Donegal Daniel O’Flynn, sein Schwiegervater – der alte Mann zeigte manchmal wirklich schon richtige Verkalkungserscheinungen, obwohl er in Kämpfen so manchen jungen Specht noch in die Tasche steckte. Und das trotz Holzbein und Krücken!
Da war nur sein unausgesetztes Gemäkel. Gerade seit dem Zusammentreffen mit Siri-Tong hatte er sich zu einem richtigen Meckerbeutel vom Dienst entwickelt.
Er hockte immer noch auf der Kuhlgräting. Widerwillig ließ er die Prozedur des Maßnehmens und des Herumfummelns an seinem Beinstumpf über sich ergehen. Er vollführte dabei Gesten, als wolle er Ferris Tucker und Will Thorne wie lästige Fliegen wegscheuchen.
„Ihr Hornochsen“, sagte er. „Dauert das noch lange? Beim Geier, ich bin doch kein Weib, das ihr angrapschen könnt, wie’s euch gefällt. Habt ihr einen Sonnenstich, oder was ist los? Ferris, mach das bloß nicht falsch. He, Will, du siehst ja aus wie eine Kuh kurz vorm Kalben. Was glotzt du immer so zu dem Scheiß-Piratenschiff hinüber?“
So ging das fast pausenlos. Aber auch der alte O’Flynn schickte dann und wann einen Blick zu dem Zweimaster hinüber.
Ahnte er, daß der Frieden nicht lange andauern würde?
Das Beiboot der „Isabella“ ging längsseits der Backbordwand des Zweimasters. Von oben wurde eine Festmacherleine geworfen. Blacky fing sie geschickt auf und knotete sie fest. Dann enterten sie an der ausgebrachten Jakobsleiter hoch, allen voran Shane.
Shane schwang sich über das Schanzkleid und war auf Deck des Piratenschiffes. Und da waren sie wieder, die zwölf Gestalten, bei deren bloßem Anblick nicht nur Landratten das kalte Grausen kriegten. Da war Juan, da war Sidi Mansur, da war Bill, der Bogenschütze. Batuti hatte ihn bei dem Wettkampf besiegt, bei dem es um die Übergabe der „Isabella“ gegangen war. Auch der riesige Kerl, den sie den Schlächter nannten, befand sich auf Oberdeck. Er war im Zweikampf mit der Axt gegen Ferris Tucker der Unterlegene gewesen. Hatte er die Niederlage verwunden? Er stand mit verschränkten Armen und musterte die Ankömmlinge. Nichts in seiner Miene ließ auf Freude oder Widerwillen schließen.
Da waren auch die anderen acht Piraten, und nach wie vor verspürten die Seewölfe das Unbehagen, das sie von Anfang an in Gesellschaft dieser Kerle empfunden hatten. Die hatten keine Skrupel, die gingen kompromißlos brutal und wie Bestien vor.
Ein Korsar war da anders. Nicht, daß er sich selbstherrlich als „etwas Besseres“ empfand – nein, ein Korsar Ihrer Majestät, der Königin von England, war gleichfalls auf Kaperfahrt aus und nahm den Spaniern weg, was sich ihnen entreißen ließ. Aber er kämpfte mit Fairneß und metzelte beispielsweise keinen Gegner nieder, der bereits die Flagge gestrichen hatte.
Siri-Tongs Kerle taten das. Sie waren zwar Verbündete der Seewölfe geworden. Doch der Vorbehalt, mit dem sich beide Seiten begegneten, schloß eine echte Freundschaft aus.
Big Old Shane grüßte die Piraten knapp, dann schritt er auf Siri-Tong zu. Die Frau hatte soeben das Achterkastell des Schiffes verlassen. Stolz hielt sie den Kopf erhoben und blickte den Männern der „Isabella“ aus ihren schräggestellten schwarzen Augen entgegen. Das lange schwarze Haar umfloß ihr Gesichtsoval, dann wurde es von der Brise erfaßt und ein wenig zerzaust.
Offenbar hatte sie sich umgezogen. Sie trug eine jener verwaschenen, eng anliegenden Hosen, in der Hasard und seine Männer sie auch kennengelernt hatten. Ihre Füße steckten in den üblichen weichen Stiefeln, deren obere Ränder umgeschlagen waren.
Die rote Bluse hatte sie diesmal mit einer weißen vertauscht. Von ihrem schlanken Hals ab war sie zwei oder drei Knöpfe weit geöffnet. Shane vermochte gar nicht zu zählen, wie viele Knöpfe das waren, denn er war viel zu fasziniert von dem, was die Bluse barg: hochsitzende Brüste, prall wie Pfirsiche. Die hatten kein Mieder nötig, brauchten nicht gestützt zu werden, hätten das als eine Art Beleidigung empfunden. Sie waren einfach da, straff und schön, und die Kronen zeichneten sich deutlich unter dem Stoff ab. Shane fühlte, wie sein Herz schneller schlug.
Siri-Tongs übriger Körper war genauso vollkommen proportioniert wie die Brustpartie. Sie hatte eine schlanke Taille, weich gerundete Hüften und Beine, die in ihrer Länge und Geradlinigkeit an die Läufe eines Rehes erinnerten. Aber sie war nicht nur Körper – sie hatte ein Gesicht, das in seiner Ebenmäßigkeit und seinem tiefen Ausdruck einzigartig zu sein schien.
Exotischer Zauber war darin zu lesen, Stolz, manchmal etwas Hoheitsvoll, aber auch Versonnenheit und Sentimentalität. Es kam ganz auf die Situation an.
Shane blieb stehen. Matt war dicht hinter ihm. Er trat Shane glatt auf die Hacken.
„Mensch“, sagte Big Old Shane. „Kannst du nicht aufpassen?“ Er blickte sich kurz um. Matt, Blacky, Stenmark, Smoky, Jeff und Bob schienen geistig weggetreten zu sein. Sie hatten nur noch Augen für die Rote Korsarin. Jeff stolperte fast über ein Tau. Hinter seinem Rücken lachte jemand kehlig. Es war der Schlächter. Jeff hörte nicht darauf.
Eine Frau unter fast drei Dutzend Vollblutmännern – ein unerträglicher Zustand!
Dennoch, Shane bemühte sich, die Fassung zu behalten und Disziplin zu bewahren.
„Der Seewolf schickt uns, Madame“, sagte er. „Ihr Schiff hat eine Reparatur am dringendsten nötig. Deshalb sollen wir hier anfangen. Ferris Tucker und Will Thorne kommen nach, wenn Old O’Flynns Holzbein fertig ist.“
Siri-Tong lächelte, und Shane kam sich ein wenig albern vor.
„Und Hasard?“ sagte sie. Ihre Stimme klang hell. Silberhell, fand Big Old Shane.
Alter Trottel, schalt er sich selbst, dann antwortete er: „Der ist drüben auf der ‚Isabella‘ geblieben.“
„Ja, das sehe ich. Aber er stattet mir doch noch einen Besuch ab, oder?“
„Madame, ich glaube – er ist im Moment sehr beschäftigt, nehme ich an.“
„So?“ Siri-Tongs Gesichtsausdruck hatte plötzlich etwas Rabiates. „Ach, so ist das. Eigentlich gehört es sich ja für einen englischen Kavalier, seine Mitstreiterin nach einem gewonnenen Kampf zu besuchen. Aber so fein scheint er nun auch wieder nicht zu sein, der edle Seewolf.“
„Madame“, sagte Shane.
„Ja, lassen wir das. Juan, John, Bill und ihr anderen, ihr unterstützt diese Männer nach Kräften. Daß sich ja keiner auf die faule Haut legt, bis der verdammte Kahn nicht wieder einigermaßen aufgeklart ist, verstanden? Danach habt ihr immer noch genügend Zeit zum Pennen.“
Die Piraten murmelten durcheinander, aber keiner erhob einen Einwand. Siri-Tong gehörte dem sogenannten schwachen Geschlecht an, schön und gut. Aber sie wußte sich Respekt zu verschaffen. Im Degenfechten hatte sie bisher noch keiner übertrumpft – wie im Schwimmen. Die wilden Kerle weigerten sich also nicht, mit zuzupacken, obwohl sie noch von den durchstandenen Strapazen erschöpft waren.
„Wir unternehmen als erstes einen Rundgang durch das gesamte Schiff und sehen, wie viele Lecks es hat“, sagte Shane.
Siri-Tong fixierte ihn. „Was meinen Sie, Shane, müssen wir es aufs Trokkene legen, um es gründlich zu überholen?“
„Das glaube ich nicht. Wir schaffen es auch so. Wenn es Lecks unterhalb der Wasserlinie gibt, können wir eventuell auch mit Tauen krängen, die wir bis zum Ufer ausfahren und dort belegen. Das ist auf jeden Fall einfacher, als hier ein Schiff aufs Trockene zu legen.“
Die Rote Korsarin blickte zu den himmelhoch aufragenden Lavafelsen. Es gab nur ein schmales Stück Sandstrand, und dort würde man schwerlich Helling und Stapelklötze plazieren können, um den Zweimaster aufzudokken.
Sie nickte. „Gut. Ich danke für die Hilfe, Shane. Wenn einer meiner Männer nicht pariert, melden Sie mir das bitte, ja? Da Sie uns schon behilflich sind, soll sich meine Mannschaft wenigstens auch dort ins Zeug legen, wo sie mit zupacken kann.“
„In Ordnung“, erwiderte Shane höflich. Er hatte gar nicht gewußt,