Sie konnte gleich zu ihm fahren und fand ein Taxi, dessen Fahrer sich sehr gut in der Stadt auskannte.
*
Zu der Zeit unterhielten sich Viktoria und Michelle über Marc. Michelle erzählte genau, wie die Begegnung mit Lebrun verlaufen war.
Sie konnte jetzt dabei lachen, und Viktoria fand es auch amüsant, wie geistesgegenwärtig Marc reagiert hatte.
»Ich habe gleich gemerkt, daß er tief beeindruckt von dir war, Michelle. Ich bin froh, daß du einen Menschen zur Seite hast, auf den du dich verlassen kannst.«
»Er kann bestimmt ein guter Freund sein«, sagte Michelle.
»Und welche Wohnung nimmst du vorerst?«
»Die, von der wir gestern schon sprachen. Sie hat eine Einbauküche und Einbauschränke. Ich brauche also nur ein Bett, einen Tisch und zwei Stühle. Wenigstens vorerst.«
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Auf ein Zeichen von Viktoria meldete sich Michelle.
Gleich hielt sie den Atem an. »Maman – du bist in München?« fragte sie konsterniert.
Ihr Blick wanderte zu Viktoria. »Maman ist in München und will mit dir sprechen.«
»Sie soll kommen, ich will sie doch auch kennenlernen.«
Michelle gab das weiter und legte den Hörer dann zurück. »Es überrascht mich sehr, daß sie so schnell nach München kommt. Sie klang bedrückt, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.«
»Wir werden zusammen Tee trinken, und wenn sie dann mit dir allein sein will, steht dem nichts im Wege. Für mich ist sie nicht nur deine Mutter, sondern auch die Frau, die mein Sohn geliebt hat, daran zweifle ich nicht.«
Und so war auch der Empfang. Beide Hände streckte Viktoria Madeleine entgegen.
»Herzlich willkommen! Endlich lernen wir uns kennen.«
»Danke, Madame«, sagte Madeleine mit erstickter Stimme.
»Du kannst ruhig Mama sagen oder Viktoria, aber wir sollten uns nicht fremd bleiben, Madeleine. Ich liebe Michelle, und ich möchte, daß wir uns auch verstehen, du und ich.«
»Das möchte ich auch.« Es fiel ihr nun leichter, sich erst das von der Seele zu reden, was sie so sehr bedrückte. »Du darfst nie denken, daß Claude in meinem Sinne handelt, wenn er an dich herantritt«, flüsterte sie bedrückt, »aber er läßt es sich nicht ausreden.«
»Wir haben ja einen guten Anwalt«, erwiderte Viktoria.
Michelle erwähnte dann Lebruns Besuch.
»Hast du mit ihm geredet, Maman?«
»Ich habe ihn abgewiesen, ich hatte bedauert, daß ich ihm damals sagte, daß du in Nizza bist. – Ja, ich weiß, daß Claude manchmal mit ihm telefoniert hat. Damals sagte er aber, daß das kein Mann für dich wäre und er würde dafür sorgen, daß er verschwindet, aber er ist nicht wählerisch, wenn er jemanden benutzen kann. Ich kenne ihn heute besser als zu jener Zeit, als ich ihn geheiratet habe. Man macht auch noch Fehler, wenn man älter ist. Ich weiß heute besser denn je, daß ich nur Viktor geliebt habe.«
Sie hatten sich sehr viel zu sagen, und Madeleine war nun auch viel entspannter.
Michelle hatte mit Marc telefoniert und ihn gebeten, für Madeleine ein Hotelzimmer zu buchen. Er kam gegen sieben Uhr. Als Michelle ihm die Tür öffnete, nahm er sie spontan in die Arme und küßte sie. »Davon habe ich den ganzen Tag geträumt«, raunte er ihr ins Ohr.
Was sollte sie da noch sagen?
Madeleine wirkte schon sehr erschöpft, und als Marc sagte, daß er in einer sehr guten Pension in der Nähe ein Zimmer hatte reservieren lassen, wollte sie sich gleich verabschieden.
»Ich muß auch noch in Paris anrufen, ob Claude eine Nachricht hinterlassen hat«, sagte sie. »Sehen wir uns morgen noch einmal?«
»Ich hoffe doch, daß wir uns noch öfter sehen, Madeleine. Ruh dich erst aus, es war ein anstrengender Tag«, sagte die Baronin.
Auch für sie war es anstrengend gewesen. Sie hatte nichts dagegen, daß Michelle und Marc Madeleine zur Pension bringen wollten.
Es war ein sehr gepflegtes Haus, und Madeleine bekam ein schönes Zimmer.
»Bleibt noch ein paar Minuten«, bat sie, »ich will nur schnell hören, wie es in Paris aussieht.«
Es war gut, daß sie blieben. Von Claude selbst war keine Nachricht gekommen, dafür aber eine Hiobsbotschaft aus Venezuela. Die Maschine, mit der Claude von Puerto Rico nach Caracas geflogen war, wurde als abgestürzt gemeldet, war aber bisher noch nicht gefunden worden.
Madeleine war wie erstarrt. »Ich habe es geahnt, daß er nicht mehr wiederkommt«, sagte sie tonlos, »irgendwie habe ich es vorhin gespürt, als der Himmel sich so blutigrot färbte.«
»Das war das Abendrot, Mama«, sagte Michelle.
»Ich habe es nie so bedrohlich gesehen vor den schwarzen Wolken.«
»Ich werde bei dir bleiben, Maman«, sagte Michelle.
»Das ist nicht nötig. Ich komme schon zurecht. Ich habe nur nicht geahnt, daß sich meine Probleme auf diese Weise lösen würden.«
*
Als die Nordens nun als komplette Familie mit einer guterholten Lenni aus dem Urlaub zurückkehrten und feststellten, daß die paar Tage auf der Insel die erholsamsten waren, wartete ein ganzer Sack voller Neuigkeiten auf sie.
Natürlich freute es sie am meisten, daß zwischen der Baronin und Michelle größte Harmonie herrschte und bereits eifrig Zukunftspläne geschmiedet wurden.
Der unerwartete Tod von Claude d’Aubert brachte einige Unruhe in Madeleines Leben, die auch nicht ganz spurlos an Michelle und Viktoria vorbeigehen sollte. Von seinem Nachlaß würde nach Erfüllung aller Verbindlichkeiten nicht viel übrig bleiben, wenn auch Madeleines eingebrachtes Kapital erhalten blieb.
Wenn alles in Ordnung gebracht war, wollte Madeleine nun auch nach München übersiedeln, nachdem ihr lange genug zugeredet worden war. Viktoria hatte es ihr damit schmackhaft gemacht, daß sie beide dann nicht einsam wären, wenn Michelle heiraten würde.
Daß sie nicht mehr dagegen war, zeichnete sich schon ab, wenn sie mit Marc zusammen war.
Ihre Pläne nahmen schon konkrete Formen an. Madeleine konnte die Wohnung übernehmen, für die sich Michelle entschieden hatte. Sie hatten sich bereits ein Haus angesehen, das auch nicht weit entfernt war.
Viktoria wollte jedenfalls dort bleiben, wo sie sich eingelebt hatte, und das wurde auch von Dr. Norden gutgeheißen, der ein langes Gespräch mit Michelle hatte.
Sie wollte ihre Lebensweise nicht verändern, sie wollte nur wenigstens noch eine Zeit Großmutter sein dürfen, und sollte es ihr vergönnt werden, vielleicht noch Urgroßmutter zu werden, bliebe kein Wunsch für sie offen.
»So müssen Sie es sehen, Michelle. Und da sie dann auch Madeleine in der Nähe haben wird, schließt sich der Kreis. Sie hat ihre kleine eigene Welt, ihr werdet eure haben. Ich denke doch, daß Sie nicht mehr so ehefeindlich sind.«
»Nein, das bin ich nicht mehr, es kommt nur auf den richtigen Mann an. Dennoch möchte ich einen Krankenpflege-Kurs machen, falls Großmama doch mal Hilfe braucht.«
»Vorerst besteht kein Anlaß zur Sorge. Man sieht, was innere Zufriedenheit ausmacht. Aber so ein Kurs kann nicht von Schaden sein. Es ist immer gut, wenn man genau weiß, was zu tun ist, wenn jemand krank wird, vor allem auch bei Kindern«, fügte er mit einem versteckten Lächeln hinzu. »Ich gebe Ihnen ein paar Adressen, und ansonsten freut es uns immer, gute Neuigkeiten zu erfahren.«
Darauf