Schweigend und atemlos lauschten die Damen den Ausbrüchen eines heißen, leidenschaftlichen Herzens. Elisabeth saß blaß und still da, aber als die Stelle kam, die so plötzlich ein grelles Licht auf das dunkle Stück Vergangenheit ihrer Familie warf, da fuhr sie jäh in die Höhe, und ihr Auge richtete sich voll unsäglicher Ueberraschung auf das lächelnde Gesicht des Onkels, der sie erwartungsvoll beobachtete. Auch Frau Ferber blieb eine Weile, nachdem der Vorleser geendet hatte, wie betäubt. Für ihren klaren, gewöhnlich sehr ruhig erwägenden Geist war diese romantische Lösung einer jahrhundertealten Familienfrage im ersten Augenblicke unfaßlich. Miß Mertens aber, der Ferber erst die ganze Tragweite der Entdeckung auseinandersetzen mußte, da sie ja um die Findlingsgeschichte nichts wußte, schlug die Hände über dem Kopfe zusammen über die wunderbare Fügung.
»Nun, und haben Sie auf dies Blatt hin Ansprüche auf Ihr Erbe?« frug sie lebhaft und gespannt.
»Ohne Zweifel,« entgegnete Ferber, »aber wie sollen wir wissen, worin jenes mütterliche Erbe bestanden hat? … Die Familie ist ausgestorben, der Name von Gnadewitz erloschen. Alles ist in fremde Hände übergegangen; wer kann uns sagen, was und wo wir beanspruchen sollen?«
»Nein, dahinein stören wir nicht,« entschied der Oberförster; »solche Geschichten kosten Geld, und schließlich haben wir vielleicht das Vergnügen, auf einen Vergleich im Betrage von einigen Thalern eingehen zu müssen … Ei was, laß fahren dahin! … Wir sind bisher auch nicht verhungert.«
Elisabeth nahm träumerisch die Schuhe auf, die der Onkel vor sich hingestellt hatte. Der verblichene, hie und da zerschlitzte Seidenstoff zeigte noch jede Biegung des Fußes. Sie waren viel benutzt worden; aber augenscheinlich nicht auf dem Waldboden, denn die Sohlen waren rein – jedenfalls hatten die raschen Füßchen darin gesteckt während der Gefangenschaft, zu jener Zeit, da sie »wie gehetzt durch die Zimmer und Säle lief, die zarte Brust wund schlagend«.
»Guck, Else, nun wissen wir auch, wo du herkommst mit deiner zerbrechlichen Taille und den Füßen, die über den Grashalm hinlaufen, ohne daß er sich biegt,« sagte der Onkel. »Bist gerade solch ein Waldschmetterling, wie deine Urahne; würdest auch die Stirn an den Wänden zerstoßen, wenn man dich einsperren wollte. – ‘s ist doch ein Zigeunerblut in dir, und wenn du zehnmal die Goldelse bist und eine Haut hast wie Schneewittchen … Da, ziehe einmal die Dinger an, du wirst gleich sehen, daß du drin tanzen kannst.«
Er hielt die Schuhe hin.
»O nein, Onkel!« rief Elisabeth abwehrend, »das sind Reliquien für mich! … Ich könnte sie nie in der Weise berühren, ohne zu fürchten, daß Josts schwarze, zornige Augen neben mir auftauchten.«
Frau Ferber und Miß Mertens waren derselben Ansicht, und erstere meinte, der Schrank mit allem, was er enthalte, müsse mit möglichster Vorsicht an einen ruhigen, trockenen Ort geschafft werden, wo er als Familienreliquie unangetastet stehen bleiben solle, bis sich auch sein Geschick, das der zeitlichen Zerstörung, erfülle.
»Nun, in dem Punkte will ich die Pietät gelten lassen,« nahm Reinhard das Wort, »anders dagegen denke ich über diese Gegenstände.«
Er schloß den Kasten auf. Der Sonnenstrahl, der in das Innere glitt, kam in tausendfältigen Blitzen zurück und blendete aller Augen. Reinhard nahm ein Halsband heraus; es war sehr breit und von bewunderungswürdiger Arbeit.
»Das sind Brillanten vom reinsten Wasser,« belehrte er die Umstehenden – das Kollier war besäet mit den kostbarsten Steinen – »und diese Rubinen hier müssen wundervoll auf den dunkeln Locken der schönen Zigeunerin gestrahlt haben,« fuhr er fort, indem er zwei Nadeln von dem Samtpolster aufhob, deren Köpfe Blumenglocken aus roten Steinen bildeten. Aus den Kelchen fielen zierliche Ketten, die in jedem beweglichen Gliede einen kleinen Rubin hielten, wie ein buntfarbiger Regen nieder.
Elisabeth hielt lächelnd eine prächtige Agraffe über ihre Stirn.
»Sie meinen also, Herr Reinhard,« frug sie, »hier sollten wir die Pietät beiseite lassen und uns unbedenklich mit diesen Kostbarkeiten behängen? … Was wohl mein weißes Mullkleid dazu sagen würde, wenn ich ihm zumuten wollte, eines Tages neben so vornehmer Gesellschaft zu erscheinen!«
»Die Steine stehen Ihnen unvergleichlich,« erwiderte Reinhard lächelnd, »aber zum weißen Mullkleide würde mir ein Strauß frischer Blumen auch besser gefallen; deshalb rate ich diese Steinpracht beim Juwelier in klingende Münze umschmelzen zu lassen.«
Ferber nickte zustimmend.
»Wie, Reinhard,« rief Miß Mertens, »du glaubst, man sollte diese Familienstücke verkaufen?«
»Ei freilich;« erwiderte er. »Es wäre geradezu sündhaft und thöricht, ein solches Kapital brach liegen zu lassen … Die Steine sind allein gegen siebentausend Thaler wert; dann sind noch die sehr schönen Perlen und das gehenkelte Gold zu berechnen, das gibt auch noch ein hübsches Sümmchen.«
»Potztausend!« rief der Oberförster überrascht, »da wird nicht gefackelt, fort damit! … »Guck, Adolf,« fuhr er weicher fort und schlang den Arm um die Schulter seines Bruders, »nun hat’s der da droben doch noch gut mit dir gemacht … Ich hab’ dir gleich gesagt, in Thüringen wird’s besser, wenn mir auch nicht eingefallen wäre, zu denken, daß dir auf einmal so ein achttausend Thälerchen ins Haus fallen würden.«
»Mir allein?« rief Ferber erstaunt. »Hast du nicht als Aeltester vor allem Anspruch an den Fund?«
»Nichts da … Was soll ich um Gotteswillen mit dem Mammon anfangen? Ich soll mich wohl in meinen alten Tagen noch damit beschäftigen, Kapitalien auszuleihen? … Das könnte mir einfallen … Ich habe weder Kind noch Kegel, beziehe einen schönen Gehalt, und wenn es einmal mit den alten Knochen hapert, dann habe ich eine Pension, die ich nicht aufzehren kann, mit dem besten Willen nicht. Ich trete also mein Erstgeburtsrecht ab, und zwar an das Mädel da mit den goldenen Haaren und unseren Stammhalter, den Schelm, den Ernst; ich will nicht einmal ein Linsengericht dafür, denn dazu schmeckt das Wildbret nicht gut, sagt Sabine … Bleibt mir vom Halse!« rief er, als Frau Ferber mit feuchtem Auge sich erhob und ihm die Hand hinstreckte und sein Bruder bewegt ihm noch Vorstellungen machen wollte. »Sie thäten viel besser, Frau Schwägerin, wenn Sie für eine Tasse Kaffee sorgten, das ist ja himmelschreiend! … vier Uhr, und noch keinen Tropfen des gewohnten Labsals auf den Lippen, um deswillen ich doch einzig und allein den Berg hinaufgeklettert bin.«
Er erreichte seinen Zweck, den Danksagungen zu entgehen, vollkommen; denn Frau Ferber eilte, von Elisabeth begleitet, ins Haus, und die anderen lachten. Bald saß die Gesellschaft auf der Terrasse, um den braunen, kräftig duftenden Trank versammelt.
»Ja, ja,« sagte der Oberförster, sich behaglich in den Stuhl zurücklehnend, »hätte heute morgen beim Aufstehen nicht gedacht, daß ich mich am Abend als Herr von Gnadewitz niederlegen würde … Nun kann mir der ›Oberforstmeister‹ nicht entgehen; hat mich auf einmal das braune Blättchen da mit seinen verzwickten Buchstaben geschickt dazu gemacht, was dreißig schwere Dienstjahre nicht zuwege gebracht haben. Werde, sobald Seine Durchlaucht in L. einrückt, meinen Kratzfuß machen und mich vorstellen mit dem neuen Namen … Potz Blitz, die werden die Augen aufreißen da drinnen!«
Ein eigentümlicher Seitenblick huschte bei diesen Worten hinüber nach Elisabeth, zugleich aber that der Sprechende ein paar kräftige Züge aus der Pfeife und hüllte plötzlich sein Gesicht in eine dicke Rauchwolke.
»Onkel!« rief das junge Mädchen, »stelle dich, wie du willst, ich weiß doch, daß dir nicht einfällt, das zerbrochene Wappen der Gnadewitze wieder zusammenzufügen.«
»Aber ich sehe nicht ein, es ist ein ganz hübsches Wappen mit Balken, Sternen –«
»Und einem Rade voller Blutflecken,« unterbrach ihn Elisabeth. »Gott behüte uns, daß wir es machen, wie jene, welche die Sünden ihrer Vorfahren aufgraben, um das Alter ihres Geschlechts zu beweisen und die den Adel dadurch unadlig machen: eine größere Widersinnigkeit hat die ganze Welt nicht …