Paul hatte kein Verlangen, die Augen zu schließen. – Schließlich kam die Mutter herein, die gerührt an der Tür stehen blieb, als sie Hedi sah, die dem Spielkameraden mit einem Handtuch die Augen auswischte, weil er wieder zu weinen begonnen hatte.
»Du sollst doch nicht weinen, sonst weine ich auch.«
Frau Niepel schloß die kleine Hedi gerührt in die Arme und küßte das Kind zärtlich.
»Du bist ein braves Krankenmütterchen; Paul ist dir sehr dankbar dafür. Wirst du ihn nun auch öfters besuchen? Er muß lange im Bett bleiben.«
»Ja, ich besuche ihn so lange, bis er kein Hinkeldei mehr ist.«
Als Hedi am heutigen Tage Abschied nahm, drückte ihr Paul herzlich die Hand wie nie zuvor.
»Ich habe dich gern, Pucki, ich werde auch nicht mehr häßlich zu dir sein. Komm bald wieder!«
Sie versprach es. Dann fuhr sie sorgenvoll auf dem kleinen Wagen nach dem Forsthause zurück.
»Du mußt recht langsam fahren, sonst bricht sich das weiße Pferdchen auch ein Bein. – Oh, es war sehr schlimm!«
»Ist ihm recht geschehen, dem Paul! Der liebe Gott hat ihn gestraft.«
Hedi warf einen sorgenvollen Blick zum blauen Himmel hinauf.
Es geht schlimm aus
Als Hedi gegen Mitternacht erwachte, schien der Mond in vollem Glanz auf ihr Bett. Ein Weilchen blinzelte das Kind zum Himmel hinauf, dann entfuhr ihm ein tiefer Seufzer. Was mochte wohl der arme Paul machen, der mit so großen Schmerzen im Bett lag? Morgen, wenn wieder die Sonne schien, wollte Hedi zu ihm fahren, am Bett des kleinen Freundes sitzen und ihn trösten.
Das Kind warf sich unruhig hin und her. Schließlich kletterte es aus dem Bettchen und trippelte ans Lager der Mutter. Sie schlief, und Hedi betrachtete beim Mondenschein das liebe, freundliche Gesicht.
»Schläfst du sehr schön, Mutti? – Ist die Traumfee bei dir?«
Frau Sandler schlug die Augen auf und blickte erschrocken auf den kleinen Hemdenmatz, der in helle Freude ausbrach, als er die Mutter wach sah. Der Vater wurde gleichfalls munter.
»Aber Hedi, was willst du denn, du sollst schlafen.«
»Ach, Vati, der Mond ist auf mein Bett gefallen und hat mir zugelacht. – Ob der Paul auch den Mond sieht?«
»Unser kleiner unartiger Puck bist du wieder einmal. Marsch ins Bett!«
»Mutti – warum nennst du mich manchmal Hedi und dann wieder Puck? Der Paul heißt doch immer nur Paul?«
»Weil du wie ein kleiner Waldgeist nachts umherläufst. Gerade so, wie es der andere Puck getan hat.«
»Welcher andere Puck, Mutti?«
Hedi machte den Versuch, ins Bett der Mutter zu steigen, doch Frau Sandler wehrte ab.
»Geh zurück in dein Bettchen und schlafe, sonst erkältest du dich, und es könnte schlimm ausgehen.«
»Es geht nicht schlimm aus, Mutti, wenn ich in deinem Bett bin.«
»Morgen früh«, sagte der Vater streng, »darfst du kommen. Jetzt marsch zurück ins Bett!«
»Erzählst du mir morgen früh von dem anderen Puck?«
»Ja – doch nun schlafe.«
Hedi kletterte zurück in ihr Bettchen, blinzelte dann nochmals hinauf zum Mond und sagte:
»Guck mal, Mutti, der Mond macht heute ein liebes Gesicht.«
»Er wird gleich ein böses Gesicht machen, wenn du nicht still bist.«
Zehn Minuten später schlief das Kind wieder, wachte aber auf, als draußen die ersten Vöglein ihr Frühlingslied sangen. Auch jetzt spähte Hedi zu den Betten der Eltern hinüber; sie warf sich hin und her, um Vati und Mutti zu wecken. Gar zu gern hätte sie die Geschichte von dem anderen Puck gehört, jenem Waldgeist, der auch ihren Namen trug.
Kaum hatte die Mutter die Augen aufgeschlagen, da war das Kind da und kletterte in ihr Bett.
»Du bist wirklich ein kleiner Irrwisch«, tadelte die Mutter.
»Ich bin Hedi-Pucki. – Erzähle mir die Geschichte vom Pucki.«
»Nun paß mal gut auf«, sagte der Vater. »Als du noch viel kleiner warst als heute, bist du schon solch unruhiges Mädchen gewesen und hast deine Mutter nachts nicht ruhen lassen. Dann bist du uns am Abend öfters in den Wald gelaufen, und wir haben dich