Und mit dieser Auskunft musste sich Studer zufrieden geben. Nicht einmal mit dem Schreier und dem Buchegger konnte er die Bekanntschaft erneuern. Sie arbeiteten noch, hieß es.
Eine Baumschule sei kein Staatsbetrieb, sagte der Ellenberger bissig. Am Samstagnachmittag werde hier geschafft…
Zimmer zu vermieten
Schlumpf hatte dem Wachtmeister erzählt, er habe bei einem Ehepaar gewohnt, das in der Bahnhofstraße ein Korbereigeschäft betrieben habe. Hofmann hätten die Leute geheißen.
Das Haus war nicht schwer zu finden. Auf dem Trottoir, vor dem Laden, standen geflochtene Blumenständer, die sich nach einem Salon und der obligaten Palme zu sehnen schienen. Studer trat ein, eine Klingel schrillte gedämpft in einem hinteren Zimmer und dann betrat eine Frau den Laden. Sie trug eine blaugestreifte Ärmelschürze, ihre Haare waren grau und ordentlich frisiert. Sie fragte, was der Herr wolle, und ihre Höflichkeit wirkte angelernt.
Er komme, sagte Studer, um über den Schlumpf Erwin, der ja hier gewohnt habe, Auskunft einzuziehen. Wachtmeister Studer von der Kantonspolizei. Man habe ihn mit der Verfolgung des Falles betraut, und er hätte gern etwas über den Burschen erfahren.
Die Frau nickte, ihr Gesicht wurde traurig.
Das sei eine heillose Geschichte, meinte sie. Der Wachtmeister möge doch eintreten, sie sei allein, ihr Mann sei hausieren gegangen, ob der Wachtmeister nicht ein wenig in die Küche kommen wolle, sie habe gerade Kaffee gemacht, er könne auch eine Tasse trinken, wenn er wolle.
Ganz ungeniert.
Auf Kaffee hatte Studer gerade Lust…
Und er bereute es nicht, denn der Kaffee war gut, keine laue Brühe wie im ›Bären‹. Die Küche war klein, weiß, sehr sauber. Nur der Stuhl, auf dem Studer Platz genommen hatte, war ein wenig zu schmal…
Studer begann vorsichtig zu fragen.
– Ob der Schlumpf pünktlich gezahlt habe? – O ja, jeden Monat, am letzten, wenn er Zahltag gehabt hätte, sei er gekommen und habe 25 Franken auf den Tisch gelegt. – Und sei am Abend immer daheim geblieben? – Das erste Jahr schon, aber seit färn sei er am Abend oft spät zurückgekommen. – Aha, meinte Studer, eine Liebschaft?
Frau Hofmann lächelte. Es war ein freundliches, mütterliches Lächeln. Studer freute sich im stillen über die Frau. Sie nickte.
– Aber das Mädchen sei nie zum Schlumpf ins Zimmer gekommen? – Nie, nein. Solche Sachen wolle sie nicht haben. Nicht dass sie etwas daran finde, aber in einem Dorf!… Der Wachtmeister werde verstehen…
Studer verstand. Es war an ihm zu nicken, und er nickte überzeugt. Er saß da in seiner Lieblingshaltung, die Schenkel gespreizt, die Unterarme auf den Schenkeln und die Hände gefaltet. Sein magerer Kopf war gesenkt.
– Das Mädchen sei auch nie gekommen, um den Schlumpf abzuholen? – Nein… Das heißt, wohl einmal… am Mittwochabend…
»Um welche Zeit?«
»Um halb sieben. Der Schlumpf ist gerade von der Arbeit zurückgekommen, hat sich im Zimmer gewaschen… Er war gerade am Waschen, da ist das Meitschi in den Laden gekommen, ganz blass war sie, aber das hat mich weiter nicht gewundert, weil doch ihr Vater ermordet aufgefunden worden war… Sie hat gesagt, sie müsse den Schlumpf sprechen und ob ich ihn rufen wolle. Er ist dann gekommen, ich hab’ die beiden in der Küche allein gelassen, aber sie haben kaum eine Minute miteinander gesprochen. Dann ist das Meitschi wieder fortgegangen. Und der Schlumpf ist erst nach Mitternacht heimgekommen…«
»Das war am Mittwoch, also am Abend nach der Entdeckung des Mordes, nicht wahr?«
»Ja, Herr Wachtmeister. Ich hab schlecht geschlafen in der Nacht, um vier Uhr hab ich den Schlumpf gehört, wie er auf den Socken die Treppe hinuntergeschlichen ist. Um sieben Uhr ist dann schon der Murmann gekommen und hat den Schlumpf verhaften wollen. Aber da war der Erwin schon fort…«
Der Erwin… Der Name klang zärtlich im Mund der grauen Frau. Zwei Jahre hatte der Erwin also bei den gleichen Leuten gewohnt, er musste sich gut aufgeführt haben, sonst hätten sie ihn wohl nicht so lange behalten…
»Und habt Ihr sein Vorleben gekannt?«
»Ach, Wachtmeister«, sagte Frau Hofmann. »Er hat Unglück gehabt, der Erwin. Mein Vater hat immer gesagt: ›Richtet nicht, auf dass Ihr nicht gerichtet werdet‹. Nein, nein, ich geh’ nicht zu den Stündelern, aber Ihr wisst ja, Wachtmeister, wie es manchmal gehen kann. Der Erwin hat uns in der zweiten Woche alles erzählt, von seinen Einbrüchen und von Thorberg und von der Zwangserziehungsanstalt… Einmal hat ihn seine Mutter besucht… Eine gute Frau… Der Erwin hat viel von seiner Mutter gehalten… Habt Ihr die Mutter gesehen?«
Studer nickte. Er hörte die alte, ruhige Stimme, die fragte: »Aber er darf noch z’Morgen nehmen?«
Über der Küchentür schrillte die Klingel. Es sei wohl jemand im Laden, meinte die Frau, stand auf, füllte vorsorglich Studers Tasse – mit Zucker und Milch solle er sich nur bedienen, meinte sie –, und dann ging sie ihre Kunden bedienen.
Studer trank die Tasse in kleinen Schlücken leer, zog die Uhr: es war bald sechs. Er hatte noch Zeit.
Er spazierte in der kleinen Küche umher, die Hände auf dem Rücken verschränkt, dachte an nichts und schüttelte nur von Zeit zu Zeit den Kopf, wenn ihn irgendein Gedanke belästigen wollte. Zweimal, dreimal kam er an dem weißen Küchenschaft vorbei, ohne ihn richtig zu sehen, bis er sich, bei einer brüsken Kehrtwendung, schmerzhaft an einer Ecke stieß. Nun betrachtete er erst das Möbel, aufmerksam und missbilligend. Es war ein weißer Küchenschaft, unten breit, mit Holztüren; auf diesem breiten unteren Teil erhob sich ein schmäleres Gestell mit Glasfenstern. Ein Stapel Teller, daneben Tassen und Gläser, einige Bratenschüsseln. Auf dem obersten Brett lagen alte Zeitungen, ordentlich aufgeschichtet und neben ihnen, durcheinander, altes Packpapier. Die Türen waren nur angelehnt. Studer starrte auf den unordentlichen Stoß Packpapier. Und da er sich langweilte, nahm er das Packpapier heraus – er packte es fest mit beiden Händen, damit nicht irgendein kleineres Blatt zu Boden flatterte –, legte den Stoß auf den Tisch und begann es sorgfältig zusammenzulegen.
Als