Die Dame war darüber ein wenig verstimmt, doch als sie nichts anderes anzufangen wusste, so entschloss sie sich, das Bad zu gebrauchen, das für den Markgrafen bereitet war, hernach zu Abend zu essen und sich zu Bette zu begeben. Das Badezimmer lag hart an der Tür, wo der arme Rinaldo draußen auf der bloßen Erde lag, daher die Dame, wie sie im Bade war, hörte, wie er winselte und wie ein Storch klapperte. Sie rief demnach ihre Magd und sagte: „Geh hinauf und sieh über die Mauer hinaus, wer dort unten an der Tür ist, und was er da macht.“
Die Magd ging und ward in der Dämmerung der Frühe gewahr, dass ein Mensch im bloßen Hemd und barfuß dasaß und erbärmlich zitterte. Sie fragte ihn, wer er wäre, und Rinaldo, der so sehr vor Kälte bebte, dass er kaum sprechen konnte, sagte ihr mit wenigen Worten, wer er wäre und durch welche Zufälle er dahin geraten sei, und bat zugleich flehentlich, ihn, wenn es möglich wäre, nicht vor Frost in der Nacht erfrieren zu lassen. Die Magd, die Mitleid mit ihm hatte, kehrte zu ihrer Frau zurück und gab ihr von allem Bericht, wodurch diese gleichfalls zum Mitleid bewogen ward. Sie erinnerte sich, dass sie den Schlüssel zu dem Pförtchen hatte, durch welches der Markgraf bisweilen insgeheim zu ihr zu kommen pflegte, und sagte zu ihrer Magd: „Geh sachte hin und öffne ihm das Pförtchen; das Abendessen steht fertig, und niemand ist da, der es verzehren hilft, Raum genug haben wir auch, um ihm ein Nachtlager zu geben.“
Die Magd lobte herzlich die Menschlichkeit ihrer Dame und öffnete Rinaldo die Pforte und ließ ihn ein. Die Dame, die ihn fast völlig erstarrt fand, sagte: „Geschwind, guter Freund, geht in dies Bad, das noch warm ist.“
Er ließ sich nicht lange nötigen, sondern war des Bades herzlich froh, dessen Wärme ihn fast vom Tode ins Leben zurückzurufen schien. Die Dame ließ ihm Kleider ihres kürzlich verstorbenen Mannes geben, die ihm, wie er sie anzog, wie angegossen saßen. Indes er die weiteren Befehle der Dame erwartete, dankte er Gott und dem heiligen Julian, der ihm eine so böse Nacht, wie er befürchtet hatte, erspart und ihm allem Anschein nach ein gutes Nachtlager beschieden hatte.
Als die Dame ein wenig ausgeruht hatte, ging sie in ein Zimmer, wo ein schönes Feuer angezündet war, und fragte, was aus dem guten Manne geworden wäre.
Die Magd antwortete: „Madonna, er hat sich angekleidet und ist ein schöner, und allem Anschein nach wohlerzogener und gesitteter Mann.“
„So geh hin und rufe ihn her“, sprach die Dame, „und sage ihm, er soll sich hier ans Feuer setzen und zu Nacht essen, denn das hat er gewiss noch nicht getan.“
Rinaldo trat herein, und als er die Dame erblickte und vermutete, dass sie von vornehmem Stande wäre, grüßte er sie ehrerbietig und dankte ihr aufs Verbindlichste für die Güte, die sie ihm erwies.
Die Dame fand an seinem Anstand und seiner Redensweise, dass er völlig der Mann war, den ihr ihre Magd beschrieben hatte; daher sie ihn freundlich empfing, ihn traulich nötigte, sich neben ihr ans Feuer zu setzen, und ihn nach den Umständen fragte, die ihn hergeführt hätten, was Rinaldo ihr alles ausführlich erzählte. Sie hatte bereits, gleich nach der Ankunft seines Dieners in dem Schlosse, etwas von der Sache gehört, weswegen sie umso leichter seinen Worten Glauben beimaß und ihm auch sagte, was sie von seinem Diener wusste, und wie er ihn leicht am folgenden Morgen antreffen könne. Sobald der Tisch gedeckt war, musste Rinaldo sich mit ihr zur Tafel setzen. Er war groß und wohlgewachsen, von einnehmender Miene und gefälligem Wesen und in der vollen Blüte seiner Jahre. Da die Erwartung des Markgrafen bereits ihre Begierde rege gemacht hatte, so konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, ihn immer wieder wohlgefällig zu betrachten.
Nach dem Essen stand sie mit ihm vom Tisch auf und beredete sich mit ihrer Magd, ob es recht sei, sich die Gelegenheit zunutze zu machen, die ihr das Glück geschickt habe, da der Markgraf sie heute vergeblich warten gelassen. Die Magd merkte, worauf die Dame hinaus wolle, und unterstützte sie nach Kräften in ihrem Bestreben, ihrem Verlangen nachzugeben. Die Dame ging zum Feuer, wo Rinaldo allein saß, und warf ihm verliebte Blicke zu. Danach sprach sie: „Glaubt Ihr nicht, dass ein Pferd und ein paar Kleider, die Ihr verloren habt, sich bald wieder ersetzen lassen? Seid guten Mutes und stellt Euch vor, dass Ihr hier zu Hause seid, denn kurz, ich kann es Euch nicht verhehlen: Seitdem ich Euch in diesen Kleidern meines verstorbenen Mannes vor mir sehe, finde ich zwischen Euch und ihm die Ähnlichkeit so auffallend, dass ich diesen Abend wohl tausendmal in Versuchung geraten bin, Euch für ihn selbst anzusehen, Euch zu umarmen, zu küssen und Euch wie ihm zu begegnen. Und hätte ich nicht befürchten müssen, Euch lästig zu fallen, so hätte ich es, weiß Gott schon getan.“
Rinaldo, der nicht auf den Kopf gefallen war, begriff den Sinn ihrer Worte, den ihm ein zärtliches Feuer in ihren Blicken vollends erklärte. Er ging mit offenen Armen auf sie zu und sagte: „Madonna, Ihr habt mich aus einer jämmerlichen Lage gerettet, und für alle Zukunft verdanke ich Euch mein Leben. Es wäre undankbar, wollte ich nicht alles tun, Euch zufriedenzustellen. Gebt Eurer Lust nur nach: Umarmt und küsst mich! Was mich betrifft, will ich Euch mehr als gerne umarmen und küssen.“ Es bedurfte keiner Worte weiter. Die Witwe, vor liebevollem Verlangen ganz entzündet, sank in seine Arme. Sie umschlangen und küssten einander tausendmal, standen auf, gingen in die Kammer und legten sich sogleich zu Bett, wo sie, bis der Morgen anbrach, ihre Sehnsucht völlig und wiederholt stillten. Wie die Morgenröte erschien, standen sie, wie die Dame es wünschte, auf, und damit kein Aufsehen verursacht würde, so ließ sie ihm einige schlechte Kleider umwerfen, füllte ihm seine Börse, und nachdem sie ihm gesagt hatte, wie er in das Schloss kommen und seinen Diener wiederfinden könne, entließ sie ihn durch dasselbe Pförtchen, durch welches er hereingekommen war, mit der Bitte, geheim zu halten, was diese Nacht geschehen war.
Wie es heller Tag ward, ging er, sobald die Tore geöffnet wurden, ins Schloss, als wenn er erst eben von fernher käme, und fand auch bald seinen Diener. Indem er seine eigenen Kleider, die im Felleisen des Dieners waren, wieder anzog, und schon im Begriff war, seines Dieners Pferd zu besteigen, begab es sich wie durch ein Wunder Gottes, dass die drei Räuber, die ihn abends vorher ausgeplündert hatten, über einer anderen Untat, die sie begangen, ertappt, in dasselbe Schloss gefänglich eingebracht wurden, wo Rinaldo, laut ihrem Bekenntnis, sein Pferd, seine Kleider und alle seine Sachen wiedererstattet wurden, sodass er nichts davon einbüßte, außer ein Paar Kniebändern, von denen die Räuber selbst keine Nachricht geben konnten. Rinaldo stieg zu Pferde und dankte Gott und dem heiligen Julian, als er heil und gesund nach Hause ritt. Die drei Schnapphähne aber schaukelten am folgenden Tage schon im Winde.
DRITTE NOVELLE
Drei Jünglinge verschwenden das Ihrige und geraten in Armut. Einer ihrer Neffen, der aus Verzweiflung nach Hause zurückfährt, macht unterwegs mit einem Abt Bekanntschaft, den er hernach für eine Tochter des Königs von England erkennt. Sie vermählt sich mit ihm, ersetzt seinen Oheimen ihren Verlust und verhilft ihnen wieder zum Wohlstand.
Das Abenteuer des Rinaldo d‘Asti ward von den Damen und Herren mit Verwunderung angehört; man lobte seine Andacht und dankte Gott und dem heiligen Julian, die ihm in seiner höchsten Not beigestanden hatten; auch gestand man sich insgeheim, die Dame sei keine Närrin gewesen, indem sie das Gute genossen, das ihr Gott ins Haus geschickt habe. Indem man noch mit Schmunzeln von der guten Nacht sprach, die sie gehabt hatte, überlegte Pampinea, die nächst Filostrato saß und erwartete, dass die Reihe sie treffen würde, was sie erzählen wollte. Wie sie den Befehl der Königin vernahm, fing sie unbefangen und fröhlich folgendermaßen an zu reden:
Liebenswürdige Frauen! Je mehr man von den Wechselfällen des Glücks spricht, desto mehr wird jeder finden, der seine eigenen Umstände nur wohl erwägen will, dass davon immer noch vieles zu sagen übrig bleibt, und darüber wird sich niemand wundern, wenn er vernünftig überlegt, dass alle Dinge, die wir einfältigerweise uns selbst zuschreiben, in die Hände des Schicksals gegeben sind und folglich nach seinem geheimen Ratschluss unaufhörlich von diesem zu jenem, und von jenem zu diesem, sich in einem beständigen Umlaufe befinden,