»Ich kann nicht lügen. Ich habe es im Gefühl, das Maman mich eines nicht mehr fernen Tages verstehen wird.«
»Du darfst es ihr nicht übelnehmen, daß sie geheiratet hat. Sie war lange allein und ist nun in einem Alter, wo man die Jahre doch zu spüren beginnt. Man möchte noch etwas vom Leben haben, man möchte spüren, daß man eine Frau ist.«
»Du bist sehr tolerant, Großmama. Ich hätte nichts gegen eine Heirat gehabt, wenn es ein anderer Mann gewesen wäre. Es gab einige Männer, die Maman verehrten.«
Ein Lächeln legte sich um Viktorias Lippen. Sie ist wie ihr Vater, entweder ganz oder gar nicht, dachte sie.
»Du bist Viktor sehr ähnlich«, stellte sie fest.
»Darüber bin ich froh.« Durch die Fotos lernte sie alle Entwicklungsstufen ihres Vaters kennen.
*
Fee hatte Conchita angerufen und von ihr von dem herzlichen Empfang vernommen. Nun war sie beruhigt und konnte die letzten Urlaubstage auch noch genießen.
Daniel machte sich weniger Gedanken.
Männer waren nun mal so, Conchita sagte das auch von Constantin.
Madeleine hatte vergeblich auf einen Anruf von Michelle gewartet. Sie war enttäuscht und betrübt. War denn zwischen ihnen eine solche Kluft entstanden, daß sie in Michelles Leben keine Rolle mehr spielte, seit sie von ihrer Großmama wußte? Oder war es tatsächlich Claudes Schuld, daß sich Michelle so distanzierte?
Madeleine atmete auf, als er zur Reise nach Südamerika rüstete. Sie mußte seine Sachen heraussuchen, nachsehen, ob alles in Ordnung war.
Er scheuchte sie herum, aber sie schluckte auch seinen Kommandoton.
»Du tust ja gerade so, als würdest du zu einem Staatsempfang fahren«, sagte sie anzüglich.
»Das kann doch auch sein. Ich habe Großes vor, meine Liebe, und wenn wir erst bekanntgeben, daß wir mit einer deutschen Baronin verwandt sind, werde ich auch in der deutschen Großindustrie Fuß fassen.«
O Gott, das nicht auch noch, dachte Madeleine.
»Du wirst also nach München fliegen und der Baronin sagen, was Sache ist. Wenn ich zurückkomme, soll Vorarbeit geleistet sein.«
»Bedenke, daß die Baronin eine alte Dame ist, die keine Geschäftsinteressen hat.«
»Sie wird hoffentlich bald das Zeitliche segnen. Dann sehen wir weiter.«
Er war sich wohl gar nicht bewußt, wie brutal das klang. Oder doch? Seine Augen waren eiskalt, als er sie ansah.
»Jetzt kannst du auch mal etwas für mich tun, Madeleine.«
Madeleine verbiß sich lieber eine Antwort. Sie wollte jetzt keinen Streit vom Zaune brechen.
»Soll ich dich zum Flughafen bringen, Claude?« fragte sie.
»Lieber nicht. Der Gedanke, wie mein neuer Wagen zugerichtet werden könnte, wenn du am Steuer sitzt, verursacht mir Magenbeschwerden. Ich fahre lieber mit dem Taxi.«
»Ist mir auch recht.«
Er warf ihr einen schrägen Blick zu. »Nun sei nicht schon wieder beleidigt.«
»Ich bin nicht beleidigt.«
Was war zwischen ihnen nur für ein Ton eingerissen, seit Claude von der Baronin wußte?
Das Taxi war da, Claude hielt sich nicht lange beim Abschied auf. Sie war seltsamerweise sehr erleichtert, als sie die Tür hinter ihm schloß. Der Druck, der sie schon seit gestern quälte, wich aus ihrem Kopf. Jetzt konnte sie daran denken, sich nach einem Flug nach München zu erkundigen. Sie suchte sich einen günstigen Flug für Freitag aus. Sie wollte nicht abends in München ankommen, denn das war eine ihr völlig fremde Stadt. Mittags war es besser, dann konnte sie sich ein Hotel suchen, das nicht zu teuer war. Sparsam war sie immer noch. Sie suchte nach der Karte, die dieser Peter Henkel ihr dagelassen hatte. Er konnte ihr in München bestimmt weiterhelfen, und da war doch auch noch Dr. Norden, von dem er gesprochen hatte.
Wie mochte die Baronin sein? Das wollte Madeleine doch zu gern wissen. Viktor hatte von seiner Mutter sehr liebevoll gesprochen.
Madeleine fuhr sich über die Augen. Sie meinte, Viktor vor sich zu sehen, mit seinem umwerfenden Lächeln.
Oh, sie hatte ihn geliebt!
Er war die große und einzige Liebe ihres Lebens gewesen, und deshalb hatte sie sein Kind ganz für sich allein haben wollen.
Für sie hatte seine Herkunft keine Rolle gespielt, nie war sie berechnend gewesen.
Es wäre ihr sogar lieber gewesen, wenn er von einfacher Herkunft gewesen wäre, dann hätte es auch für ihn keine Konflikte gegeben.
Hatte es ihn in eine Konfliktsituation gebracht, als sie schwanger gewesen war?
In ihrer Freude auf das Kind hatte sie daran überhaupt nicht gedacht. Zugegeben hatte er es nicht. Er hatte mehrmals gesagt, daß sie so bald wie möglich heiraten müßten, aber dann war der Tod seines Vaters dazwischengekommen.
Erst jetzt dachte Madeleine ohne Emotionen darüber nach. Erst der Tod des Vaters, drei Monate später geschah das Unglück und Viktor wurde ihr genommen. Nur der Gedanke an das Kind hatte sie am Leben erhalten, schließlich ihre Verzweiflung verstummen lassen.
Sie hatte lange zwischen Traum und Tag gelebt, wenn man ihren Zustand so bezeichnen wollte. Sie hatte erst vierzig werden müssen, um zu erkennen, daß das Leben auch anders sein konnte, als nur Erinnerung und zerstörte Träume.
Da war Claude in ihr Leben getreten, ein Mann, der genau wußte, wie man eine Frau gewinnen konnte, aber ernst hatte sie diesen Flirt nicht genommen, wenn es auch ein heißer Flirt gewesen war.
Dann war man plötzlich an sie herangetreten, die Grundstücke, die schon seit Generationen der Familie gehört hatten, zu verkaufen.
Man hatte ihr gesagt, daß sie eigentlich wertlos wären, wenn sie nicht genutzt würden.
Da war sie allerdings geschäftlicher schon erfahrener gewesen und hatte mit Claude darüber gesprochen. Er hatte es in die Hand genommen.
Siehe da, er brachte gleich in Erfahrung, daß dort ein Ferienclub größeren Ausmaßes geplant wurde, da die Lage dafür ideal war. Er hatte die Verträge gemacht und einen Betrag herausgeschlagen, von dem sie nicht mal hätte träumen können.
Aber dann war es plötzlich auch nicht nur ein Flirt oder ein Verhältnis! Jetzt wollte er sie heiraten.
Jetzt waren sie drei Jahre verheiratet, und sie begriff langsam, daß es ihm vor allem um Geld ging. Sie war eine Beigabe, eine Frau, die immer präsent war, sich aber nie in seine Angelegenheiten mischte.
So gefiel es ihm, und Madeleine gefiel es, daß sie ein sorgenfreies Leben führen konnte in einer Gesellschaft, in der sie respektiert wurde.
Als sie am nächsten Vormittag das Haus verlassen wollte, um noch einige Einkäufe für die Reise zu tätigen, stand plötzlich Denis Lebrun vor ihr.
»Sie schon wieder!« sagte sie leicht gereizt. »Michelle will nichts von Ihnen wissen.«
»Das sah nicht so aus, als ich sie in Nizza traf. Sie war nur sehr beschäftigt. Dann hörte ich, daß sie ihre Stellung aufgegeben hätte. Bitte, geben Sie mir eine Chance, ihr zu erklären, daß sie für mich die einzige Frau ist, die ich liebe.«
»Michelle würde nicht auf mich hören. Sie trifft ihre Entscheidungen ganz allein. Wenn Sie es ernst meinen, müssen Sie sich schon weiterhin selbst um sie bemühen. Ich habe jetzt keine Zeit, ich verreise morgen.«
»Treffen Sie Michelle in nächster Zeit?«
»Vielleicht treffe ich sie, aber ich mache mich nicht zu Ihrer Fürsprecherin. Michelle wird triftige Gründe haben, wenn sie Sie zurückweist.«