Die Damen an den Wänden lächelten. Großmama lächelte gleichfalls, wenn auch etwas gezwungen. Aber als aus der schnurrigen Raupenverkleidung ein graziöser Schmetterling sich entpuppte und lustig weiter im Tanze herumflog, mußten sich die verschiedenen Mütter doch zugestehen, daß Doktor Brauns Nesthäkchen das anmutigste unter all den schwebenden Elfchen war.
Der gute Bruder Hans aber trabte mit Frisiermantel und Überschuhen zur Garderobe und murmelte nur belustigt vor sich hin: »So ’ne Krabbe!«
Der Tanz war zu Ende! Die Jünglinge zogen sich in die eine Ecke des Saales zurück, die Backfische in die entgegengesetzte. Dort wurde geflüstert und gekichert.
»Annemie, warum kommst du nicht lieber gleich mit Pantoffeln zur Tanzstunde?« neckte Ilse.
»Wie kann man nur so vergeßlich sein!«
»Natürlich, dem Tugendschäfchen kann so was nicht passieren.«
»Du haben gesehen aus wie grroßes Fledermaus, das flattert herrum im Saal,« lachte auch Vera. Da entwischte Annemarie vor dem Spott der Kränzchenschwestern zur Großmama.
Großmama, die liebe, gute, hatte die Verlegenheit, in die sie Annemaries Unachtsamkeit gestürzt, schon wieder überwunden. Sie strich ihrem Liebling die übermütigen krausen Blondhaare aus der erhitzten Stirn und händigte ihr eine große Tüte Eisbonbons zur Abkühlung für sich und ihre Freundinnen ein. Von den neuen Tänzen aber wollte Großmama durchaus nichts wissen. Walzer, Polka und Rheinländer, Quadrille und Contre, die Tänze ihrer Jugend, waren doch viel schöner.
Annemaries umfangreiche Bonbontüte lockte auch die jungen Herren unter Anführung von Klaus aus ihrer Ecke heraus. Im besten Schmausen aber erklang das Händeklatschen von Fräulein Steinert: »Drei Paare zum Boston antreten.«
Ein viertel Dutzend Jünglinge stürzten sich auf die erwartungsvoll dasitzenden Backfische und angelten sich drei derselben heraus. Unter ihnen natürlich Annemarie Braun, die mußte ja stets dabei sein.
Fräulein Steinert tanzte Schritte und Drehungen vor. »Immer gegen den Takt wird geschleift, umgekehrt wie beim Walzer – das erste Paar, bitte.«
Klaus mit Vera traten vor.
»Eins – zwei – drei – vier – fünf – sechs – eins – zwei – drei – falsch, umgekehrt den Schritt machen, Herr Braun,« rief Fräulein Steinert.
»Herr Braun« machte den Schritt umgekehrt und ein jammervolles »Au – meine Fuß!« übertönte die Bostonklänge. Vera hüpfte wie eine Bachstelze auf einem Fuß im Kreise herum, während Annemarie Klaus ein liebevolles »Trampeltier!« an den Kopf warf.
»Das zweite Paar antreten!« Marlene mit einem Jüngling, der seiner unheimlichen Länge wegen von den ausgelassenen Mädeln »der Unendliche« genannt wurde. Marlene, die kleine, zierliche, konnte nicht bis zu seiner Schulter hinauflangen. Sie ankerte sich irgendwo oberhalb seines Ellbogens fest und dann ging’s los »eins – zwei – drei – vier –« da hatte der Unendliche seine kleine Dame unterwegs verloren. Jeder machte auf eigene Faust merkwürdige Sprünge, die mehr an den Zoologischen Garten als an Boston erinnerten.
Das dritte Paar trat an. Annemaries Partner war ein netter Primaner, leider aber unmusikalisch wie ein Schellfisch. Die Mädel verschanzten sich, sobald er in Sicht war, denn es war unmöglich, mit ihm in Takt zu kommen. Annemarie Braun pflegte er besonders mit seiner Verehrung zu beglücken. Die Kränzchenschwestern kicherten stets und machten ihre spöttischen Bemerkungen, wenn das Unglückswurm auf Annemarie lossegelte. Auch jetzt saßen sie bereits mit schadenfroher Miene da.
Fräulein Steinert zählte. »Eins – zwei – drei – vier – fünf – sechs« – Lauter aber zählte Annemarie Braun. »Eins – zwei – drei – vier – fünf – sechs –« Bei jeder Zahl schlug sie mit der Linken den Takt auf der Schulter des unmusikalischen Tänzers. Und wirklich, das Kunststück gelang. Das Paar blieb im Takt, und machte seine Sache zur Zufriedenheit. Allerdings trug die rechte Schulter des Kavaliers am nächsten Tage blaue Flecken davon. Denn Annemarie verstand das Boxen von Bruder Klaus her.
Ein Paar nach dem andern. Das eine geschickt, das anders tolpatschig, bis alle den Tanz konnten. Dann wurden die bereits gelernten Tänze wiederholt. Auch Walzer, Polka und Rheinländer wurde zu Großmamas Beruhigung aus der Vergessenheit hervorgekramt.
»Damenwahl.« Das ist eine aufregende Angelegenheit für die Jünglinge. Wird »sie«, die Tanzstundenflamme, vor ihm den kleinen schnippischen Backfischknicks machen? Geht sie vorüber zu einem andern? Sieben Jünglingsherzen schlugen rascher, als Annemaries Rosenknospenkleid angehüpft kam. O weh, es hüpfte weiter, an der ganzen Reihe selbstbewußter Primaner-und Studentengesichter vorbei. Bis zu den Müttern und Tanten hin, unter denen, an das Klavier gelehnt, Bruder Hans stand. Doktors Nesthäkchen versank in einem tiefen Hofknicks. »Darf ich bitten, mein Herr?«
»Nein, Annemie, das kannst du nicht verlangen, daß ich bemoostes Haupt hier die Lämmersprünge mitmache. Sieh mal, da sitzen ja noch genug ›Zavaliere‹ mit sehnsüchtigen Augen.« Seitdem Annemarie als kleines Mädel mal für das Wort Cavalier »Zavalier« gelesen hatte, sprach Hans es niemals anders mehr aus.
Aber es half ihm alles nichts. Annemarie wollte keinen andern »Zavalier«. Hans mußte mit ihr Hiawatha tanzen, begleitet von neidischen Blicken der sitzengebliebenen Verehrer Nesthäkchens. Annemarie strahlte. So fein konnte keiner tanzen wie ihr Hänschen.
Aber Hans verstand noch mehr. Die Tanzstunde war zu Ende. Der Klavierspieler packte schwitzend und erleichtert seine Noten zusammen. Im Saal drängten sich die Backfischchen um Fräulein Steinert: »Ach bitte, bitte – dürfen wir nicht noch ein bißchen nachtanzen?«
Die nette junge Dame lächelte freundlich Gewährung.
»Wenn sich jemand zur Klavierbegleitung findet.«
Ja, da lag der Hase im Pfeffer. Weder die Mädel, noch die Herren Jungen mochten die Hauskapelle übernehmen. Jeder von ihnen wollte tanzen.
»Hänschen muß spielen. Hänschen spielt fein!« Annemarie eilte auf den Bruder los und hinter ihr her der ganze Schwarm Tanzlustiger.
»Hänschen muß spielen – ach, bitte, bitte!« riefen sie alle ausgelassen. Den Bitten so vieler schöner Augen konnte Hans nicht widerstehen. Man schleppte ihn im Triumph zum Klavier.
»Körbchen tanzen – wir wollen Körbchen tanzen,« wurde vorgeschlagen.
»Was ist das denn?«
»Werdet ihr schon sehen – wo kriegen wir bloß Körbe her?« Mehrere Mädel eilten in die Garderobe – doch vergeblich. Ein Korb konnte dort nicht aufgetrieben werden.
Annemarie und Vera waren auf die gute Idee verfallen, unten in der Restaurationsküche nachzufragen. Die eine kam mit einem Riesenmarktkorb, die andere sogar mit einem Waschkorb zurück.
»Aber Kinder, soll man damit etwa tanzen?«
»Es muß ein kleines zierliches Körbchen sein,« erklärte ein junges Mädchen.
»Haben wir nicht, folglich muß es mit dem Marktkorb gehen.«
Eine der Damen wurde auf einen Stuhl gesetzt und der Marktkorb ihr graziös in die Hand gegeben. Zwei Herren traten vor sie hin und machten ihr eine Verbeugung. Der eine bekam den Korb, mit dem anderen tanzte sie lachend davon. Der Herr aber, der den Korb erhalten, mußte nun auf dem Stuhl Platz nehmen und zwei Damen knicksten vor ihm. Jetzt konnte er seinen Korb austeilen und mit der Glücklichen davonschweben. So ging es Schlag auf Schlag, und in Anbetracht der Größe des Körbchens wurde das Tanzspiel ganz besonders spaßhaft.
Die Mädel waren nicht nach Haus zu kriegen. Mütter winkten. Väter und dienstbare Geister, die zum Abholen erschienen waren, gähnten. Auch Großmama