»Zu Befehl,« sagte er unterwürfig. »Aber verzeihen der gnädige Herr – es ist nur von wegen der gnädigen Frau Baronin – der kleine Stall ist zu nahe beim Zause; die Leda, die der gnädige Herr vom Herrn Grafen Rainer bekommen hatten, bellte nicht halb so laut wie der Hund da, und sie mußte doch fort, weil die gnädige Frau den Lärm nicht vertragen konnte.«
»Oh – muß Pirat auch fort, Onkel?« rief José im atemlosen Schrecken.
»Ei, was denkst du, mein Junge? Dein Spielkamerad bleibt im Schillingshof so gut wie du selbst. Komm, wir wollen ihm drüben bei mir ein behagliches Absteigequartier zurecht machen!«
Er nahm das Kind bei der Hand, winkte dem Neger, ihm zu folgen, und verabschiedete sich mit einer Verbeugung von den Damen, während der Kund mit einem betäubenden Freudengebell voraussprang.
»Gott sei Dank, daß das lärmende Ungetüm hinaus ist!« rief Lucile und sank auf das Ruhebett zurück. »Das ist vielleicht der einzige Punkt, in dem ich mit der widerwärtigen, aschgrauen Frau Baronin harmoniere,« sagte sie, um der anwesenden Dienstboten willen in sehr mangelhaftem Englisch, zu ihrer Schwägerin. »Ich war von vornherein entschieden dagegen, daß Pirat mitgenommen werde, aber da war ja jeder vernünftige Einwurf in die Luft gesprochen – Mosje José darf eben immer seinen Kopf durchsetzen.« – Sie hob den Kopf ein wenig von den verschränkt unterlegten Armen und musterte mit kritischem Blick das Tablett, das Mamsell Birkner ihr darbot. »Kaffee bei dieser Hitze? – Nein, meine Liebe, ich danke recht schön! Bitte, verschaffen Sie mir ein wenig Vanille- oder Erdbeereis – ich verschmachte!«
Die gemütliche, dicke Wirtschaftsmamsell, deren Verstand nicht weiter reichen sollte als ihr kleiner Finger, wie die Frau Baronin behauptete, sah sehr verblüfft und verlegen drein und besann sich vergeblich auf eine Antwort.
»Ach, es ist kein Eis zu haben – wie?« rief Lucile belustigt; sie weidete sich übermütig an der hilflosen Miene der völlig Verwirrten. »So, so – na, dann bitte ich um ein Glas Champagner.«
Es erfolgte ein abermaliges momentanes Schweigen. Mamsell Birkner wandte sich langsam nach dem Bedienten um, der sich eben aus dem Staube machen wollte. »Wollen Sie so freundlich sein, Robert –«
»Ich bedaure,« versetzte er achselzuckend und offenbar sehr empört darüber, daß er in diesem Falle so offen seine Machtlosigkeit bekennen mußte. »Die gnädige Frau Baronin –«
Lucile winkte unterbrechend und silberhell auflachend mit der Hand. »Ein Glas frisches Wasser, wenn ich bitten darf!«
Der Bediente ging hinaus. Mamsell Birkner stellte das Kaffeebrett auf den Tisch und verneigte sich respektvoll vor Donna Mercedes, die kurz, aber höflich für jede Erfrischung vorläufig dankte. Dann schloß sich die Türe auch hinter ihr.
Lucile wälzte sich wie toll vor Lachen in den Polstern. »Ha, ha, ha! Der Witz ist unbezahlbar! Die gnädige Frau Baronin hat die Kellerschlüssel mitgenommen!« – Gleich darauf aber richtete sie sich plötzlich empor, schüttelte mit einer Art von wildem Triumph die Locken aus der Stirne, legte die Arme um die emporgezogenen Knie und beobachtete einen Augenblick schweigend, mit boshaft funkelnden Augen ihre Schwägerin, die lautlos, aber raschen Schrittes im Salon auf und ab ging.
So wie diese junge Frau, deren fremdartige Erscheinung in keiner Linie, keinem Farbenton an germanischen Ursprung denken ließ, auf schlanken, schmalen, weichbeschuhten Füßen von Wand zu Wand und unruhig über das Parkettgetäfel hinglitt, war sie das Bild einer Libelle, die der Sturm in verworrenes, dunkles Geäst verschlagen hat, das Bild des verzweifelten Mühens, zu entrinnen.
»Was habe ich immer gesagt, Donna de Valmaseda?« fragte Lucile spöttisch, in hörbar rachegesättigtem Tone.«War es etwa übertrieben, wenn ich diese steifleinene Baronin Schilling als das widerwärtigste Weib auf Gottes Erdboden schilderte, als eine wahre Ausgeburt von Neid und heimtückischer Eifersucht? ... Puh, sie ist häßlich wie die Nacht und kann unsereinen nicht ausstehen! – Ich wußte, daß man ihr ein Dorn im Auge sein würde ... aber schlau ist sie, die gute Frau, das muß ihr der Neid lassen. Sie ist jedenfalls mit ihrer Wen, tückischen Nonnenmiene gegangen und hat dem zurückgelassenen Haushalt einen Zuschnitt gegeben, wie ihn sich anständige Leute nicht gefallen lassen können – die beste Art, uns schnell wieder los zu werden!... Ich frage, was nun, Donna de Valmaseda? – Baron Schilling –«
»Ein fischblütiger Germane, wie er in den Büchern steht,« scholl es halblaut und wie im unwilligen Selbstgespräch aus der Fensterecke, in der Mercedes für einen Augenblick stehen geblieben war.
»Ah, endlich!« jubelte Lucile. Sie sprang wie elektrisiert auf ihre Füße und riß die Türe nach den anstoßenden Zimmern auf, wo Deborah eben die kleine Paula wusch und umkleidete, und die Kammerjungfer einen Koffer aufschloß.
»Nur das Nachtzeug wird ausgepackt, Minna; sonst kein Stück weiter!« befahl die kleine Frau; dann flog sie nach der Fensterecke. »Wüßte Felix, wie armselig wir hier untergebracht sind,« rief sie in dringlicher Hast, wie jemand, der nach dem alten Sprichwort das Eisen schmiedet, solange es warm ist – »er würde uns um keinen Preis in dieser Spukherberge lassen, die von der Gnädigen offenbar selbst nicht mehr benutzt wird, weil sie sich fürchtet ... Und wie gründlich sie erst noch aufgeräumt hat mit allem Komfort, ehe sie gegangen ist, die brave Frau! Siehst du dort die scheußlichen Kannen und Sahnentöpfe mit den angekitteten Henkeln und Schnäbeln?« – sie zeigte nach den Kredenztischen. »Das Zeug ist für uns aus der Rumpelkammer geholt worden ... Vor acht Jahren brachen die Platten und Aufsätze fast unter dem Silber- und Kristallgeschirr – ich habe den Eindruck behalten, denn ich weiß noch, daß ich mich damals wahnsinnig ärgerte, weil Mamas prächtiges Büfett gar nicht dagegen aufkommen konnte – ob die Gute gefürchtet hat, ihre Kostbarkeiten möchten uns an den Fingern hängen bleiben?«
Wie eine flinke Bachstelze duschte das seidenraschelnde, boshaft hetzende Geschöpfchen dicht an die schweigende Dame im Fensterbogen heran und suchte einen Blick zu erhaschen. »Wir gehen doch nun selbstverständlich nach Berlin – ja, Mercedes?« fragte sie mit süß und kindlich bittender, schmeichelnder Stimme. »Es bleibt uns ja gar nichts anderes übrig ... Felix wollte eine deutsche Erziehung für die Kinder – nun, die können sie ja nirgends besser haben – urdeutsch sage ich dir! ... Und für mich wäre das ein Glück, ein Glück?« – sie preßte die Hände auf die Stirne, als befürchte sie, vor Seligkeit den Verstand zu verlieren. – »Die Großmama ist zwar tot, und Mama hat den Streich gemacht, sich von einem Einrosten ins Blaue hinein entführen zu lassen – aber ich habe so viele Freunde dort, so viele, die damals für mich geschwärmt haben – ach mein Gott, ich glaube, ich könnte mich sogar freuen, den unausstehlichen, alten Gecken, den Fürsten Konsky, wiederzusehen! ... Wir reisen natürlicherweise gleich mit dem ersten Zug morgen? ... Weißt du, ich persönlich mache mir nicht so viel draus« – sie schnippte mit den Fingern in der Luft – »ob diese entlaufene Nonne mich zu beleidigen sucht oder nicht, ich schüttle die heimtückischen Nadelstiche ab und amüsiere mich dabei; aber du, du?« –
Es schien, als dränge sich bei diesen letzten Worten ein leidenschaftlicher Ausruf auf die Lippen der jungen Frau, die bisher mit starren Augen unbeweglich in den Vorgarten hinausgesehen hatte. Sie war sehr bleich, und an ihrer unruhig atmenden Brust sah man, daß die widerstreitendsten Empfindungen nach einem Ausbruch rangen – aber nichts schien dieser Frau ferner zu liegen, als intime Erörterungen, oder ein Meinungsaustausch mit dem quecksilbernen Wesen, dessen überstürzte Plauderei wie aufdringliches Vogelgezwitscher ihr den eigenen marternden Gedankengang störte.
»Nun, Mercedes?« drängte die kleine Frau wie atemlos, und ein grelles Feuer in den schönen, intensiv grünschillernden Augen. »Wir bleiben. Ich bin über das Meer gekommen, um den letzten Wunsch meines Bruders zu erfüllen, und das will und werde ich!«
Lucile wandte sich um, lief wie