»Ja.«
»Herrlich! Dann kannst du mich zum Festsaal fahren, ja? Kinder, das wird heute ganz groß! Meine Freundinnen werden Augen machen, wenn ich per Auto anbrause. Es ist doch passabel?«
»Ich nehme an.«
»Natürlich, du bist ja auch reich. Das sieht man schon an deiner ganzen Aufmachung. Fabelhaft elegant! Ganz große Klasse. Da kann ich aber mit dir angeben. Gnädig werde ich dich meinen Freundinnen vorführen – aber tanzen mußt du mit mir allein.«
»Du willst mich in den Ballsaal schleifen?« fragte er lachend.
»Ehrensache! Die Bande, die immer so großartig tut, soll vor Neid zerspringen. Halt, bald hätte ich es vergessen! Du mußt mir deine Kette geben, Mutti, und das süße Armband dazu. Fabelhaft wird sich der kostbare Schmuck bei meiner eleganten Toilette ausnehmen. – Nun gib schon!« Sie stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf, als die Mutter zögerte. Schweigend entfernte diese sich und brachte das gewünschte Geschmeide, nach dem Ebba gierig griff.
Die kostbaren Steine des Anhängers an der Platinkette blitzten an dem weißen Hals der Trägerin, schwer hing das goldene Armband an dem zarten Gelenk.
»Welch ein herrlicher Schmuck«, flüsterte der Mann. »Wohl ein Erbstück, Mechthild?«
»Ja, es stammt von meiner Mutter. Gib nur acht, Ebba, damit du ihn nicht verlierst.«
Sie ging nach dem Korridor und holte den Mantel, in den das Mädchen maulend schlüpfte.
»Schäbig genug. Aber was soll man machen, wenn man nichts anderes hat? Wie gräßlich ist es doch, arm zu sein! Nun komm, Holger, es ist allerhöchste Zeit.«
Damit schob sie ihren Arm unter den seinen und zog ihn mit sich fort. Sie hatte keinen Blick für die Mutter, die ihr traurig nachsah.
*
Während Mechthild die Küche aufräumte, umspielte ein bitteres Lächeln ihren Mund. Ebba hatte ja so recht! Sie war mit ihren sechsunddreißig Jahren bereits eine alte Frau – alt und müde. Sie war immer ein braves Haushuhn gewesen und würde es bleiben bis an ihr Lebensende…
Ihr waren alle Jugendfreuden verschlossen gewesen. Während andere Mädchen ihres Alters sich unbeschwert vergnügten bei Flirt und Sport, mußte sie den Rollstuhl der Mutter schieben. Wenn sie am Abend Tanzkurse besuchten, mußte sie am Bett der verbitterten Frau sitzen, ihr Wehklagen und Jammern geduldig mit anhören.
Als die Mutter dann starb, war sie gerade achtzehn Jahre alt geworden und von Herzen froh, als kurz darauf Doktor Runard, ein höherer Gerichtsbeamter, sie zur Frau begehrte. Wohl war er dreißig Jahre älter als sie, aber immer noch ein lebenslustiger Mann, der es mit jedem Jungen aufnehmen konnte. Dazu besaß er eine gut eingerichtete Wohnung – seine Frau war vor einem Jahr gestorben und ein auskömmliches Gehalt. Also war sie, die nach dem Tode der Mutter allein stand bei ihm gut aufgehoben.
Sie wurde sogar nach einjähriger
Ehe Mutter, was sie unsagbar beglückte.
Ihr Mann liebte sie so, wie ein Ichmensch seine Frau lieben kann. Verwöhnte sie sogar auf seine Art, hielt es jedoch für selbstverständlich, daß sie sich seinem herrischen Willen fügte und seine Launen ohne Murren ertrug genauso, wie es ihre Mutter als selbstverständlich angesehen hatte.
Arg wurde es, als sich ein Gallenleiden bei Runard einstellte, das ihn zwang, sich frühzeitig pensionieren zu lassen. Ohne Beschäftigung, sich selbst und anderen zur Last, lebte er unzufrieden dahin.
Und gerade in dieser Zeit gebar Mechthild ihr zweites Töchterchen, ein sehr schwächliches Geschöpf, das ihr vom ersten Schrei an nur Sorge machte. Der verdrießliche Vater beachtete sein zweites Kind überhaupt nicht, sein Vorzug blieb Ebba, die ihm ganz und gar ähnlich sah. Er verwöhnte das ohnehin schon egoistische Mädchen maßlos, erfüllte ihm jeden Willen.
So konnte es kommen, daß die kleine Tyrannin das Haus beherrschte. Dem Vater gehorchte sie widerwillig, der Mutter überhaupt nicht.
Das alles machte Mechthild das Leben bitter schwer. Dazu noch das ungemein zarte zweitgeborene Töchterchen, dessen kleines Leben jeden Tag verlöschen konnte. Es gab Stunden, wo sie schier verzweifeln wollte. So ging es zwei Jahre, dann starb das Kind – und wenige Wochen darauf erlag der Kranke seinem Leiden.
Nun stand Mechthild mit ihrer Ältesten allein da, die sich über den Tod des Vaters wie toll gebärdete. Von der anstrengenden Pflege der Dahingeschiedenen zermürbt, hätte die zarte Frau der sorgfältigsten Pflege bedürft. Statt dessen mußte sie ihr bisheriges Leben in eine ganz andere Bahn lenken, mußte die große Wohnung auflösen und eine kleinere dafür mieten, die sie auch jetzt noch innehatte.
Und dann kam noch etwas, dem sie zuerst ratlos gegenüberstand. Es stellten sich Gläubiger ein, von denen ihr Mann Geld geliehen hatte. Und da sie mit ihm in Gütergemeinschaft gelebt, mußte sie für die Schulden aufkommen, deren es nicht wenige waren.
Also lieh sie sich von einer wohlhabenden Freundin zu hohen Zinsen Geld, um nur die rücksichtslosen Gläubiger abzufinden, verkaufte alle überflüssigen Möbel und richtete sich eine Dreizimmerwohnung, allerdings recht behaglich, ein. Nun zahlte sie schon seit Jahren monatlich hundert Mark von ihrer Witwenpension ab und mußte sich daher sehr einschränken. Fünf Jahre zahlte sie nun schon daran. Nun noch einige Monate, dann hatte sie es geschafft. Gott sei Dank!
Jetzt blieb »nur« das Problem Ebba. Die Schule war bei ihr ein Kapitel für sich. Obwohl Ebba das Lernen nicht schwerfiel, kam sie immer nur mit knapper Not durch die Klassen. Mußte recht oft sogar Nachhilfestunden nehmen. Daß sie diese mehr als einmal schwänzte, das wußte die Mutter natürlich nicht. Sie wußte überhaupt vieles nicht, was die Tochter tat.
Einfluß hatte Mechthild auf die selbstherrliche kleine Person ja nie besessen, weil der Gatte ihrer Erziehung ständig entgegengearbeitet. Und als ihr diese bei der damals Zwölfjährigen allein zufiel, konnte sie noch kaum etwas nachholen, was solang versäumt worden war. Eine straffere Hand als die der gütigen Mutter hätte da vielleicht noch etwas ausrichten können. Daher trug sich Mechthild eine Zeitlang ernstlich mit dem Gedanken, ihrem eigenwilligen Kinde einen zweiten Vater zu geben, und zwar den Großkaufmann Holger Hadebrandt, den sie durch Zufall kennenlernte. Als sie nämlich vor ungefähr drei Jahren an einem Wintertag das Haus, in dem sie wohnte, betreten wollte, sah sie eine Dame aus dem Geschäft, das nebenan lag, kommen und auf dem glatten Weg ausgleiten. Gefällig, wie Mechthild stets war, eilte sie hinzu, um der Unbekannten aufzuhelfen. Dabei stöhnte diese vor Schmerzen, weil sie sich den Fuß verletzt hatte.
»Um Gott, gnädige Frau, das ist ja furchtbar«, sagte Mechthild erschrocken. »Vielleicht können wir ganz langsam in den Laden nebenan gehen, von dem aus ich fernmündlich ein Auto bestellen werde, das Sie nach Hause bringt. Stützen Sie sich nur tüchtig auf mich, ich halte es aus.«
»Danke, liebes Kind, Sie sind sehr gütig. Wenn ich mich an Ihnen festhalten kann, ist der Schmerz erträglich. Mein Auto muß nämlich jeden Augenblick hier sein. Der Chauffeur ist nur zum Tanken gefahren, während ich meine Einkäufe machte.«
Und tatsächlich kam der Wagen schon wenige Minuten später. Der Chauffeur brachte seine Herrin mit Mechthilds Hilfe so unauffällig und geschickt im Auto unter, daß die Straßenpassanten nichts davon merkten, sondern achtlos vorübergingen. Mechthild wollte sich verabschieden, doch die Dame hielt sie zurück.
»Machen Sie das Maß Ihrer Güte voll, mein liebes Kind. Steigen Sie bitte mit ein, damit ich mich an Sie lehnen kann.«
Dazu war die junge Frau gern bereit. Sie leistete der Verletzten Hilfestellung. So gut es gehen wollte. Bald war eine Villa erreicht, die ein wenig außerhalb der Stadt lag. Der Chauffeur eilte in das schmucke Gebäude und kam gleich darauf mit einem Herrn wieder, der hastig den Schlag aufriß.
»Muttchen, was machst du bloß für Sachen!« sagte er erschrocken. »Komm, leg deine Arme um meinen Hals, dann werde ich dich tragen, so behutsam ich nur kann.«
Während die Dame der Aufforderung ihres Sohnes nachkam,