»Verzeihung«, sagte eine
dunkle, klangvolle Stimme, die sich sofort in ihr Ohr schmeichelte. »Sind Sie die Dame, die meine Mutter gestern so gütigst betreut hat?«
»Ja. Es geschah von Herzen gern.«
»Darf ich mich bei Ihnen bedanken?«
»Wenn es sein muß«, lächelte sie ihr anmutiges Lächeln, das ihr rasch viele Herzen gewann. »Wollen Sie bitte nähertreten.«
»Wenn ich darf, mit Vergnügen.«
Bevor er im Zimmer den ihm angewiesenen Platz nahm, stellte er sich vor:
»Holger Hadebrandt.«
»Und ich heiße Mechthild Runard. Wie geht’s Ihrer Frau Mutter?«
»Danke – besser, als zu befürchten war. Sie ist nur recht unzufrieden, daß ihre gütige Helferin sich davongeschlichen hat, ohne ihren Dank entgegenzunehmen. Daher beschwor sie mich, Sie unter allen Umständen ausfindig zu machen, gnädige Frau. Allein, das schien nicht so einfach. Wohl konnte meine Mutter Ihr Aussehen beschreiben, doch das war sehr wenig, um Sie in dieser nicht so kleine Stadt zu finden. Zum Glück hatte Mutter bemerkt, welches Haus Sie betreten wollten. Also bin ich nach dem Geschäft gegangen, vor dem der kleinen Unfall geschah, beschrieb dort Ihr Äußeres, man wies mich hierher – und da bin ich«, schloß er mit seinem warmen Lachen.
Während er sprach, hatte Mechthild ihn unauffällig betrachtet. Keine alltägliche Erscheinung. Ziemlich hochgewachsen und recht schlank, mit einem rassigen Gesicht. Augen blaugrau und seine Haare von einem satten Blond. Dazu mit der unauffälligen Eleganz eines gutsituierten Menschen gekleidet.
Aber auch er hatte ihr Bild diskret in sich aufgenommen. Ergebnis: Die Gestalt über mittelgroß, Gesicht fein geschnitten, Augen groß, von einem leuchtenden Blau, Haare kastanienbraun, mit einem metallischen Glanz. Über allem lag ein Hauch von Vornehmheit, trotz der sehr einfachen Kleidung. Und das Lächeln – ja, das war einfach bezaubernd. Es umschmeichelte Kopf und Herz.
»Aber ich bitte Sie, Herr Hadebrandt«, lächelte sie ihn an. »Die Mühe, die mein Auffinden Ihnen gemacht hat, war doch unnötig. Was ich gestern getan habe, war einfachste Menschenpflicht.«
»Gewiß, gnädige Frau. Aber wird Sie dieser Pflicht genügen, das ist ausschlaggebend. Deshalb müssen Sie sich auch meiner Mutter und meinen Dank gefallen lassen. Darf ich Sie bitten, ihr den Gefallen zu tun und sie heute zu besuchen? Oder wäre Ihr Gatte dagegen?«
»Ich bin seit zwei Jahren Witwe, Herr Hadebrandt. Habe nur eine vierzehnjährige Tochter.«
»Wie ist denn das möglich, gnädige Frau?« fragte er verblüfft. »Wann haben Sie denn geheiratet?«
»Mit achtzehn Jahren«, lächelte sie amüsiert. »Mit neunzehn war ich bereits Mutter.«
»Immer noch erstaunlich, gnädige Frau. Sie sehen so jung aus, daß ich Sie ohne weiteres für ein junges Mädchen gehalten hätte, wenn der Geschäftsinhaber nebenan Sie nicht als Frau Runard bezeichnete.«
»Machen Sie oft solche Komplimente«, fragte sie leicht errötend, und er lachte.
»Bewahre! Ich mache Ihnen ja auch kein Kompliment, ich stelle nur ganz sachlich eine Tatsache fest. – Doch wie ist es, gnädige Frau, darf meine Mutter Sie heute nachmittag zu einer Tasse Kaffee erwarten? Die Ärmste, die nun an den Diwan gefesselt ist, langweilt sich sträflich. Daher täte ein gemütlicher Plausch ihr gut.«
»Wenn es nicht unbescheiden ist, dann komme ich gern«, entgegnete Mechthild einfach.
»Herzlichen Dank! Und bringen Sie auch Ihr Töchterlein mit.«
*
Mit dem Tage begann für Mechthild die glücklichste Zeit ihres Lebens. Als sie das Hadebrandt-Haus betrat, fühlte sie sich sofort darin heimisch. Seine feudale Umgebung, die vornehme Art seiner Bewohner nahmen sie immer mehr gefangen. Es verging kaum ein Tag, wo sie und Ebba dieses traute Heim nicht aufsuchten und es sich darin gut sein ließen. Auch dann, als Frau Hadebrandt schon längst wieder munter einherging.
Sie und ihr Sohn kannten nun die Vergangenheit Mechthilds. Die ihr karge Freude, doch um so mehr Trübsal
und Sorge gebracht. Frau Hadebrandt machte kein Hehl daraus, daß dieses feine, bescheidene Menschenkind ihr Herz besaß vom ersten Sehen an. Sie zeigte es ihr durch mütterliche Herzlichkeit.
Die menschenkundige Frau hat auch Ebba sofort durchschaut. Versuchte in feinfühliger Art, erzieherisch auf das eigenwillige Mädchen einzuwirken. Allein, viel Erfolg hatte sie nicht zu verzeichnen. Die verkehrte Erziehung von seiten des Vaters machte sich immer mehr bemerkbar.
Mechthild zuliebe ertrug sie deren hochfahrende, rücksichtslose Tochter mit Geduld. Denn sie hatte schon längst gemerkt, daß die sonst so vernünftig denkende Frau in bezug auf ihr geliebtes Kind außerordentlich empfindlich war. Und kränken wollte sie das ihr so liebe Menschenkind gewiß nicht.
Mit Rührung sah sie, wie dieses förmlich auflebte. Wie es von Tag zu Tag immer glücklicher und froher wurde. Wie ein jungfrohes Lachen sich immer mehr hervorwagte. Damit schmeichelte es sich von Tag zu Tag mehr und mehr in ihr mütterliches Herz.
Und noch einem gefiel die jetzt so jung gewordene, zur vollen Schönheit erblühte Mechthild: Holger Hadebrandt. Doch er hütete sich, das dieser sensiblen Frau offen zu zeigen, bevor seine Zeit gekommen war. Langsam und behutsam ging er bei seinem Werben um sie vor, Schritt um Schritt.
Nach einigen Wochen war er dann soweit, daß sie ihn beim Vornamen nannte und ihm für ihre Person das gleiche Recht einräumte. Frau Hadebrandt wurde für sie die geliebte Tante Anne.
Ebbas Gunst zu gewinnen war für Holger schon schwerer. Zwar ließ sie sich gnädig seine onkelhafte Herzlichkeit, seine kleinen Geschenke gefallen, stand ihm dabei jedoch ablehnend gegenüber. Denn zum ersten Mal im Leben mußte dieses egoistische Geschöpf erfahren, daß es nicht Hauptperson war, daß die Mutter hier an erster Stelle stand. Und das war etwas, das es absolut nicht vertragen konnte.
So ging es ein Vierteljahr, dann glaubte Holger Mechthilds Liebe sicher zu sein. Also bat er sie eines Tages, seine Frau zu werden, wozu sie mit glücklicher Freude bereit war.
Allein, Ebba sträubte sich mit leidenschaftlicher Heftigkeit dagegen, einen Stiefvater zu bekommen. Sie wollte keinen haben – nein – nein – nein! Damit sie das fünfte Rad am Wagen würde. Überhaupt dann, wenn sich später Kinder einstellten. Auf keinen Fall dürfe die Mutter heiraten – sonst ginge sie ins Wasser!
Kein flehendes Bitten, kein gütiges Zureden Mechthilds half – sie beharrte auf ihrem Starrsinn. Und als diese dann unwillig wurde, rannte sie in ihr Zimmer und schloß sich ein.
Die Mutter ließ sie gewähren. Vielleicht kam das vertrotzte Kind so eher zur Vernunft. Sie machte ihre Einkäufe, und als sie wiederkam – war Ebba fort.
Eine bebende Angst packte sie. Hatte das unglückselige Kind nicht gedroht, ins Wasser zu gehen? Wenn es diese Drohung, die sie nicht ernst genommen, nun wahr gemacht hätte?
In ihrer furchtbaren Not lief Mechthild von einer Freundin Ebbas zur anderen, hoffend, daß diese dort vorgesprochen hätte. Stieß jedoch bei drei Stellen auf verneinenden Bescheid, was ihre Verzweiflung ins Grenzenlose steigerte.
Doch Doritt Wentruck konnte ihr Bescheid geben. Ja, Ebba wäre bei ihr gewesen, vollständig aufgelöst in Jammern. Sie könnte es nicht ertragen, durch einen Stiefvater die geliebte Mutter zu verlieren. In den Schloßteich wollte sie gehen, das hatte sie immer wieder versichert.
Gejagt vor Angst, rannte die Mutter davon. Achtete nicht darauf, daß der Regen sie völlig durchnäßte. Dazu begann es bereits zu dunkeln.
»Barmherziger Gott, gib mir mein Kind wieder betete sie in ihrer Not. »Auf alles persönliche Glück will ich verzichten – gib mir nur mein geliebtes Kind wieder! «
Endlich