»Au!« schrie Annemarie.
Herr Zippel gab dem übermütigen Pausback eins auf die Finger. Da machte der Wind, daß er weiterkam.
»Sssssss – ssssss –« immer leiser klang seine Stimme aus der Ferne.
Herr Zappel hüllte das vor Kälte zitternde Kind fest in die Bettdecke, und Herr Zeppelin ließ es von seinem Glas Wein nippen. Das machte Vater mit seinem Nesthäkchen mittags genau ebenso. Jetzt wurde es der Kleinen mollig und gemütlich zumute. Aber es kam wieder schlimmer.
»Hui – iiii – hui – iiii« – pfiff es plötzlich in den Lüften.
Annemarie zog schnell ihren Kopf zurück, denn eiskalter Atem schlug ihr ins Gesicht.
»Jetzt sind wir im Reich des Sturmes«, belehrte sie Herr Zippel. »Halte dich fest, Kind, daß er dich nicht hinausweht.«
»Hui – iiii – huii – iiii« – wilder pfiff und heulte es. Mit fliegenden Gewändern und flatternden Haaren kam der Sturm dahergebraust. Er rüttelte an dem Luftschiff, daß die Glasscheiben klirrten und die Propeller sich in rasender Geschwindigkeit drehten.
»Der stellt sich schlimmer, als er ist«, beruhigte Herr Zeppelin das furchtsame Kind. »Hab’ nur keine Angst!«
Aber Klein-Annemarie verstand die wohlgemeinten Worte nicht bei dem Pfeifen und Heulen des Sturmes.
Immer lauter und toller wurde das Geheul ringsum.
»Jetzt kommen wir zu dem Orkan«, schrie Herr Zippel der sich furchtsam an ihn schmiegenden Kleinen ins Ohr.
Hu – der brüllte und tobte – hu – der schleuderte das Luftschiff in die Höhe, als ob er mit ihm Fangball spielen wollte.
Vor Grausen schloß Nesthäkchen seine Augen. Es glaubte, jeden Augenblick in die Tiefe geschmettert zu werden.
Da legte sich der Höllenlärm plötzlich, die nadelscharfe Eisluft wurde milder.
»Nun ist’s überstanden,« sagte Herr Zeppelin lächelnd zu der Kleinen, »gleich sind wir im Wolkenland.«
Annemarie wagte es wieder, die Augen zu öffnen. Die schwarze Finsternis war geschwunden, matte Helligkeit breitete sich rings aus.
War das schon der Morgen?
Nein, das matte, milde Licht kam von großen, weißen Wolkenbergen, durch die das Luftschiff jetzt geschickt segelte.
Auf jedem dieser flaumweichen, weißen Berge hockte ein niedliches Engelchen im rosenroten Badeanzug. In der Hand hielt es ein aufgespanntes, silbernes Regenschirmchen, denn hier oben regnete es immerzu.
»Das sind die Kinder, die sich früher auf Erden nicht ordentlich haben waschen lassen, nun müssen sie hier oben immerzu im Regen sitzen«, erzählte Herr Zippel der Kleinen.
Die bekam einen Schreck. Na, künftig wollte sie aber nicht mehr beim Waschen schreien.
»Du hast ja schon wieder deinen Regenschirm mit Hilde Rabe verwechselt, kannst du denn nicht aufpassen und achtsamer sein!« tadelte Herr Zeppelin jetzt im Vorbeisausen einen kleinen Engeljungen.
Traurig ließ das Engelchen seine Flügel hängen, und Nesthäkchen dachte: »Der ist genau so liederlich wie ich!« Aber wie der Engel gerade zu dem Schirm von Hilde Rabe gekommen war, das wurde Annemarie nicht klar.
Da – ein greller Zickzack leuchtete schwefelgelb zwischen den Wolken auf, daß die Kleine ihre Augen geblendet schließen mußte. Und jetzt dröhnendes Rollen, so laut und grollend, daß Annemarie zu weinen anfing.
»Du dummes, kleines Mädel, du hast doch nicht etwa Angst vor dem Gewitter?« fragte Herr Zippel belustigt.
»Doch, ganz schreckliche!« flüsterte die kleine Reisende.
»Aber du bist doch schon sieben Jahre alt und gehst bereits in die Schule, da darf man doch nicht mehr so töricht sein.« Unzufrieden schüttelte Herr Zippel den Kopf.
»Mutti oder Vater nehmen mich immer auf den Schoß, sobald es gewittert«, weinte Nesthäkchen. »Und wenn es nachts kommt, krieche ich unter die Decke.« Das kleine Mädchen hielt sich noch immer krampfhaft die Augen zu.
»Ei, wer hat denn seine Freundin Margot neulich ausgelacht, weil dieselbe Furcht vor Puck hatte? Vor dem Gewitter Angst zu haben, ist noch tausendmal dümmer. Ein Gewitter reinigt die Luft und bringt Menschen, Tieren und Pflanzen Erquickung«, sprach Herr Zeppelin.
»Das sagt Vater auch immer«, bestätigte Annemarie. »Aber mir bringt es niemals Erquickung, sondern bloß mächtige Angst.«
Das Gewitter war vorüber.
Durch die Milchstraße flog das Luftschiff. Da standen lauter Brunnen, aus denen floß Milch statt Wasser. Kleine Engel mit blauen Leinenkitteln, aus denen die Flügelchen heraussahen, liefen geschäftig mit silbernen, blitzblanken Milchkannen hin und her.
»Das sind alles Kinder gewesen, die ihre Milch auf Erden immer stehengelassen haben. Nun müssen sie im Himmel zur Strafe Milch austragen«, berichtete Herr Zappel.
»Wenn man seinen Kakao stehenläßt, das ist wohl nicht so schlimm?« erkundigte sich Nesthäkchen interessiert.
»Das ist eins wie das andere, ich rate dir, trinke ihn von nun an lieber hübsch aus«, meinte Herr Zeppelin.
Na ob – das hatte sich Annemarie schon allein vorgenommen.
»Kommen wir nicht bald zur lieben Sonne?« erkundigte sie sich, um dem etwas peinlichen Gespräch eine andere Wendung zu geben.
»Nein, die ist augenblicklich nicht zu Haus. Die macht jede Nacht eine kleine Reise nach Amerika und scheint dort. Denn wenn bei uns in Europa Nacht ist, haben die Leute in Amerika Tag.«
»Das ist ulkig«, lachte Nesthäkchen. »Aber mein Bruder Hans hat mir das schon mal erzählt. Der ist nämlich schrecklich klug, weil er doch schon in der Untertertia ist.«
Nun ging es geradeswegs ins Mondland. Da webte ein silbernbläuliches Licht, das war so mild und sanft, als wenn Mutti ihr Nesthäkchen streichelte.
An eine große, große Wiese kamen sie, da blühten lauter goldene Sterne. Viele kleine Mondkälber weideten auf der Wiese. In der Mitte aber saß der gute Mond mit seinem breiten, freundlichen Gesicht, wie er immer abends in Nesthäkchens Kinderstube zu blicken pflegte, der war der Hirt. Da hielt das Luftschiff.
»Also du bist Doktor Brauns Nesthäkchen?« sagte der Mond und winkte ihr mit seinem silbernen Hirtenstab, näherzutreten.
»Ja, das bin ich, Onkel Mond«, antwortete Annemarie und machte einen artigen Knicks. »Und außerdem bin ich auch noch die Erste der zehnten Klasse!« fügte sie zutraulich hinzu, denn der gute Mond war ihr ein lieber Bekannter.
»So – so«, schmunzelte der Mond und verzog seinen Mund von einem Ohr zum andern. »Na, wenn du solch ein schlaues kleines Mädchen bist, dann zähle mir doch mal meine Mondkälber hier.«
»Gern, Onkel Mond«, sagte Nesthäkchen mit einem höflichen Knicks und begann zu zählen. Dazu blies der Mond auf einer Silberschalmei »Weißt du, wieviel Sternlein stehen.«
Aber die vielen tausend Mondkälber sprangen unaufhörlich durcheinander, daß Annemarie nicht wußte, welche sie schon gezählt hatte und welche nicht.
»Ich kann das nicht rechnen, das haben wir noch nicht in der Schule gehabt«, kam es weinerlich von ihren Lippen.
»Ei, so dumm bist du«, sagte der Mond und schüttelte seinen großen Kopf. »Und dabei willst du Erste sitzen?« Er sah gar nicht mehr freundlich aus, sondern ganz böse.
»Ich will nach Haus – ich will zu meiner Mutti!« rief Klein-Annemarie beleidigt, während ihr die Tränen in die Augen traten.
Herr Zeppelin aber meinte verwundert: »Du wolltest doch bis in alle Ewigkeit mit dem Luftschiff reisen, Annemie. Man muß nie etwas Unüberlegtes sagen!«
»Jetzt