Last Hope. Inka Loreen Minden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inka Loreen Minden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783963700439
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      Der Tumber kroch hinter den Wagen hervor, um der Frau durch die zerborstene Scheibe in den Supermarkt zu folgen. Blake schlich in ausreichendem Abstand hinter ihm her, hielt sich aber immer hinter den Regalreihen versteckt. Der Tumber beobachtete die Frau und Blake den Tumber.

      Seit Blake vor einigen Tagen die junge Frau bemerkt hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken als an sie. Er fand sie wunderschön. Mit seinem Fernglas hatte er hinter einem Busch gelegen, während sie an einem sehr heißen Tag mit dem Jungen ein Bad im großen See des Parks genommen hatte. In ihrer schwarzen Unterwäsche machte sie eine wirklich gute Figur. Ihr Körper, den die harten Lebensbedingungen geformt hatten, wirkte schlank und gut durchtrainiert, hatte aber nichts von seiner Weiblichkeit eingebüßt. Ihre Brüste waren gerade passend für seine Hände und ihr Po rund und fest. Fasziniert hatte er sie beobachtet, wie sie erst dem Jungen und dann sich selbst die Haare gewaschen hatte. Wie gerne hätte Blake seine Finger in ihrer Mähne vergraben, damit er ihren Duft inhalieren konnte. Sicherlich hatte sie wundervolle, weiche Haut und Finger, die ihn zärtlich liebkosen konnten. Es war schon so lange her, dass er die Nähe einer Frau gespürt hatte. Für ihn war sie vollkommen, obwohl sie ihre schmalen Lippen immer verbissen zusammenpresste. Sie entspannten sich nur, wenn sie ihrem Sohn ein Lächeln schenkte. Ein wirklich bezauberndes Lächeln – falls der Junge wirklich ihr Kind war.

      Doch er durfte seine Gedanken nicht abschweifen lassen. Ein paar Meter weiter lauerte der Tumber, der ihn bis jetzt noch nicht bemerkt hatte, weil er auf die Frau fixiert war. Sein widerlicher Gestank drang ihm bis hierher in die Nase. Ein Wunder, dass die Frau die schlaksige Kreatur noch nicht gerochen hatte. Wie viele von ihnen hatte Blake bei seinen Streifzügen durch die Stadt schon getötet? Er wusste es nicht mehr. Er hatte diese Erinnerungen so weit es ging verdrängt. Aber eines konnte er mit Sicherheit sagen: Es gab mehr Tumber als normale Menschen. Tumber – so nannte man die, die sich mit dem Virus infiziert, aber die Krankheit überlebt hatten. Vielleicht als eine mögliche Folge der Impfung. Doch der Erreger hatte sie verändert, große Teile des Gehirns zerstört, sie in seelenlose Hüllen verwandelt, die lediglich ihren Trieben folgten. Das Leben eines Tumber bestand nur aus Schlafen, Essen und Lust befriedigen. Sie waren sehr gefährlich, unberechenbar und gewalttätig. Und dieser Tumber wollte die Frau. Doch die würde er niemals bekommen. Blake wollte sie für sich. Er brauchte sie unbedingt, wenn er seine Mission weiter verfolgen wollte.

      ***

      Keena schlich zwischen den Regalen umher, während sie das ungute Gefühl hatte, verfolgt zu werden. Möglichst lautlos holte sie verschiedene Lebensmittel aus den Ständern und verstaute sie so vorsichtig wie möglich in den Taschen ihres Rucksacks: Trockene Kekse, Chips und Bonbons für Kevin. Die roten mit der sauren Füllung, die er so sehr liebte. Keena holte die letzten drei Packungen heraus, wobei sie sich immer wieder umsah. Ihr kam es vor, als würde sie Blicke in ihrem Nacken spüren, sobald sie sich wieder den Lebensmitteln zuwandte. Das leise Knistern der Bonbon-Tüten jagte ihr kalte Schauder über den Rücken. Oder war es schon der Schüttelfrost? Sie fühlte sich müde und erschöpft.

      Ein paar Reihen weiter versorgte sie sich mit Konservendosen: gezuckertes Obst, allerlei Gemüse, Suppen und Eintöpfe. Außerdem brauchte sie aus der Camping-Abteilung noch eine neue Gas-Kartusche für ihren Kocher.

      Sie legte alles in den großen Rucksack, verschnürte ihn sicher und hievte sich anschließend das schwere Ding auf den Rücken. Der Rucksack schien eine Tonne zu wiegen und ihre zitternden Knie wollten bei jedem Schritt nachgeben. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn. Doch ihr geschwächter Körper musste noch ein bisschen durchhalten. Kevin wartete auf sie.

      Mühsam schleppte sie sich weiter, schulterte ihren Bogen und schnappte sich links und rechts je ein Sechserpack Wasser – noch einmal 12 Kilo mehr.

      Wie soll ich das bloß alles die Treppen raufbringen? Ich muss mindestens zweimal gehen und zur Apotheke muss ich auch noch, dachte sie, als sie die verschweißten Packungen mit den Plastikflaschen aus dem Fenster fallen ließ. Mit einem dumpfen Geräusch landeten sie im hohen Gras. Zum Glück befand sich der Mega-Store nur ein paar Minuten von ihrem Zuhause entfernt. Doch es konnte nicht mehr lange dauern, da würde sie die Kensington-Road runterlaufen müssen, wo der nächste Laden stand, wenn sie noch was Anständiges zum Essen haben wollten.

      Im Mega-Store bediente sie sich jetzt schon über ein Jahr, denn der Supermarkt war riesig und die Lager gut gefüllt gewesen. Kevin und sie schienen die einzigen Menschen in diesem Stadtviertel zu sein, die sich dort versorgten. Ein paar Tumber eingeschlossen. Doch seit sie vor einem halben Jahr ein verrücktes Mädchen erschossen hatte, die ihr Kevin wegnehmen wollte, hatte sie kein Tumber mehr belästigt. Die meisten von ihnen ließen sich nur noch nachts blicken, da ihnen das Tageslicht in den Augen zu schmerzen schien, weshalb sie sich bevorzugt in Kellern oder fensterlosen Lagerhäusern versteckten.

      Keena hatte jetzt noch beim Einschlafen die schrecklichen Bilder vor Augen: Die irre Fratze des Mädchens, das vielleicht erst 17 Jahre alt gewesen sein mochte, wie sie versucht hatte mit einem Messer auf sie einzustechen, um an ihr Kind zu kommen, und wie Keena ihr einfach in den Bauch geschossen hatte. Niemals würde sie den Anblick vergessen, wie das Blut aus der Schusswunde sickerte und die Kleidung der jungen Frau dunkelrot verfärbte, bis sie schließlich vornüber zusammengebrochen war.

      Und dann war da noch die Sache mit dem Mann. Aber daran wollte sie nie wieder denken.

      Schwerfällig kletterte Keena über die Fensterbank und verlor plötzlich das Gleichgewicht. Der schwere Rucksack zog sie nach unten, woraufhin sie neben den Flaschen im weichen Gras landete. Mühsam befreite sie sich von den Gurten und beschloss, eine Weile liegen zu bleiben. Sie fühlte sich so ausgelaugt und kraftlos wie lange nicht mehr. Zu gerne hätte sie ihre »Einkäufe« in einen Wagen gepackt, damit sie diese zu sich nach Hause schieben konnte, doch die kleinen harten Räder veranstalteten auf dem rauen Asphalt ein ohrenbetäubendes Geratter, das vielleicht die Tumber anlocken würde. Sie war heilfroh, dass diese Zombies ihr Versteck im Penthouse noch nicht entdeckt hatten.

      Als sie zum blauen Himmel aufblickte und die weißen Wolken beobachtete, die ruhig und friedlich über ihr dahinzogen, befiel sie eine unendliche Müdigkeit. Langsam wurden ihre Augen schwer, aber Keena versuchte dagegen anzukämpfen. Sie musste zurück zu Kevin! Doch gerade als sie sich erschöpft aufsetzte, stürzte ein dunkler Schatten aus dem Fenster direkt auf sie und presste alle Luft aus ihren Lungen. Sie merkte bloß noch, wie alles um sie herum schwarz wurde.

      ***

      Blake hatte nur gesehen, wie der Tumber durch das Fenster gesprungen war, auf der anderen Seite aber nicht mehr aufstand. Hatte er ihn bemerkt und wartete nun lauernd darauf, dass Blake heraus kam? Und wo war die Frau? Hatte sie den Supermarkt schon verlassen? Verdammt, er hatte sie aus den Augen verloren!

      Während ihm viele Fragen durch den Kopf schwirrten, vernahm er plötzlich seltsame, kehlige Laute unterhalb des Fensters, die eindeutig vom Tumber stammten. Hatte er sich verletzt? Weshalb stand er nicht auf? Blake musste der Sache auf den Grund gehen. Mit vorsichtigen Schritten näherte er sich dem Fenster, wobei er sich wunderte, warum keine Glasscherbe am Boden lag. Doch gleich darauf fiel ihm die Antwort ein: Die Frau hatte sie mit Sicherheit beseitigt, damit sich ihr Kind daran nicht verletzen konnte. Schließlich folgte ihr der Kleine auf Schritt und Tritt. Nur die letzten drei Tage hatte er ihn nicht zu Gesicht bekommen, weshalb Blake sich schon gefragt hatte, ob dem Jungen etwas zugestoßen war. Er hoffte es nicht – für die Frau. Er hatte diese schmerzhafte Erfahrung am eigenen Leib zu spüren bekommen. Es gab nichts Schlimmeres, als sein Kind zu verlieren.

      Als Blake mit gezogener Waffe über den Fenstersims lugte, verkrampfte sich sein Magen vor Wut. Verdammt, er hätte die Frau im Auge behalten sollen!

      Der hagere Tumber saß auf ihr und machte sich an ihrer Kleidung zu schaffen. Dabei grunzte er lustvoll, als er ihr das Shirt hochschob, um ihre Brüste zu entblößen. Ohne zu zögern sprang Blake über den Rahmen und riss den Zombie von ihr herunter. Verflucht, warum bewegte sich die Frau nicht?

      »Was hast du mit ihr gemacht, du widerliches Monster?«, schrie er die Kreatur an, wobei seine Stimme erschreckend laut durch die leeren Straßen hallte. Straßen, die einmal erfüllt waren von Menschen und rollenden Fahrzeugen.