ERSTE NOVELLE
Martellino verstellt sich als Krüppel und gibt vor, durch den Leichnam des hl. Heinrich geheilt worden zu sein. Sein Betrug wird entdeckt, er wird geprügelt, wird festgesetzt und läuft große Gefahr, gehenkt zu werden, kommt aber noch glücklich davon.
Es trägt sich oft zu, meine lieben Freundinnen, dass der, welcher anderer Leute spotten will, besonders wenn er seinen Scherz mit ehrwürdigen Dingen treibt, sich selbst zum Spott macht und sich bisweilen in Schaden bringt. Um dem Befehl der Königin nachzuleben und mit einer Erzählung des verabredeten Inhalts den Anfang zu machen, so will ich euch sagen, was einmal einem unserer Mitbürger Unglückliches und hernach über alle Erwartung Glückliches begegnet ist.
Es lebte vor nicht langer Zeit in Treviso ein Deutscher namens Heinrich, ein armer Mann, der sein Brot als Lastträger verdienen musste, aber dabei einen sehr frommen Wandel führte und bei jedermann beliebt war, daher denn, wie die Leute aus Treviso versichern (es mag nun wahr sein oder nicht), in der Stunde seines Todes die Glocken der Hauptkirche zu Treviso, ohne von jemandem gezogen zu sein, von selbst anfingen zu läuten. Das ward von jedermann für ein Wunder und Heinrich deswegen für einen Heiligen gehalten; alles Volk in der Stadt lief zusammen nach dem Hause, wo sein Leichnam lag, den sie wie eine Reliquie nach der Hauptkirche trugen, und Lahme, Gichtbrüchige, Blinde und Kranke jeder Art, oder Leute, die sonst Mängel hatten, zu ihm brachten, als ob die Berührung seines Leibes sie alle gesund machen könnte. Während dieses allgemeinen Zulaufes begab es sich, dass in Treviso drei Männer aus Florenz ankamen, wovon der eine Stecchi hieß, der andere Martellino und der dritte Marchese, die ihr Brot damit verdienten, dass sie an den Höfen umherzogen und die Leute damit belustigten, dass sie die Gebärden eines jeden Menschen nachmachten. Da sie hier noch nie gewesen waren, so wunderten sie sich, einen so großen Auflauf von Menschen zu finden, und wie sie die Ursache davon erfuhren, wurden sie neugierig, dieselbe auch zu sehen. Sie ließen demnach ihr Gepäck in einer Herberge und Marchese sagte: „Wir wollen zwar hingehen, den Heiligen zu sehen, allein ich weiß wahrlich nicht, wie wir zu ihm gelangen wollen, weil ich höre, dass der Platz voll von Deutschen und anderen Landsknechten ist, die der Herr der Stadt dort auf den Beinen hält, um Unruhen zu verhüten; überdies ist die Kirche (sagt man) so voll von Menschen, dass man fast nicht hineinkommen kann.“
Martellino, der sehr neugierig war, sagte: „Das soll uns nicht hindern. Ich will wohl ein Mittel finden, bis zu dem Leichnam vorzudringen.“
„Und wie denn?“ fragte Marchese.
„Das will ich dir sagen“, entgegnete Martellino. „Ich will mich wie ein Gichtbrüchiger anstellen, und du sollst mich an einer Seite und Stecchi an der anderen führen, als wenn ich allein nicht gehen könnte, und ihr wolltet mich zu dem Heiligen bringen, dass er mich gesund mache. Da wird kein Mensch sein, wenn er uns sieht, der uns nicht aus dem Wege ginge, uns Platz zu machen. Dieses gefiel Marchese und Stecchi, und sie beeilten sich, ihre Herberge zu verlassen. Sie gingen an einen einsamen Ort, wo sich Martellino die Hände, Finger, Arme und Beine, die Augen und das ganze Gesicht dermaßen verrenkte und verdrehte, dass es scheußlich anzusehen war. Wer ihn erblickte, konnte nicht umhin, zu glauben, dass er am ganzen Leibe verstümmelt und gelähmt wäre. So fassten ihn Marchese und Stecchi unter die Arme und gingen mit ihm nach der Kirche mit ganz andächtiger Miene und baten demütig und um Gottes willen einen jeden, der ihnen im Wege war, Platz zu machen, was auch bereitwillig geschah. Jeder erwies ihnen Aufmerksamkeit, überall ward „Platz, Platz!“ gerufen, und sie gelangten bis zur Leiche des heiligen Heinrich, die von einigen angesehenen Männern umgeben war, die den Martellino auf den Leichnam hoben, damit er die Gabe der Gesundheit von ihm empfinge. Martellino, auf welchen aller Augen gerichtet waren, lag ein wenig still und wusste dann meisterlich erst den einen, dann den anderen Finger zu regen, dann die Hand, dann einen Arm, bis er sich endlich völlig aufrichtete. Wie das die Leute sahen, brach ein jeder so laut in Lobsprüche auf den heiligen Heinrich aus, dass man kein Wort vor dem anderen verstehen konnte.
Zum Unglück stand nicht weit davon einer von seinen florentinischen Mitbürgern, der den Martellino sehr gut kannte, und wie er ihn, nachdem er sich ganz aufgerichtet hatte, gewahr ward, überlaut zu lachen anfing und sagte: „Dass doch der Henker den Kerl! Wer sollte nicht gedacht haben, wie er herkam, dass er wirklich gichtbrüchig wäre?“
Dieses hörten einige Leute aus Treviso und fragten, ob der Mensch denn wirklich nicht gichtbrüchig wäre.
„Gott bewahre!“ sprach jener, „Er war immer so gerade wie der Beste von uns, aber er versteht besser als irgendein anderer Gaukler die Kunst, sich eine jede Gestalt zu geben, wie ihr wohl gesehen habt.“
Wie dieses ruchbar ward, brauchte es nichts weiter, um den Pöbel aufzubringen, der hinzustürmte und schrie: „Greift den Schelm, den Spötter Gottes und seiner Heiligen, der so gesund ist wie wir und den Gichtbrüchigen mimt, um uns und unseren Heiligen zu verspotten.“
Mit diesen Worten ergriffen sie ihn, zogen ihn von dem Gerüst herunter, zerrten ihn bei den Haaren, rissen ihm die Kleider vom Leibe und bearbeiteten ihn mit Faustschlägen und Rippenstößen – kurz, man schien zu glauben, wer ihm nicht eins versetzte, der könnte kein braver Kerl sein. Martellino bat zwar um Gottes willen um Barmherzigkeit und wehrte sich dabei seiner Haut, so gut er konnte, allein es half alles nichts, und die Faustschläge und Fußtritte fielen immer dichter. Wie Stecchi und Marchese dies gewahr wurden, fürchteten sie, es möchte ein schlimmes Ende nehmen, und da sie für sich selbst besorgt waren, so durften sie es nicht wagen, ihrem Kameraden zu Hilfe zu kommen. Im Gegenteil schrieen sie so laut wie die Übrigen: „Schlagt ihn tot, den Hund!“ Doch sannen sie im Stillen auf ein Mittel, ihn den Händen des Pöbels zu entreißen, der ihn gewiss getötet hätte, wenn nicht Marchese beizeiten auf einen glücklichen Einfall gekommen wäre. Dieser, der bemerkt hatte, dass die ganze löbliche Polizei zugegen war, ging, so eilig er konnte, zu dem vom Stadtvogt bestellten Kommandanten und rief: „Helft um Gottes willen! Hier ist ein Spitzbube, der mir meinen Beutel mit mehr als hundert Goldgulden gestohlen hat; ich bitte Euch, lasst ihn festnehmen, damit ich das Meinige wiederbekomme.“
Den Augenblick liefen ein Dutzend Häscher dahin, wo man dem armen Martellino den Pelz wusch. Mit knapper Not gelang es ihnen, den zusammengerotteten Pöbel zu zerstreuen und ihm den Martellino, übel misshandelt und zerzaust, aus den Händen zu reißen. Sie brachten ihn nach dem Rathause, wohin ihm viele von denen nachfolgten, die sich für beleidigt hielten. Wie sie hörten, dass man ihn als einen Beutelschneider eingezogen hatte, glaubten sie, sie könnten ihn nicht besser an den Galgen bringen als durch ähnliche Beschuldigungen, und ein jeder fing an zu schreien, er sei auch von ihm bestohlen worden. Wie dies der Richter hörte, der ein gestrenger Mann war, ließ er ihn gleich ins heimliche Verhör bringen und fing an, ihn zu befragen. Martellino antwortete ihm mit lauter Scherzreden und schien sich aus seiner Verhaftung nichts zu machen, worüber der Richter aufgebracht ward, ihn auf die Folter spannen und ihm einige tüchtige Hiebe geben ließ, um ihn zum Bekenntnis zu bringen und ihn dann hängen zu lassen. Wie man ihn wieder aufstehen ließ und der Richter ihn fragte, ob es wahr sei, was man gegen ihn vorbrächte, und Martellino wohl merkte, dass das bloße Leugnen ihn nicht retten würde, sprach er: „Mein Herr, ich bin bereit, Euch die Wahrheit zu bekennen. Fragt aber vorher einen jeden Eurer Ankläger, wann und wo ich ihm seine Börse gestohlen habe, so will ich Euch hernach sagen, was ich getan habe und was nicht.“
Der Richter war es zufrieden und ließ einige von den Klägern rufen. Der eine sagte, er hätte ihm vor acht Tagen, der andere vor vier und wieder ein anderer, er hätte ihm heute seinen Beutel genommen. Wie dieses Martellino hörte, sprach er: „Mein Herr, alle diese Menschen lügen in ihren Hals, und das