»Pfui Deibel – ist das hier eine Luft!« Der Wagen strömte bei der Hitze einen doppelt widerwärtigen Geruch aus. »Wo ist denn unsere lebendige Parfümflasche? Komm, Marianne, zwischen uns mußt du dich stellen, sonst wird man ohnmächtig.« Man riß sich plötzlich um die nach Veilchenparfüm duftende Freundin. Weder Bänke noch Stühle gab es in dem wenig einladenden Müllwagen. Nebeneinander wie die Ölsardinen wurden die Fahrgäste stehend eingeschachtelt. Bei jeder Ecke fielen sie kreischend aufeinander. Denn an dem schmutzigen Wagen mochte sich keiner festklammern.
»Wie in der Arche Noah,« lachte Annemarie, deren Humor nie versagte.
»Hoffentlich wirr nicht krriegen auch das Sintflut.« Vera schaute bedenklich in den Himmel.
Nanu? Was war denn mit dem vorgegangen? Der war doch vor kurzem noch ganz blau gewesen. Der weißliche Dunst hatte sich verdichtet, zu schweren, unheilvollen Wolken geballt. Fahl und stechend kam ein letzter Sonnenstreif aus grauschwarzem Gewölk.
Sollten Mutters Knochen am Ende doch recht behalten?
»Ehe das Wetter herunterkommt, sind wir da. Unser vornehmes Mistauto rast ja mit uns wie der Deibel mit seiner Großmutter!« Annemaries glücklicher Leichtsinn behielt noch immer die Oberhand.
Aber das drohende Unwetter war doch noch schneller als die Berliner Abfuhrgesellschaft. Zuerst ein Windstoß – ein Staubwirbel, daß man die Augen nicht mehr aufmachen konnte. So – das war der Auftakt. Nun die ersten Tropfen, schwer und langsam. Und jetzt ein blendender Zickzack, die siedenden Luftwellen zerteilend. Gleich darauf ein Krachen, ohrenbetäubend und entsetzenerregend. Nicht nur Margot, die große Furcht vor einem Gewitter hatte, schrie vor Schreck auf, auch die andern klammerten sich angstvoll aneinander.
Als ob der Höllenschlund seinen verderbensprühenden Rachen aufgetan, war die Luft plötzlich von schwefelgelben Feuern durchlodert. Blitz auf Blitz – Dröhnen, Krachen und Bersten – peitschender Gewittersturm – Regengepladder. Mitleidslos durchweichte der Regen die zarten Sommerkleider auf dem offenen Wagen. Wie ein kaltes Sturzbad ging es über die verlechzten Menschen.
»Das tut gut.« Ein Fahrgast nahm seinen Hut vom Kopf und ließ das Regenwetter wie aus einer Dachrinne davon laufen. »Das tut gut,« sagte er nochmals tief aufatmend.
Darüber konnte man geteilter Meinung sein. Die vier Backfische, die fast davonschwammen, sahen entsetzt auf ihren durchweichten Staat.
O Gott, das Rosenknospenkleid! Triefend und unansehnlich wie ein Scheuerlappen klebte es an seiner geknickten Besitzerin. Nun würde am Ende gar nichts aus der Tanzstunde werden. Vera versuchte ihre Teerflecke mit Regenwasser auszuwaschen. Marianne vergaß selbst den Kuchen vor Aufregung. Und Margot sah zum Glück überhaupt nichts: die hielt sich vor den Blitzen angstvoll die Augen zu.
Endlich am Ziel.
Ein schwarzes Bächlein rieselte aus den Haaren und Kleidern der vier herab, bis hinein in die Ulrichsche saubere Wohnung.
Dort wurden sie sehnsüchtig erwartet.
»Das kommt davon, wenn ihr erst so spät zu erscheinen geruht. Wäret ihr pünktlich gewesen, hättet ihr das Wetter nicht abgekriegt,« empfing sie das Geburtstagskind vorwurfsvoll.
»Wir haben doch eine kleine Extratour nach dem Wedding gemacht.«
»Himmel, seht ihr aus! Wie vier Vogelscheuchen. Und riechen tut ihr wie ein Misthaufen!« Ilse hielt sich die Nase zu.
»Wir sind auch von der Berliner Abfuhrgesellschaft befördert worden.« Die muntere Annemarie war ganz kleinlaut. Das verdorbene Kleid und die unbehagliche Nässe trugen die gleiche Schuld daran.
»Kinder, in der Verfassung könnt ihr nicht auf meine Polster und Teppiche. Kommt mal erst in das Badezimmer, daß ihr einigermaßen wieder menschlich werdet.« Frau Doktor Ulrich lachte mit Marlene und Ilse um die Wette über die vier traurigen Gestalten.
»Das beste wäre, man steckt die ganze Gesellschaft nebst ihren Kleidern ins Wasser,« schlug Marlene vor, die von den duftenden Geburtstagsgrüßen nicht gerade entzückt war.
»Ja, ins Familienbad!« Den vieren war recht ungemütlich in ihrer Haut.
Nur Marianne hätte gern zuvor dem Geburtstagskuchen zugesprochen: aber sie mußte sich der Mehrheit fügen. Erst kam die Sauberkeit.
Bald drang ein Lachen und ein Juchhei aus dem Badezimmer, daß Marlenes Mutter verschiedene Male anklopfen mußte, damit die Untermieter sich nicht beschwerten. Es dauerte lange, bis vier reingewaschene Jungfrauen in merkwürdigen Verkleidungen endlich wieder erschienen. Der Kaffeetisch hatte sich inzwischen in einen Abendbrottisch verwandelt, so spät war es geworden. Geburtstagskuchen bekamen sie aber trotzdem noch.
»Wir wollten ja so gern Marlenes Geburtstag am Wasser feiern, nun haben wir das gründlich besorgt, sogar im Wasser.« Annemarie, in einem bis auf die Füße herabhängenden Morgenrock von Marlenes Mutter, war jetzt wieder ganz obenauf.
Die vier Mistkäfer – so hatte Ilse sie getauft – aber hatten in ihren verdorbenen Kleidern noch lange eine Erinnerung an ihre Landpartie mit der Berliner Abfuhrgesellschaft.
8. Kapitel
Zur Erntearbeit
»Mädel, du bist ja eine junge Dame geworden in den vier Jahren, wo ich dich nicht gesehen habe. Eine richtige junge Dame. Aber die lustigen Blauaugen sind noch dieselben.« Onkel Heinrich packte sein hübsches Nichtchen mit derben Landmannsfäusten an beiden Ohren.
»Hoffentlich bist du kein Berliner Zierpüppchen geworden,« ließ sich Vetter Peter, der auf dem Bock des Jagdwagens thronte und die Zügel hielt, liebenswürdig vernehmen.
»Nee, Obersekundaner sind keine Zierpuppen.« Das konnte Annemarie mit gutem Gewissen behaupten.
Sie und ihr Gepäck wurden aufgeladen. Peter schnalzte und die Gäule zogen an.
»Du, Peter, laß mich kutschieren.« Annemarie war natürlich auf den Bock neben ihn geklettert.
»Kannst du nicht, das will alles gelernt sein. Latein ist nicht die Hauptsache im Leben.« Peter selbst hatte nämlich nicht viel mit Lernen im Sinn. Er wollte Landmann werden wie sein Vater und meinte, dazu brauche man nur praktisch tüchtig zu sein. Außerdem hegten die beiden Vettern Peter und Herbert die heimliche Besorgnis, daß aus dem netten Cousinchen ein verziertes Ding oder gar ein Blaustrumpf im Laufe der Jahre geworden sei. Denn so stellten sie sich alle Berliner Mädel, besonders Gymnasiastinnen, vor.
»Gib nur her, das ist doch ganz einfach!« Energisch nahm Annemarie dem nicht viel älteren Vetter die Zügel aus der Hand. Wirklich, es ging. Auf der schnurgeraden Pappelallee, die vom Bahnhof nach Gut Arnsdorf führte, lief der Wagen von ganz allein. Die Gäule kannten den Weg. Man brauchte gar nicht besonders aufzupassen. Die junge Wagenlenkerin hatte noch Zeit, den leuchtenden Mohn, der aus goldenen Halmen nickte, zu bewundern.
»Kostet bei uns in Berlin zwei Mark, ein ganz kleiner Strauß; darf ich nicht für Tante Käthchen einen pflücken?« Es wurde dem Großstadtkind schwer, an all der verlockenden Blumenpracht vorüberzufahren.
»Haben genug von dem Unkraut zu Hause, Mädel. Nur vorwärts!«
Felder, Wiesen, Buchenwald und darüber ein blauer Himmel, so strahlend, daß Annemaries blaue Augen ihn zurückstrahlten. Weit wurde dem Großstadtkind das Herz.
Der Dorfweiher – da wateten Barfüßchen. Am liebsten hätte das Backfischchen auch gleich Schuh und Strümpfe ausgezogen.
»Soll ich nicht lieber durch das Dorf fahren, Annemie?« Peter sah etwas mißtrauisch auf Annemaries kleine Fäuste.
»Nee,