»Jawohl, jawohl,« bekräftigte Frau Ferber mit einem Seufzer: »fürs erste verdanke ich ihm eine stürmische, freudenlose Kindheit; denn meine Mutter war ein liebenswürdiges, schönes aber bürgerliches Mädchen, das mein Vater gegen den Willen seiner Verwandten geheiratet hat. Diese sogenannte Mißheirat wurde eine Quelle endloser Kränkungen und Leiden für die arme Bürgerliche. Mein Vater war nicht willensstark genug, um mit jener stolzen Hauptlinie derer von Gnadewitz zu brechen und nur für seine Frau zu leben. Aus dieser Schwäche entstanden zahllose Konflikte zwischen meinen Eltern, die mir nicht verborgen bleiben konnten … Nun, und wir,« sie reichte ihrem Manne die Hand über den Tisch hinüber, »wir werden wohl die Kämpfe nie vergessen, welche wir durchmachen mußten, ehe wir uns gehören durften … Ich möchte nie wieder in jene Kaste zurückkehren, die, um dem äußeren Glanze und der Form zu genügen, so oft das warme, menschliche Fühlen unbarmherzig zertritt.«
»Das sollst du auch nicht, Marie,« beruhigte lächelnd Ferber, indem er ihre Hand drückte. Er warf einen schelmischen Seitenblick auf seinen Bruder, der mächtige Dampfwolken vor sich her blies und sich vergebens bemühte, die Stirn in düstere Falten zu legen.
»Ach, meine schönen Aussichten!« seufzte dieser endlich in komischer Wehmut. »Else, du bist grausam und thöricht. Du bedenkst nicht, was ich dir für ein Herrenleben verschaffen kann, wenn ich Oberforstmeister bin … und du ein gnädiges Fräulein – nun, lockt dich das nicht?«
Elisabeth schüttelte lachend, aber energisch den Kopf.
»Und wer weiß,« nahm Miß Mertens das Wort, »ehe man sich dessen versähe, klopfte irgend ein edler Ritter von tadellosem Geblüt an das alte Gnadeck und holte die hochgeborne Goldelse als gnädige Frau heim.«
»Und Sie glauben, ich würde mit ihm gehen!« rief Elisabeth heftig und ihre Wangen flammten in hoher Röte.
»Ei, warum denn nicht? … wenn Sie ihn liebten …«
»Nie, niemals!« entgegnete das junge Mädchen mit fast erstickter Stimme, »auch wenn ich ihn liebte . – Ich würde dann nur um so unglücklicher sein in dem Gedanken, daß der Nimbus meines Namens schwerer in die Wagschale gefallen sei, als mein Herz; daß in den Augen jenes Mannes alles Streben nach geistiger Höhe und moralischer Tüchtigkeit wertlos zusammensinke vor einem Schemen, den erbärmliche Menschensatzungen mit trügerischem Goldschaume bekleiden!«
Frau Ferber heftete einen erstaunten Blick auf ihre Tochter, in deren Zügen sich plötzlich alle Spuren einer tiefen Gemütsbewegung zeigten. Der Oberförster dagegen klemmte seine Pfeife zwischen den Zähnen fest und klatschte in seine gewaltigen Hände.
»Else, Goldkind!« rief er endlich. »Na, gib deine Hand her, bist ein wackerer Kämpe durch und durch! … Ja, auch ich sage, Gott behüte mich, daß ich die Zahl derer vermehre, die um ihres persönlichen Vorteils willen ihren ehrlichen Namen aufgeben … Gelt, Adolf, wir machen das Kirchenbuch in der kleinen schlesischen Dorfkirche, wo wir getauft worden sind, nicht zu schanden, wir schreiben unseren Namen fort und fort, wie er dort eingetragen?«
»Und wie er ein halbes Jahrhundert hindurch in Freud’ und Leid uns treulich begleitet hat,« bekräftigte Ferber mit seinem ruhigen Lächeln. »Das Dokument werde ich für diesen hier,« – er legte seine Hand auf den Lockenkopf des kleinen Ernst – »unseren Stammhalter, aufheben, bis er selbst ein eigenes, reifes Urteil hat. Ich kann und darf jetzt nicht für ihn entscheiden; aber ich werde ihn zu lenken wissen, daß er es dereinst vorzieht, seinen Weg durch eigene Kraft zu gehen, und nicht, träge auf dem Lotterbette alter Traditionen und Ungerechtigkeiten liegend, Vorrechte genießt, die allein nur das edle Streben krönen sollten … Die Gnadewitze haben auf ihrer langen Laufbahn der Welt nichts gegeben, dafür aber um so mehr genommen; sie mögen modern in ihrer Gruft, und ihr unverdient berühmter Name mit ihnen!«
»Sela!« rief der Oberförster und klopfte seine Pfeife aus. Er stand auf. »Jetzt wollen wir gehen,« sagte er zu seinem Bruder, »und Rücksprache mit dem Lindhofer Pfarrer nehmen. Der Platz unter den schönen Linden auf unserem Dorfkirchhofe gefällt mir tausendmal besser, als die drei düsteren Wände da droben, zwischen denen unsere Stammmutter lange Jahre hat ruhen müssen. Und damit die ›schwere, kalte Erde‹ ihren Sarg nicht berühre, wollen wir das Grab ausmauern und mit einem Steine verschließen lassen.«
Er entfernte sich, von Ferber und Reinhard begleitet, und während die Mutter und Miß Mertens den Juwelenkasten in Sicherheit brachten, stieg Elisabeth die Leiter am Erker in die Höhe, schob die Bretter hinweg und schlüpfte hinab in das verborgene Gemach. Ein feiner Strahl der Abendsonne fiel schräg durch einen rubinroten Glasstreifen des Fensters und warf auf den Namen »Lila« einen blutigen Schein. Lange stand das junge Mädchen mit gesenktem Haupte und gefalteten Händen neben dem einsamen Totenschreine, in welchem jenes heiße Herz schlief seit dem Augenblicke, da sein Jammer ein Ende hatte und in Grabesstille verhallte. Jahrhunderte waren vorübergeflogen; sie hatten all den hinreißenden Zauber jenes kurzen Daseins, die stürmischen Gefühle, durch die es seinen Untergang fand, hinweggespült, als sei all das nie gewesen, und doch wähnte das junge Herz, das bang und unruhig inmitten der stillen Totenkammer klopfte, sein inneres Stürmen könne niemals verhallen.
17.
Das Ereignis auf Gnadeck war schon im Lindhofer Schlosse ruchbar geworden, noch bevor Reinhard dasselbe betrat. Die Maurer hatten auf ihrem Nachhausewege durch den Park einem Bedienten die wunderbare Geschichte erzählt, worauf diese, von Mund zu Mund laufend mit Blitzesschnelle zu den Damen des Hauses gedrungen war und dort beinahe die Wirkung einer hereinfallenden Bombe gehabt hatte.
Es war ein Lieblingsthema der Frau Baronin, die Lehre vom blauen Blute in ihrer Untrüglichkeit zu beweisen. Sie behauptete, mittels einer sehr feinen, empfindlichen Organisation das Vorhandensein dieses bevorzugten Lebensstromes zu erkennen, herauszufühlen an Personen, deren Namen sie noch nicht einmal wußte. Es war somit ganz natürlich, daß sie auch jedes versprengte edle Tröpfchen in plebejischen Adern scharfsichtig erkannte. Aus dem Grunde gab sie auch stets bereitwillig zu, daß die »kleine Ferber« etwas Distinguiertes in ihrer Erscheinung habe, als das unleugbare Erbteil ihrer adlig geborenen Mutter … Dem Oberförster gegenüber hatte sich jedoch jene untrügliche Stimme immer so mäuschenstill verhalten, daß es ihr nicht im Traume eingefallen wäre, ihm für seinen Gruß anders zu danken, als mit einem Kopfnicken nach der Schablone für Niedrigstehende. Ja, im edeln Zorne darüber, daß dieser ungeschliffene Mensch und Gottesverächter seiner Nichte Bertha die ferneren Schloß- und Bibelstundenbesuche verboten hatte, war sie zum öfteren so weit gegangen, zu behaupten, man sähe ihm seine gemeine Abkunft auf hundert Schritt Distanz an … Und nun sollte gerade er ihren hundertmal erprobten Spürblick für aristokratisches Blut zu schanden machen! Er war der Abkömmling eines berühmten Geschlechts, war der Träger eines Namens, den der Nimbus feudalen Glanzes bis in die fernste Zeit zurück umschwebte!
Freilich lag eine große Beruhigung für sie in dem Gedanken, daß das edle Blut durch bürgerliche Heiraten während zweier Jahrhunderte unkenntlich geworden sei. Sie sprach dies in sehr lebhafter Weise gegen Fräulein von Walde aus, die, still auf ihrem Ruhebette liegend, mit einem feinen spöttischen Lächeln die Aufregung der Baronin beobachtete. War es nun das persönliche Interesse für die Familie Ferber, oder ein vorurteilsfreier Standpunkt der jungen Dame, von welchem aus sie ihrer Kousine die kleine Lehre gönnte, genug, sie richtete sich auf und sagte lebhaft, nicht ohne eine leichte Beimischung von Schärfe. »Verzeihe, aber das ist ein kleiner Irrtum, Amalie … Ich weiß ganz genau, daß die Frau des Forstschreibers nicht die einzige Adlige ist, die