Noch in den Elementa physiologiae von Haller findet man an die Spitze des ganzen Werkes, wo von den Elementen des Körpers gehandelt wird, die Faser gestellt. Haller gebraucht dabei den sehr characteristischen Ausdruck, dass die Faser (fibra) für den Physiologen sei, was die Linie für den Geometer.
Diese Auffassung ist bald weiter ausgedehnt worden, und die Lehre, dass für fast alle Theile des Körpers die Faser als Grundlage diene, dass die Zusammensetzung der allermannichfachsten Gewebe in letzter Instanz auf die Faser zurückführe, ist namentlich bei dem Gewebe, welches, wie sich ergeben hat, pathologisch die grösste Wichtigkeit hat, bei dem sogenannten Zellgewebe am längsten festgehalten worden.
Im Laufe des letzten Jahrzehnts vom vorigen Jahrhundert begann indess schon eine gewisse Reaction gegen diese Faserlehre, und in der Schule der Naturphilosophen kam frühzeitig ein anderes Element zu Ehren, das aber in einer viel mehr speculativen Weise begründet wurde, nämlich das Kügelchen. Während die Einen immer noch an der Faser festhielten, so glaubten Andere, wie in der späteren Zeit noch Milne Edwards, so weit gehen zu dürfen, auch die Faser wieder aus linear aufgereihten Kügelchen zusammengesetzt zu denken. Diese Auffassung ist zum Theil hervorgegangen aus optischen Täuschungen bei der mikroskopischen Beobachtung. Die schlechte Methode, welche während des ganzen vorigen Jahrhunderts und eines Theiles des gegenwärtigen bestand, dass man mit mässigen Instrumenten im vollen Sonnenlicht beobachtete, brachte fast in alle mikroskopischen Objecte eine gewisse Dispersion des Lichtes, und der Beobachter bekam den Eindruck, als sähe er weiter nichts, als Kügelchen. Andererseits entsprach aber auch diese Anschauung den naturphilosophischen Vorstellungen von der ersten Entstehung alles Geformten.
Fig. 11. Schema der Globulartheorie. a. Faser aus linear aufgereihten Elementarkörnchen (Molekularkörnchen). b. Zelle mit Kern und sphärisch geordneten Körnchen.
Diese Kügelchen (Körnchen, Granula, Moleküle) haben sich sonderbarer Weise bis in die moderne Histologie hinein erhalten, und es gab bis vor Kurzem wenige histologische Werke, welche nicht mit den Elementarkörnchen anfingen. Hier und da sind noch vor nicht langer Zeit diese Ansichten von der Kugelnatur der Elementartheile so überwiegend gewesen, dass auf sie die Zusammensetzung, sowohl der ersten Gewebe im Embryo, als auch der späteren begründet wurde. Man dachte sich, dass eine Zelle in der Weise entstände, dass die Kügelchen sich sphärisch zur Membran ordneten, innerhalb deren sich andere Kügelchen als Inhalt erhielten. Noch von Baumgärtner und Arnold ist in diesem Sinne gegen die Zellentheorie gekämpft worden.
Fig. 12. Schema der Umhüllungs- (Klümpchen-) Theorie. a. Getrennte Elementarkörnchen. b. Körnchenhaufen (Klümpchen). c. Körnchenzelle mit Membran und Kern.
In einer gewissen Weise hat diese Auffassung in der Entwickelungsgeschichte eine Stütze gefunden; in der sogenannten Umhüllungstheorie, — einer Lehre, die eine Zeit lang stark in den Vordergrund getreten war (Henle). Danach dachte man sich, dass, während ursprünglich eine Menge von Elementarkügelchen zerstreut vorhanden wäre, diese sich unter bestimmten Verhältnissen zusammenlagerten, nicht in Form sphärischer Membranen, sondern zu einem compacten Haufen, einer Kugel (Klümpchen), und dass diese Kugel der Ausgangspunkt der weiteren Bildung werde, indem durch Differenzirung der Masse, durch Apposition oder Intussusception aussen eine Membran, innen ein Kern entstehe.
Fig. 13. Längsschnitt durch ein junges Februar-Blatt vom Aste einer Syringa. A. Die Rinden- und Cambium-Schicht: unter einer sehr platten Zellenlage sieht man grössere, viereckige, kernhaltige Zellen, aus denen durch fortgehende Quertheilung kleine Haare (a) hervorwachsen, die immer länger werden (b) und durch Längstheilung sich verdicken (c). B. Die Gefässschicht mit Spiralfasern. C. Einfache, viereckige, längliche Rinden-Zellen. — Pflanzenwachsthum.
Gegenwärtig kann man weder die Faser noch das Kügelchen oder das Elementarkörnchen als einen histologischen Ausgangspunkt betrachten. So lange als man sich die Entstehung von lebendigen Elementen aus vorher nicht geformten Theilen, also aus Bildungsflüssigkeiten oder Bildungsstoffen (plastischer Materie, Blastem, Cytoblastem) hervorgehend dachte, so lange konnte irgend eine dieser Auffassungen allerdings Platz finden, aber gerade hier ist der Umschwung, welchen die allerletzten Jahre gebracht haben, am meisten durchgreifend gewesen. Die Bildungsstoffe finden sich wesentlich innerhalb der Zellen (Endoblastem). Auch in der Pathologie können wir gegenwärtig so weit gehen, als allgemeines Princip hinzustellen, dass überhaupt keine Entwickelung de novo beginnt, dass wir also auch in der Entwickelungsgeschichte der einzelnen Theile, gerade wie in der Entwickelung ganzer Organismen, die Generatio aequivoca zurückweisen[5]. So wenig wir noch annehmen, dass aus saburralem Schleim ein Spulwurm entsteht, dass aus den Resten einer thierischen oder pflanzlichen Zersetzung ein Infusorium oder ein Pilz oder eine Alge sich bilde, so wenig lassen wir in der physiologischen oder pathologischen Gewebelehre es zu, dass sich aus irgend einer unzelligen Substanz eine neue Zelle aufbauen könne. Wo eine Zelle entsteht, da muss eine Zelle vorausgegangen sein (Omnis cellula e cellula), ebenso wie das Thier nur aus dem Thiere, die Pflanze nur aus der Pflanze entstehen kann. Auf diese Weise ist, wenngleich es einzelne Punkte im Körper giebt, wo der strenge Nachweis noch nicht geliefert ist, doch das Princip gesichert, dass in der ganzen Reihen alles Lebendigen, dies mögen nun ganze Pflanzen oder ganze thierische Organismen oder integrirende Theile derselben sein, ein ewiges Gesetz der continuirlichen Entwickelung besteht. Die Erfahrung lehrt keine Discontinuität der Entwickelung in der Art, dass eine neue Generation von sich aus eine neue Reihe von Entwickelungen begründete. Alle entwickelten Gewebe können weder auf ein kleines noch auf ein grosses einfaches Element zurückgeführt werden, es sei denn auf die Zelle selbst. In welcher Weise diese continuirliche Zellenwucherung (Proliferation), denn so kann man den Vorgang bezeichnen, in der Regel vor sich geht, das lässt sich an wachsenden Theilen sowohl von Pflanzen, als von Thieren sehr leicht sehen.
Fig. 14. Knorpelwucherung aus dem Rippenknorpel eines Erwachsenen. Grössere Gruppen von Knorpelzellen innerhalb einer gemeinschaftlichen Umgrenzung (fälschlich sogenannte Mutterzellen), durch successive Theilungen aus einzelnen Zellen hervorgegangen. Am Rande oben ist eine solche Gruppe durchschnitten, in der man eine Knorpelzelle mit mehrfacher Umlagerung von Kapselschichten (äusserer Absonderungsmasse) sieht. Vergröss. 300.
Betrachten wir z. B. einen Längsschnitt aus der jungen Knospe eines Flieder-Strauches, wie sie die warmen Tage des Februar entwickelt haben. In der Knospe ist schon eine Menge von jungen Blättern angelegt, jedes aus zahlreichen Zellen zusammengesetzt. In diesen jüngsten Theilen bestehen die äusseren Schichten aus ziemlich regelmässigen Zellenlagen, die mehr platt viereckig erscheinen, während in den inneren Lagen die Zellen mehr gestreckt sind, und in einzelnen Abschnitten die Spiralfasern auftreten. Kleine Auswüchse (Blatthaare) treten überall am Rande hervor, ganz ähnlich gewissen thierischen Excrescenzen, z. B. an den Zotten des Chorions, wo sie die Orte bezeichnen, an welchen junge Zotten hervorwachsen werden. An unserem Objecte (Fig. 13) sehen wir die kleinen kolbigen Zapfen, die sich in gewissen Abständen wiederholen, nach Innen mit den Zellenreihen des Cambiums zusammenhängend. An diesen zarten Bildungen kann man am besten die feineren Formen der Zelle unterscheiden und zugleich