Das Klingeln des Büro-Telefons drang bis hierher. Er erhob sich, um Dany wieder auf Maries Schoß zu setzen und wollte hinüber. Da stürmte Reserl herein. Fast wäre sie über den viel zu langen Rock gestolpert.
»Mami, du willst ihn doch umsäumen! Und die Perücke mit dem Hut musst du mir aufsetzen. Und das Faschingszeug für Jossi …«
»Wo ist Jossi überhaupt?«, wollte er wissen.
»Draußen auf meinem Fahrrad.«
»Aber du weißt doch, dass sie damit stürzen kann, Reserl!«, fuhr er auf.
»Ich hab’s ihr nur erlaubt, weil sie dachte, sie darf nicht mit zu Lucia, Papi!«
»Und wenn ihr was zustößt? Du weißt, dass wir immer noch keinen Landarzt haben! Soll ich dann mit ihr nach Rosenheim oder Traunstein?«, polterte er los, als sei ihm wirklich eine dicke Laus über die Leber gelaufen. Marie sah ihn vorwurfsvoll an.
»Ich säume deinen Rock, sowie ich weiß, dass Frau Hämmerle den richtigen Fisch angebracht hat, Reserl«, versprach sie dann schnell.
»Und wenn es dann viel zu spät ist?«, sorgte die sich.
»Ich …, ich werde dich und Jossi zu Lucia nach Altendorf fahren, Reserl«, entschied Stefan plötzlich. »Ruf sie an. Ihre Mutter muss nicht herkommen. Die Fahrt nehme ich ihr gern ab.« Er konnte danach schnell bei Anette vorbeischauen. Wenn sie und der Münchner Arzt ein Paar geworden und an eine gemeinsame Zukunft glaubten, musste er sich endlich nicht mehr an sein Versprechen halten, konnte alles Unvorhergesehene auf die leichte Schulter nehmen und, ja …, würde auch Maries Fischsuppe mit mehr Gelassenheit entgegensehen.
»Und was wird aus der Fischsuppe nur für uns beide?« Marie zwinkerte ihm zu, als könnte sie den Abend mit ihm kaum erwarten.
»Ich kann’s kaum erwarten, mein Schatz.«
»Ich mag aber keinen Fisch!«, meldete Dany sich und wischte unter der Nase entlang, weil die schon wieder lief.
»Du bekommst vorher Griesbei!«, tröstete Marie und sandte Stefan dabei noch einen zwinkernden Blick zu.
Nachdem Frau Hämmerle mit den passenden Fischsorten angekommen und der Rock von Reserl umgesäumt war, fuhr Stefan mit seinen lustig verkleideten Töchtern nach Altendorf. Lucias Eltern waren Italiener und betrieben die einzige Pizzeria in der Stadt. Sie waren temperamentvolle Leute, und Lucias Mutter, Signora Locetty, überfiel Stefan mit einer jammernden Klage über den fehlenden Landarzt im Kreis. Mit rollenden Augen schwärmte sie von dem leider dahingegangenen Doktor Huber, der ihre fünf Kinder so gut mit Hausmittelchen versorgt und für dessen Praxis sich immer noch kein Nachfolger gefunden habe.
Stefan war froh, als er ihrem Lamento entkommen konnte. Minuten später klingelte er bei Anette. Sie empfing ihn in sportlich lässiger Kleidung und mit erhobenen Armen, umschlang ihn und busselte ihn ab.
»Frank sieht’s ja nicht!«, meinte sie verschmitzt. »Aber du hast es verdient. Ohne dich hätte ich meinen Traummann nie gefunden.«
»Du bist also wirklich rundherum glücklich?«
»Ja, wie im siebten Himmel. Endlich habe ich den Mut, dem Leben und meinem Glück zu vertrauen. Er rief gerade an, weil er diese Woche zu viel zu tun und wir uns nicht sehen können. Aber nächste Woche fahr ich nach München. Und dann besorge ich Theaterkarten für Marie und dich … und dazu eine Nacht im besten Hotel. Das bin ich euch schuldig …«
Er musterte sie nachdenklich. Ja, das Glück war ihr anzusehen. »Und auch, mich von meinen gegebenen Versprechen zu erlösen!«
Anette legte den Kopf schief. »Erst, wenn ich hundertprozentig sicher bin, dass ich mich nicht wieder in einem Menschen getäuscht habe.«
Stefan bemerkte einen üppigen Rosenstrauß auf dem Biedermeiertisch. »Von ihm?«
»Jaa! Ich bekam ihn nach unserer ersten Nacht!«
»Hm. Das sieht nach einem Glück mit Zukunft aus. Warum muss ich dann noch schweigen? Vor Marie Geheimnisse zu hüten, Anette, das ist wirklich nicht mein Ding!«
»Ich weiß. Aber gedulde dich noch. Wenn ich bei ihm war und seine Wohnung über seiner Praxis kenne, dann …«
»Hast du immer noch Angst, enttäuscht zu werden?!«
Sie nickte mit einem scheuen Lächeln.«
»Ach, Anette!« Er war heute nicht so gut gestimmt und geduldig wie sonst. »Vor einer Enttäuschung ist man nie ganz sicher«, stellte er trocken fest und dachte dabei an Marie, die ihm sogar Fischsuppe kochte, und ihm doch ein Rätsel nach dem anderen aufgab.
Als er Anettes Wohnung verließ und von Apothekerhaus über die Straße zu seinem Wagen eilte, lächelte er schon wieder. Diese Fischsuppe war ja ein Liebesbeweis. Ja, Marie liebte ihn von ganzem Herzen. Und dann fiel es ihm auch nicht so schwer, Anettes Liebesglück vor ihr geheim zu halten.
*
»Biegen Sie nach zweihundert Metern links in die Lasalle-Straße ab. Fünfzig Meter weiter rechts sind Sie am Ziel Ihrer Fahrt«, sagte die Stimme von Anettes Navigations-System.
»Danke, danke, danke, Navi-Tante!«, kicherte Anette und ordnete sich wie befohlen links ein. Seit drei Stunden war sie schon in München. Sie hatte Theaterkarten für Marie und Stefan besorgt und in einer feinen Boutique nach einem Oberhemd für Frank ausgeschaut.
Aber gekauft hatte sie nichts. Es war noch zu früh für persönliche Geschenke. Frank konnte sich unter Druck gesetzt fühlen und denken, sie erwarte schon heute seinen Heiratsantrag. Wenn es dazu kam, war es wunderbar. Dann konnte sie mit ihm bei Marie und Stefan vorbeischauen, und alle Heimlichkeiten hatten ein Ende. Aber drängen wollte sie ihn nicht. Nicht mit einem teuren Oberhemd aus einer feinen Herren-Boutique. Darum brachte sie nur zwei Flaschen besten Rotweins mit.
Vor der Villa stieg sie aus, betrachtete das Messingschild mit der Aufschrift ›Dr. Frank Bahring, Kardiologe‹ voller Respekt und betrat den Garten.
Neben der Villen-Tür prangte das gleiche Schild, und während sie die ersten Stufen zu seiner Wohnung nahm, hauchte sie sich leise ein beruhigendes »Psscht!« zu, weil die Ungeduld sich schon wieder in ihr regte. Hatte sie nicht fast drei Wochen ohne seine Umarmungen und Küsse durchstehen müssen?«
»Pst …? Pst …?!«, ahmte Frank sie nach, als er ihr auf der Treppe entgegeneilte. »Hast du eine Katze oder einen Hund mitgebracht?«
»Ach, Frank! Doch nur Flaschen!«
Immer, wenn er bei ihr war, löste sich beim nichtigen Anlass ein Gelächter in ihr aus. Das war ein Glück! Daran gab es nichts zu zweifeln und zu rütteln! Und heute war das Glück besonders greifbar – sie würde bei ihm bleiben – für eine zweite gemeinsame Nacht!
»Ein Wahnsinnshaus, Frank!«, staunte sie, als er ihr den Mantel abgenommen und sie an der Hand durch den Eingangsraum in der Küche führte. Es duftete köstlich.
»Kalbslendchen, Anette. Das kann ich wenigstens. Mit Fenchelgemüse!«
Sofort rümpfte sie die Nase! »Schrecklich! Fenchel! Habe ich Husten oder was? Typisch Arzt! Kaum hat er seine Geliebte in sein Heim gelockt, muss sie Medizin zu sich nehmen.«
»Noch eine so freche Bemerkung, und du bekommst Hustensaft statt Rotwein!«
Anette hob eine Schulter und blickte ihn kokett an. »Am liebsten wäre mir ein richtiger Begrüßungskuss von dir!«
Frank küsste sie voller Zartheit, aber sie spürte trotzdem, dass etwas anders war. Oder lag das an ihrer Ungeduld? Seinem Kuss fehlte vielleicht nur etwas vom Feuer ihrer ersten gemeinsamen Nacht.
Danach