»Woher weißt du das?«
»Ich habe noch Freunde beim Militärgeheimdienst. Wir unterhalten uns ab und zu, wenn auch nicht mehr so oft wie früher, denn ich trinke inzwischen keinen Alkohol mehr. Die Jungs wollten mir einen Gefallen tun, man weiß ja auch nie, wann man selbst mal einen braucht. Laut deren Informationen sollten die Kerle ihre Strafe in einer Vollzugsanstalt in der Arktis verbüßen, mitten in der Eiswüste. Die Überlebensspanne in diesem Camp wird auf fünf Jahre geschätzt. Mehr braucht man wohl nicht zu sagen.«
»Also haben die beiden Paititi auch nicht gefunden?«
»Nein. Sonst wären sie garantiert nicht in ihre Heimat zurückgekehrt und dort so in Ungnade gefallen, dass sie in den Knast wanderten.« Jack leerte seinen Kaffee. »Aber das ist alles Vergangenheit.«
»Trotzdem habt ihr eure Namen geändert, also war die Gefahr wohl noch nicht ganz vorbei.«
»Auch wenn diese beiden Dreckskerle im Endeffekt im Gulag gelandet sind, gibt es ein Restrisiko. Und das mit den Namen und dem Umziehen war schon zwei Jahre vorher geschehen.«
»Wie hat das mit den Russen denn angefangen?«
»Sie sind kurz vor der letzten Reise an deinen Vater herangetreten und haben vorgeschlagen, gemeinsame Sache zu machen. Also, eigentlich war es eher eine Drohung. Ich war bei diesem Gespräch dabei, das wurde ganz schön haarig. Denn es gibt zwei Dinge, die du über deinen Vater wissen musst: Er war dickköpfig wie ein Esel, und Drohungen konnte er gar nicht leiden. Wie gesagt, es wurde haarig.« Jack schaute Drake fordernd an. »Ich würde mal behaupten, in Sachen Sturheit stehst du ihm in nichts nach.«
Drake ignorierte diese Feststellung. »Mein Vater hat also zwei Ex-KGB-Killern den Marsch geblasen?«
»So was hatte ich bis zu dem Zeitpunkt noch nie gesehen. Er muss gedacht haben, er sei kugelsicher. Der Mann kannte einfach keine Angst – leider, muss ich im Nachhinein hinzufügen. Schließlich haben alle ihre Waffen gezückt und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Lage nur deswegen nicht eskaliert ist, weil sie ihn lebend brauchten. Aber diese Situation hat mir klar gemacht, dass die Gefahr nie vorbei sein würde, solange diese beiden noch lebten. Dein Vater hat mir auch direkt im Anschluss das Versprechen abgerungen, dass deine Mutter und Patricia untertauchen müssten, falls ihm irgendwas zustoßen sollte. Er hat mir Briefe gegeben, die ich den beiden im Ernstfall persönlich aushändigen sollte. Es war, als hätte er es kommen sehen …«
»Das mit den Namensänderungen verstehe ich ja. Aber es will mir nicht in den Kopf, dass erwachsene Männer glauben können, dass eine Stadt aus Gold existieren kann, die jahrhundertelang nicht entdeckt wird!«
»Es glauben aber viele an die Legende. Auch ich halte mich bei den Entwicklungen auf dem neuesten Stand. Nach dem Tod deines Vaters hat zum Beispiel ein italienischer Forscher den Bericht eines spanischen Missionars irgendwo im Jesuitenarchiv in Rom gefunden. Darin war die Rede von unermesslichen Reichtümern im Dschungel – Edelsteine, Gold, das ganze Programm. Der Spanier hatte wohl einen guten Draht zu den Indianern, und sie haben ihm davon erzählt. Nur natürlich nichts über die genaue Lage.«
»Glaubst du daran?«
»Tja weißt du, ich war am Anfang auch höchst skeptisch und bin inzwischen felsenfest überzeugt. Natürlich hauptsächlich aufgrund der Überzeugungskraft deines Vaters – dass der Schatz existiert, dass er eine gute Vorstellung davon hatte, wo – und dass es nicht nur möglich ist, ihn zu finden, sondern dass er derjenige sein würde, dem das gelänge. Bedeutet das, dass es wirklich wahr ist? Natürlich nicht. Würde ich meine Farm darauf verwetten? Aus dem Alter bin ich raus. Aber wenn du mich fragst, ob es irgendwo im Dschungel am Arsch der Welt eine Inka-Stadt voller Reichtümer gibt, ist die Antwort ein vorsichtiges Ja.«
»Vorsichtig? Wieso das denn? Das passt doch irgendwie gar nicht zu einem Elitesoldaten?«
»Als junger Bursche geht man genug Risiken ein, doch dann erlebt man so einiges und beginnt langsam, die Bedeutung der eigenen Sterblichkeit zu begreifen. Wie alt bist du?«
»Sechsundzwanzig.«
»Ja, an die Zeit kann ich mich gut erinnern. Du bist bloß ein paar Jahre älter als Allie. Wenn man jung ist, dann hält man sich für unsterblich und hat das Gefühl, dass man alle Zeit der Welt hat, um sein Leben zu leben. Aber wenn man erst mal so ein alter Sack wie ich geworden ist, dann versteht man, dass es keine Garantien gibt. Wenn ich morgen den Sonnenaufgang sehen kann, dann ist das ein Geschenk, kein Recht.« Jack räusperte sich. »Und jetzt kannst du mal ein paar Fragen von mir beantworten. Wie hast du mich gefunden? Da gibt es doch eigentlich gar keine Chance. Ich habe keine Vorstrafen, nicht mal offene Parkzettel. Ich bin immer sauber geblieben, wohne mitten im Nirgendwo. Mein nächster Nachbar ist eine halbe Meile entfernt. Wie hast du das geschafft?«
Drake schilderte seine Karriere als Kopfgeldjäger und die umständliche Prozedur, die er durchlaufen hatte, um ihn zu finden.
Jack musterte ihn mit einem wissenden Blick. »Siehst du, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm! Dein Vater war sich sicher, dass er Paititi finden würde – dass er alles und jeden finden könnte. Ob du es glaubst oder nicht, bei dir ist es haargenau das Gleiche.«
Drake zuckte mit den Schultern, dieser Vergleich war ihm unangenehm. »Ich kann immerhin davon leben.«
»Das glaube ich dir aufs Wort. Aber wenn man bedenkt, wie schlau dein alter Herr war, bin ich etwas überrascht, dass du kein Doktor oder Anwalt oder so was geworden bist. Wie bist du denn bei den Kopfgeldjägern gelandet?«
»Da bin ich versehentlich reingestolpert.«
»Wenn man Imbisskoch ist oder Autoverkäufer, dann kann man da versehentlich reingestolpert sein. Aber Kopfgeldjäger gibt es nicht viele. Hast du nicht studiert?«
»Doch. Ich habe ein Diplom für Journalismus, das taugt prima, um Hamsterkäfige auszulegen. Es ist heutzutage verdammt schwer, einen Job in dem Bereich zu finden. Die Zeitungen machen eine nach der anderen dicht. Und woanders ist es auch nicht besser, selbst bei Fast-Food-Restaurants bildet sich eine Schlange, wenn da ein Job frei wird! Kompletter Wahnsinn.«
»Es geht alles den Bach runter, das unterschreibe ich dir.«
»Dann hat mir ein Kumpel den Tipp gegeben, dass sein Bruder Hilfe braucht in seiner Kautionsfirma. Ich habe dort ein paar Wochen Praktikum gemacht – unbezahlt natürlich – und habe die Grundlagen gelernt. Im dritten Monat habe ich meinen ersten Flüchtigen geschnappt, das hat mir sechstausend Dollar gebracht. Einen Monat später den nächsten, da waren es viertausend. Wieder 'nen Monat drauf waren es dann zehn Riesen. Da war die Sache für mich klar.«
»Klingt jetzt nicht so nach dem richtigen Job für dich. Nimm es mir nicht übel, aber du siehst nicht aus wie einer, der es mit Hundertfünfzig-Kilo-Gorillas aufnehmen kann.«
»Täusch dich da mal nicht. Ich habe in der Schule gerungen und anschließend Kampfsport trainiert. Ich sage ja nicht, dass es mir leicht fällt, aber meine Brötchen kann ich damit verdienen.«
Allie kam herein und sah auf die Uhr. »Apropos Brötchen, bleibt er zum Essen hier?«, fragte sie Jack.
Jack schielte zu Drake hinüber. »Und? Du hast die junge Dame gehört. Bleibst du zum Essen?«
Drake warf Allie sein schönstes Lächeln zu und erntete völlige Ignoranz. Trotzdem beschloss er, es sich nicht zu Herzen zu nehmen.
»Das wäre großartig. Brauchst du Hilfe in der Küche?«
»Ich wollte nur ein paar Fertiggerichte in die Mikrowelle schieben. Das kriege ich schon hin.« Sie machte auf dem Absatz kehrt.
Jack schüttelte den Kopf. »Nimm es nicht persönlich. Sie hatte es schwer in letzter Zeit, war so ähnlich wie bei dir. Kein Job in Sicht. Ein Arschloch