Das Dekameron. Giovanni Boccaccio. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Giovanni Boccaccio
Издательство: Bookwire
Серия: Literatur (Leinen)
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783843804066
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gesprochen hatten, zog er ihn dem Erzbischof vom Finger und steckte ihn an den seinigen. Darauf reichte er seinen Kameraden den Bischofsstab, die Mitra, die Handschuhe zu, und wie er die Leiche bis aufs Hemd ausgezogen und ihnen alles hinausgereicht hatte, sagte er, es wäre weiter nichts übrig. Die anderen, welche wussten, dass der Ring da sein müsse, empfahlen ihm, überall fleißig nachzusuchen. Er blieb aber dabei, dass er nichts weiter fände, und stellte sich indessen immer an, als ob er noch suche. Jene, die nicht weniger arglistig waren als er, hießen ihn noch weiter suchen und nahmen indessen Gelegenheit, die Stütze wegzuziehen und den Deckel fallen zu lassen, worauf sie davonliefen und ihn im Sarge sitzen ließen.

      Wie Andreuccio zumute ward, indem er den Deckel fallen hörte, das kann man sich denken. Mehr als einmal versuchte er, mit Kopf und Schultern ihn aufzuheben. Allein er bemühte sich vergeblich, und von Schmerz überwältigt sank er ohnmächtig hin auf den Leichnam des Erzbischofs. Wer ihn damals gesehen hätte, der hätte schwerlich unterscheiden können, welcher am meisten tot wäre, der Erzbischof oder er. Wie er sich aber wieder erholte, fing er an, bitterlich zu weinen, indem er sich vorstellte, dass er auf die eine oder die andere Weise unabwendbar seinen Tod finden müsse, entweder vor Hunger und Gestank unter den Würmern, die an dem toten Körper nagten, im Falle ihm niemand heraushelfe, oder wie ein Dieb am Galgen, im Falle man das Grab öffnete und ihn darin fände. Indem ihn diese Gedanken peinigten, hörte er in der Kirche Leute gehen und reden, von denen er sich vorstellte, dass sie in der gleichen Absicht wie er und seine Spießgesellen hergekommen wären, weswegen sich seine Furcht nur noch vermehrte. Sie öffneten wirklich den Sarg, und wie sie ihn gehörig gestützt hatten und die Frage war, wer hineinsteigen sollte, wollte es niemand wagen, bis nach langem Streiten ein Priester sagte: „Was fürchtet ihr denn? Meint ihr, er wird euch beißen? Die Toten sind keine Menschenfresser. Wenn niemand will, will ich hineinsteigen.“ Indem er dies sagte, legte er sich mit der Brust auf den Rand des Sarges, den Kopf nach außen und die Füße eingekehrt, um sich in den Sarg hinunterzulassen. Wie das Andreuccio gewahr ward, richtete er sich auf, packte den Pater an einem Bein und tat, als ob er ihn hinabziehen wolle. Der Pater tat darüber einen gewaltigen Schrei und warf sich jählings wieder aus dem Sarge hinaus. Die anderen alle erschraken ebenfalls, ließen den Sarg offen stehen und liefen davon, als wenn Legionen Teufel sie jagten. Andreuccio ward herzlich froh, sprang eiligst aus der Gruft und lief zur Kirche hinaus. Der Tag fing bereits an zu grauen, wie er mit seinem Ringe am Finger, indem er auf gut Glück umherirrte, das Meeresufer erreichte und von dort den Weg zurück nach seinem Quartier fand. Hier traf er seine Gefährten und seinen Wirt, die die ganze Nacht voll Bekümmernis seinetwegen durchwacht hatten. Wie er ihnen alles erzählte, was ihm begegnet war, riet ihm der Wirt, Neapel unverzüglich zu verlassen. Er tat es auch, ohne zu säumen, und reiste zurück nach Perugia, nachdem er sein Geld, wofür er Pferde kaufen wollte, in einen Ring angelegt hatte.

       SECHSTE NOVELLE

      Madonna Beritola wird mit zwei Rehen auf einer wüsten Insel gefunden, nachdem sie ihre beiden Kinder verloren hat. Sie kommt in die Lunigiana, wo der eine von ihren Söhnen bei ihrem Herrn in Dienst geht, bei seiner Tochter liegt und ins Gefängnis geworfen wird. Die Sizilianer rebellieren gegen König Karl, der Sohn wird von der Mutter wiedererkannt und heiratet die Tochter seines Herrn. Sein Bruder wird auch gefunden, und sie gelangen wieder zu großem Ansehen.

      Die Damen und Herren hatten gleicherweise über die Abenteuer des Andreuccio gelacht, die Fiametta erzählte, worauf Emilia, wie die Geschichte beendigt war, auf Befehl der Königin also anfing zu reden:

      Grausam und hart sind oft die mannigfaltigen Wechsel des Schicksals. Sooft man von ihnen erzählt, werden unsere Gemüter dadurch aufmerksam gemacht, die sich sonst von seinen Liebkosungen leicht einschläfern lassen, und darum sollten, deucht mich, weder die Glücklichen noch die Unglücklichen müde werden, dergleichen Erzählungen anzuhören, weil die Ersteren dadurch gewarnt und die Letzteren getröstet werden. So viel Schönes nun schon vor mir darüber gesagt worden ist, so will ich euch doch auch eine ebenso wahre als rührende Geschichte erzählen, die zwar mit glücklichen Ereignissen endigt, denen aber so mancherlei und so langwierige bittere Trübsale vorhergehen, dass ich kaum glaube, die darauf folgenden Freuden haben sie hinlänglich wieder versüßen können. Nach dem Tode des Kaisers Friedrich II. wurde Manfred zum Könige von Sizilien gekrönt, unter dessen Regierung ein gewisser neapolitanischer Edelmann namens Arrighetto Capace eine große Rolle spielte, der ein schönes, edles, ebenfalls aus Neapel gebürtiges Weib zur Gemahlin hatte, namens Madonna Beritola Caracciola. Als dieser Arrighetto, dem die Zügel der Regierung anvertraut waren, vernahm, dass König Karl I. bei Benevent Manfred überwunden und getötet hatte, und dass das ganze Reich sich ihm unterwarf, und wie er selbst glaubte, sich auf die Treue der Sizilianer wenig verlassen zu können, und dennoch dem Feinde seines Herrn nicht wollte untertan werden, machte er Anstalt, zu entfliehen. Wie aber dies die Sizilianer erfuhren, lieferten sie plötzlich ihn und viele andere Diener des Königs Manfred dem König Karl aus und räumten diesem darauf die ganze Insel ein.

      Madonna Beritola, die nicht wusste, was bei der Umwälzung aus ihrem Gemahl geworden war, und immer das befürchtete, was sich wirklich zugetragen hatte, ließ aus Furcht vor Gewalt und Verlust ihrer Ehre alle ihre Habseligkeiten im Stiche, begab sich, arm und schwanger, mit einem Söhnchen von acht Jahren, namens Giuffredi, an Bord einer Barke und entfloh nach Lipari, woselbst sie noch einen Sohn gebar, den sie Scacciatto (den Vertriebenen) nannte. Darauf nahm sie eine Amme und bestieg mit ihnen allen wieder ein kleines Fahrzeug, in der Absicht, sich zu ihren Verwandten nach Neapel zu begeben. Allein es kam anders als sie dachte. Das Schiff, das nach Neapel gehen sollte, ward durch widrige Winde an das Ufer der Insel Ponzo getrieben, wo sie in eine kleine Bucht einliefen und einen günstigen Wind abwarteten, um ihre Reise fortzusetzen. Madonna Beritola, die nebst den übrigen ans Land ging, fand daselbst einen entlegenen und einsamen Ort, wohin sie sich oft ganz allein begab, um ihren Arrighetto zu beweinen. Indem sie diese Gewohnheit jeden Tag beobachtete, traf es sich einst, dass, während sie sich einsam ihrem Schmerz hingab, ein Seeräuberschiff sich so schnell näherte, dass es, ohne von den Seeleuten der Madonna bemerkt zu werden, sie überfiel und sich ihrer ohne Schwertstreich bemächtigte und davonfuhr. Als Madonna Beritola ihren täglichen Trauergottesdienst verrichtet hatte und nach dem Ufer zurückkehrte, um wieder nach ihren Kindern zu sehen, fand sie keinen einzigen Menschen mehr vor. Zuerst verwunderte sie sich darüber, bald aber ahnte sie, was vorgefallen war, blickte hinaus in die See und sah die Galeere, die noch nicht weit entfernt war und das kleine Fahrzeug im Schlepptau hatte. Sie sah sich nunmehr ohne Gemahl und ohne Kinder einsam, verlassen und elend, und ohne einen Schein von Hoffnung, sie jemals wiederzufinden, und sank, indem sie vergeblich nach ihnen rief, ohnmächtig am Gestade nieder. Da war niemand, der mit erquickendem Wasser oder mit tröstenden Reden ihre abgespannten Kräfte wieder gestärkt hätte, sondern ihre Lebensgeister hatten alle Muße, wohin es ihnen beliebte, umherzuschwärmen. Wie jedoch endlich in ihrem erschöpften Körper die verlorenen Kräfte sich wieder einstellten, und mit ihnen die Tränen und Klagen, da begann sie wieder, nach ihren Kindern ohne Aufhören zu rufen und in allen Höhlen nach ihnen zu suchen. Doch wie sie fand, dass alle ihre Mühe vergeblich war und die Nacht anbrach, indem sie noch immer Hoffnungen nährte, und selbst nicht wusste warum, so ward sie endlich auf ihre Selbsterhaltung bedacht. Sie verließ den Strand und nahm ihre Zuflucht zu der Höhle, wo sie gewohnt war zu klagen und zu weinen. Nachdem sie die Nacht voll unbeschreiblicher Schmerzen und nicht ohne Furcht zugebracht hatte, nachdem die dritte Stunde des neuen Tages angebrochen, fühlte sie, die am Abend vorher nichts zu sich genommen hatte, ein derartiges Hungergefühl, dass sie nach Kräutern suchte. Nachdem sie sich kümmerlich gesättigt hatte, überließ sie sich tränenvoll dem Nachsinnen über ihr künftiges Leben. Indem sie so in Gedanken vertieft saß, ward sie ein Reh gewahr, das in eine Höhle in der Nähe lief und bald wieder herauskam, um im Gebüsch zu verschwinden. Sie stand auf und ging in die Höhle, aus der das Reh gekommen war, und fand da zwei junge Rehzicklein, die vielleicht erst an demselben Tage geworfen waren. Sie glaubte, noch nie etwas Lieblicheres und Holderes als diese Geschöpfe gesehen zu haben. In ihrer eigenen Brust war die Milch von ihrer letzten Niederkunft her noch nicht versiegt, sie nahm die Tierchen und legte sie zärtlich an ihren Busen. Diese ließen sich die Pflege willig gefallen und sogen an ihr wie an ihrer Mutter, machten auch in der Folge zwischen den beiden keinen Unterschied. Da sie nun