Fig. 30. Grosse Spindelzellen (fibroplastische Körper) in ihrer natürlichen Anordnung aus einem Sarcoma fusocellulare der Rückenmarkshäute. Vergröss. 350. (Geschwülste II. S. 197. Fig. 136).
Dass es einer so langen Zeit bedurft hat, diese so einfachen Gesichtspunkte zu gewinnen, erklärt sich zum grossen Theile aus der ungenauen Kenntniss der selteneren histologischen Formen, zum kleineren aus der allerdings ungewöhnlichen Entwickelung mancher pathologischen Elemente. Die Krebszelle entspricht, wie ich gezeigt habe[16], ihrer ganzen Erscheinung nach den Zellen der Epithelialformation. Aber in der Mehrzahl der Krebse haben die Zellen eine Grösse, Gestalt, Kernentwickelung, wie sie an dem gewöhnlichen Epithel selten vorkommt. Dagegen zeigt das früher (S. 30, Fig. 16.) erwähnte Epithel der Harnwege die grösste Uebereinstimmung damit, und man würde gewiss viel früher auf die richtige Deutung gekommen sein, wenn man dieses eigenthümliche Epithel früher richtig gewürdigt hätte. In den sogenannten Epidermiskrebsen oder Kankroiden dagegen finden sich so entschieden epidermoidale Formen, dass man glaubte, diese Geschwulstart ganz von den Krebsen trennen und zu den einfach hypertrophischen und daher gutartigen Bildungen stellen zu müssen. In den Spindelsarkomen finden sich so grosse und eigenthümliche Zellen, dass noch jetzt Mancher sich weigert, sie den gewöhnlich so kleinen Spindelzellen des Bindegewebes (Fig. 4, b; 21.) parallel zu stellen; hat man sich von der kolossalen Entwickelung dieser Spindelzellen in der Decidua uterina überzeugt, so verschwindet das Auffällige. In den Riesenzellensarkomen wiederum trifft man überaus grosse, stellenweise fast ungeheuerliche Zellen mit zahlreichen Kernen, für die jede Analogie zu fehlen scheint. Allein das Studium des jungen Knochenmarkes oder der Rindenschicht der Nebennieren lehrt uns analoge Formen auch im normalen Entwickelungsgange kennen.
Fig. 31. Durchschnitt aus einer Epulis sarcomatosa des Unterkiefers. Zahlreiche, dicht gedrängte Spindelzellen (fibroplastische Körper) bilden eine Art von maschigem Gerüst, in dessen Räumen vielkernige, mit feineren und gröberen Fortsätzen versehene Riesenzellen (myeloide Zellen, Myeloplaxen) liegen. Vergr. 300. (Geschwülste II. S. 317. Fig. 158).
Auf dieser Stufe der Erkenntniss angelangt, stossen wir auf eine neue Schwierigkeit. Jedesmal, wo eine pathologische Bildung auf physiologische Vorbilder zurückgeführt wird, erhebt sich die Frage, ob sie nicht direct von einem solchen physiologischen Gebilde abstamme. In der That liegt es nahe, an eine continuirliche Entwickelung zu denken, und wir haben die ernstliche Verpflichtung, in jedem solchen Falle zu prüfen, ob nicht wirklich ein entsprechend zusammengesetzter oder gebauter Theil Matrix des pathologischen sei. Wenn man weiss, dass vielkernige Riesenzellen im Knochenmark vorkommen, so wird man geneigt sein, mit Nélaton jedes Riesenzellensarcom (tumeur à myéloplaxes) vom Knochenmark abzuleiten. Sieht man, dass das Kankroid in der Regel aus Epidermiszellen besteht, so liegt nichts näher, als dasselbe auf eine örtliche Wucherung präexistirender Epidermis zurückzuführen. Allein die Erfahrung mahnt hier zu grosser Vorsicht. Sonst kommt man leicht zu Schlüssen, wie sie früher oft genug gemacht sind, dass z. B. ein Teratom des Eierstocks, weil es Knochen und Zähne, Haut und Haare, ja selbst Muskeln und Hirnmasse enthält, ein degenerirter Fötus sei oder aus einer aberrirten Embryobildung herstamme. Man darf den blossen Wahrscheinlichkeiten nicht zu sehr nachgeben, sonst macht man blosse Conjectural-Pathologie.
Eine unbefangene Prüfung lehrt allerdings, dass alle pathologischen Gewebe continuirlich aus physiologischen hervorgehen, aber keinesweges so, dass ihr Typus immer unverändert der ihrer physiologischen Matrix bleibt. Die Entwickelung selbst ist stets continuirlich, der Typus aber kann discontinuirlich sein, und gerade diese Aenderung des Typus ergibt für mich das entscheidende Kriterium der Heterologie. Wenn die Neuroglia des Gehirns gewöhnliches Bindegewebe oder ausgezeichnetes Schleimgewebe hervorbringt, so geschieht dies durch continuirliche Vorgänge, aber der Typus der Neuroglia geht dabei verloren. Ein Enchondrom des Hodens entsteht continuirlich aus dem schwachen Interstitialgewebe der Drüse, aber ein bis dahin ganz unerhörtes Gewebe tritt im Hoden auf. Das eine Gewebe wird hier durch ein anderes, das aus ihm hervorgegangen, aber von ihm verschieden ist, substituirt.
Wir finden demnach auch hier, wie im physiologischen Leben, gewisse Substitutionen und Aequivalente von Geweben, und gleichwie im Physiologischen die Grenze dieser Substitionen durch das ein für allemal gegebene Entwickelungsgeschäft der Species bezeichnet ist, so geschieht auch pathologische Substitution stets durch Gewebe, deren Vorkommen in der Species physiologisch nachweisbar ist.
In krankhaften Zuständen gibt es heterologe Substitutionen, wo ein bestimmtes Gewebe ersetzt wird durch ein Gewebe anderer Art, aber nie durch ein der menschlichen Organisation fremdes Gewebe. Selbst dann, wenn der Ersatz von dem alten Gewebe des Ortes ausgeht, kann die Neubildung mehr oder weniger abweichen von dem ursprünglichen Typus der Matrix. So tritt an die Stelle der Haut, welche durch Verschwärung verloren gegangen ist, eine Narbe, die nicht bloss Bindewebe, sondern auch Epidermis enthält, obwohl die Matrix dieser Epidermis das Bindegewebe der Cutis und nicht das (verloren gegangene) Rete Malpighii sein kann.
Es geschieht also die Substitution entweder durch Ersetzung vermittelst eines Gewebes aus derselben Gruppe (Homologie) oder durch ein Gewebe aus einer anderen Gruppe (Heterologie). Auf letztere muss die ganze Doctrin von den specifischen Elementen der Pathologie zurückgeführt werden, welche in den letzten Decennien eine so grosse Rolle gespielt haben. Denn diese Gewebe sui generis sind nicht insofern specifisch, als sie im natürlichen Entwickelungsgange des Körpers kein Analogon finden, sondern nur insofern, als sie unter gewöhnlichen Umständen nicht zu den constituirenden Theilen derjenigen Organe gehören, in welchen sie unter krankhaften Verhältnissen erzeugt werden. Deshalb erscheinen sie nicht sowohl als Bestandtheile des Organs, welches sie erzeugt, als vielmehr als Bestandtheile der Neubildung (gewissermaassen des pathologischen Organs), welches aus ihnen zusammengesetzt ist, und wir vergessen nur zu leicht, dass auch diese Neubildung, wenngleich kein an sich nothwendiger, doch ein continuirlich zusammenhängender Theil jenes physiologischen Organs, und somit des ganzen Organismus ist.
Diese Erkenntniss ist um so schwieriger, als in der Regel die heterologe Substitution nicht direct, sondern auf einem Umwege erfolgt. Denn nicht immer entsprechen sofort die ersten Anlagen der Neubildung dem endlichen Producte; selbst die Hyperplasie geschieht nicht immer durch sofortige Erzeugung homologer Elemente (per primam intentionem). Sehr häufig schiebt sich zuerst ein Stadium indifferenter Bildungen ein, aus denen sich erst langsam die besonderen Formen der späteren Zeit differenziren (per secundam intentionem). Dasselbe Gewebe kann auf die eine und auf die andere Weise entstehen. Aus dieser Erfahrung, die ich nicht genug betonen kann, erklären sich zahlreiche Widersprüche der Mikrographen, welche das Meiste