Das hätte er nicht sagen sollen, denn es verletzte sie tief. Und wenn sie verletzt war, dann wurde sie trotzig, ganz unvernünftig trotzig. So war es bei ihr von Kindheit an gewesen.
Ja, wenn er sie würde gebeten haben so ganz klein wenig nur. Aber dieser unverdiente Vorwurf, der wie ein Schlag ins Gesicht war – nein, der hätte nicht kommen dürfen.
Sie sah ihn mit einem Blick an, in dem Trotz, Schmerz und tiefverletztes Empfinden zu lesen stand – drehte sich um und verließ das Zimmer. Alle Freude war dahin, und doch war sie die Lustigste auf dem Ball. Sie benahm sich tadellos, das mußte auch der kritischste Beobachter feststellen.
Und doch wurde die Miene des Gatten immer finsterer. Er kümmerte sich überhaupt nicht um sie. Noch nicht einmal getanzt hatte er mit ihr, was in dem Trubel allerdings nicht auffiel. Sie konnte das alles kaum noch ertragen. Ihr Mund lachte, während das Herz weinte.
Als die Feststimmung ihren Höhepunkt erreichte, wählte man den Jagdherrn und seine Gattin zu Jagdkönig und Jagdkönigin. Seines Sträubens nicht achtend, wurde ihm die Krone aufs Haupt gedrückt, was sich Sölve lachend gefallen ließ. Unter den Klängen des Jägermarsches stellte man sich zur Polonaise auf, die Gekrönten vorweg. Dazu sang man eifrig den Text mit:
»Ich schieß den Hirsch im wilden Forst, im tiefen Tal das Reh –«
Wie eine Elfe schwebte Sölve am Arm des ernsten, stillen Mannes dahin. Es fiel ihm gar nicht ein, ihre Hand, deren Fingerspitzen kaum fühlbar auf dem Ärmel seiner grünen Joppe lagen, fester an sich zu ziehen. Korrekt, wie ein Fremder, schritt er neben ihr her.
Und korrekt tat er auch den anschließenden Tanz ab. Seine heute so hartglitzernden Augen schweiften über ihr Haupt hinweg. Sölve hätte aufschreien mögen, so tat ihr das Herz weh.
Aber gottlob geht ja alles einmal vorüber. So auch dieses Fest, das für Sölve zur Qual wurde. Endlich war sie im Bett, löschte das Licht und weinte sich müde und matt. Die brennenden Augen in die Kissen gedrückt, schlief sie endlich ein. Und Frau Nornes Spinnrad sang lind und tröstend in diesen Schlaf...
Das Herz wird dein, das Herz allein, um das es sich lohnet zu streiten.
Da stahl sich ein zaghaftes Lächeln um die Lippen des zerquälten jungen Weibes.
*
Prinz Karneval, rühre die
Trommel zum Tanz, es gilt heute
mehr als ein Mummenschanz,
es gilt, zwei Herzen,
die bitter weinen,
noch heut zu vereinen.
Am nächsten Morgen war alles wieder wie immer. Man fand sich, wenn auch verspätet, zum Frühstück zusammen, plauderte froh und angeregt.
Und doch herrschte eine Spannung, wenn auch kaum fühlbar. Es schien zwischen den Gatten eine Mauer emporzuwachsen, die zur unüberwindlichen Höhe steigen mußte, wenn man sie nicht rechtzeitig niederriß. Ein Satz nur hatte den Grundstein zu dieser Mauer gelegt, im warnenden Ton gesagt, im stolzverletzenden Sinne aufgefaßt. Ein erklärendes Wort wurde hier nicht gesprochen, dort nicht verlangt – und es hätte doch so viel Kummer verhüten können.
Sölve litt unsagbar unter dem allen. Ob er es auch tat? Ja, das war nicht zu ergründen. Ruhig und ernst ging er durch seine Tage, verändert. Vielleicht war sein Gesicht noch härter geworden, seine Art noch ein wenig schroffer, aber das war auch alles. Er verwöhnte seine Frau noch mehr als sonst, überschüttete sie mit Geschenken. Sorgte für Theater- und Kinokarten, nahm Einladungen an, arrangierte Schlittenfahrten mit anschließendem Tanz, sorgte jedenfalls für Abwechslung aller Art.
Und das alles hätte Sölve hingegeben für ein herzliches, liebevolles Wort von ihm.
Als Jörn und Ricarda endlich von ihrer Hochzeitsreise zurückkehrten, da wurde es für Sölve noch schlimmer. Das Glück strahlte den beiden nur so aus den Augen. Es war eine Freude, mit anzusehen, wie eins im anderen aufging.
Das war Glück, reines, volles Glück. So glücklich würde sie, Sölve, niemals sein.
Und warum? Weil der Mann, den sie so unsagbar liebte, Hirngespinsten nachjagte und einer Einbildung lebte, die ihm jede Lebensfreude nehmen mußte. Wenn er sie geliebt hätte, dann wäre dieser starre Grundsatz vielleicht zunichte geworden. Aber ihre ganze Art sagte ihm wohl nicht zu. Sie war ja nicht einmal wert, Baronin Götterun zu sein, die Trägerin seines alten, untadeligen Namens. Ins Schlößchen mochte sie gar nicht gehen. Sie konnte das Glück der Gatten dort nicht sehen.
»Was fehlt Ihnen, Frau Sölve?« fragte Jührich, als er sie einmal allein antraf. »Sie sind jetzt immer so blaß und still.«
»Ach, das haben Ihre Augen bemerkt?« spottete sie bitter.
»Nicht so, Frau Sölve«, bat er leise. »So liebesselige Augen haben Ricarda und ich nicht, um Ihre Veränderung nicht zu sehen.«
»Sind Sie glücklich, lieber Freund?« wich sie hastig vom Thema ab.
»Ja, Freundin Sölve, ich bin es – aber Sie nicht«, beharrte er hartnäckig. »Ich liebe meine süße Rosenrot aus tiefstem Herzengrund. Sie macht mich unsagbar glücklich. Daher möchte ich auch Sie glücklich sehen.«
»Nicht –«, wehrte sie gequält ab. »Ich weiß, Sie meinen es gut – aber lassen Sie mich nur.«
Damit mußte er sich zufriedengeben.
Am Tage nach dem Rosenmontag sollte in der naheliegenden Stadt ein Maskenball steigen, zu dem alles, was einen Namen hatte, geladen war.
Sölve wollte nicht mitmachen, doch Ricarda ließ nicht eher nach, bis sie sie dazu überredet hatte.
»Das ist recht, mein Kind«, lobte Frau Fröse, als sie von Sölves Entschluß hörte. »Es wird eine gute Aufheiterung für dich sein.«
»Eigentlich tut es mir jetzt schon wieder leid, Ricardas Drängen nachgegeben zu haben«, seufzte sie. »Was soll ich unter fröhlichen Menschen?«
»Sag mal, wie alt bist du eigentlich, du leidverklärte Greisin? Da sollte man doch wirklich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen bei solch einem Getue!«
»Schilt nicht, Tante Marga. Wenn ich nun schon mitmachen muß, so laß uns beraten, welche Kostüme wir wählen sollen.«
»Wir –?« kam es befremdet zurück.
»Natürlich. Oder willst du etwa nicht mitkommen?«
»Sölve, sei doch vernünftig. Was soll ich alte Frau auf einem Maskenball? Da möchten ja die Möwen lachen.«
»Du und alt? Darüber lachen höchstens die Möwen. Du mit deiner jugendlichen Gestalt –«
»Und dem Runzelgesicht –«, warf sie lachend ein.
»Hast du ja gar nicht. Komm mit, Tante Marga – mir zuliebe.«
»Aber, herzliebstes Kind, brauchst du denn eine Kinderfrau?«
»Pfui, Tante Marga! Ohne dich macht mir das Fest überhaupt keine Freude.«
»Na schön, du Quälgeist. Ich bitte mir aber aus, daß du dann lustig und vergnügt bist. Deine Trauermiene in den letzten Wochen war schon gar nicht mehr mitanzusehen.«
»Du weißt ja warum, Tante Marga.«
»Nein, das weiß ich nicht. Du bist doch sonst so tapfer, mein Kind. Und hier, wo es um dein Lebensglück geht und das des geliebten Mannes, da versagst du.
Ja, sieh mich nur groß an, es ist schon so, wie ich sage. Mit Trotz und verletztem Stolz erreichst du bei diesem Mann gar nichts. Höchstens, daß er sein Herz immer mehr verschließt. Seinen starren Grundsatz kann nur Liebe, immer nur Liebe erschüttern. Die Liebe ist die stärkste