Wenn man den ausserordentlichen Einfluss erwägt, welchen seiner Zeit Bichat auf die Gestaltung der ärztlichen Anschauungen ausgeübt hat, so ist es in der That erstaunlich zu sehen, dass eine verhältnissmässig so lange Zeit vergangen ist, seitdem Schwann seine grossen Entdeckungen in der Histologie machte, ohne dass man die eigentliche Breite der neuen Thatsachen würdigte. Es hat dies allerdings zum Theil trotz dieser Entdeckungen daran gelegen, dass immer noch eine grosse Unsicherheit unserer Kenntnisse über die feinere Einrichtung vieler Gewebe fortbestanden hat, ja, wie wir leider zugestehen müssen, in manchen Theilen der Histologie selbst jetzt noch in solchem Maasse herrscht, dass Mancher kaum weiss, für welche Ansicht er sich entscheiden soll. Jeder Tag bringt neue Aufschlüsse, aber auch neue Zweifel über die Zuverlässigkeit eben erst veröffentlichter Entdeckungen. Ist denn überhaupt, fragt Mancher, in der Histologie etwas sicher? Giebt es einen Punkt, in dem Alle übereinstimmen? Vielleicht nicht. Aber gerade um deswegen habe ich in den Vorträgen im Anfange des Jahres 1858, welche vor einem grossen Kreise von Collegen, zunächst als Erläuterung unmittelbarer Demonstrationen, als Erklärung bestimmter, für die Ueberzeugung der Einzelnen durch eigene Anschauung und Prüfung eingerichteter Beweisstücke gehalten wurden und welche der gegenwärtigen Darstellung zu Grunde liegen, mich für verpflichtet erachtet, eine kurze und leicht fassliche Uebersicht desjenigen, was ich durch langjährige, gewissenhafte Untersuchung für wahr zu halten mich berechtigt glaubte, auch dem weiteren Kreise der Aerzte zugänglich zu machen. Manches Einzelne ist seitdem berichtigt, manches Andere neu entdeckt worden; die gegenwärtige Bearbeitung wird davon Zeugniss ablegen. Aber das Princip der Anschauung, welches ich für das gesammte Gebiet der Physiologie und Pathologie zu benutzen gelehrt habe und dessen erste schüchterne Ausführung in einer Arbeit des Jahres 1852[1] niedergelegt ist, darf gegenwärtig als gesichert angesehen werden, und für denjenigen, welcher daran festhält, wird es auch künftig nicht schwer werden, neue Ergebnisse des Forschens an der richtigen Stelle aufzunehmen, ohne dass er deshalb genöthigt wäre, die obersten Sätze aufzugeben, welche hier über die allgemeinen Grundlagen der Lebensthätigkeiten aufgestellt werden.
Alle Versuche der früheren Zeit, ein solches einheitliches Princip zu finden, sind daran gescheitert, dass man zu keiner Klarheit darüber zu gelangen wusste, von welchen Theilen des lebenden Körpers eigentlich die Action ausgehe und was das Thätige sei. Dieses ist die Cardinalfrage aller Physiologie und Pathologie. Ich habe sie beantwortet durch den Hinweis auf die Zelle als auf die wahrhafte organische Einheit. Indem ich daher die Histologie, als die Lehre von der Zelle und den daraus hervorgehenden Geweben, in eine unauflösliche Verbindung mit der Physiologie und Pathologie setzte, forderte ich vor Allem die Anerkennung, dass die Zelle wirklich das letzte Form-Element aller lebendigen Erscheinung sowohl im Gesunden, als im Kranken sei, von welcher alle Thätigkeit des Lebens ausgehe. Manchem erscheint es vielleicht nicht gerechtfertigt, wenn in dieser Weise das Leben als etwas ganz Besonderes anerkannt wird, ja, es wird vielleicht Vielen wie eine Art biologischer Mystik vorkommen, wenn das Leben überhaupt aus dem grossen Ganzen der Naturvorgänge getrennt und nicht sofort ganz und gar in Chemie und Physik aufgelöst wird. In der Folge dieser Vorträge wird sich jedermann davon überzeugen, dass man kaum mehr mechanisch denken kann, als ich es zu thun pflege, wo es sich darum handelt, die Vorgänge innerhalb der letzten Formelemente zu deuten. Aber wie viel auch von dem Stoffverkehr, der innerhalb der Zelle geschieht, nur an einzelne Bestandtheile derselben geknüpft sein mag, immerhin ist die Zelle der Sitz der Thätigkeit, das Elementargebiet, von welchem die Art der Thätigkeit abhängt, und sie behält nur so lange ihre Bedeutung als lebendes Element, als sie wirklich ein unversehrtes Ganzes darstellt.
Nicht am seltensten ist gegen diese Auffassung der Einwand erhoben worden, man sei nicht einmal einig darüber, was eigentlich unter einer Zelle zu verstehen sei. Dieser Einwand ist insofern unerheblich, als der Streit nicht um die Existenz der Zellen, sondern nur um ihre Deutung geführt wird. Im Wesentlichen weiss jedermann, welche thatsächlich existirenden Körper gemeint sind; ob der Eine sie so, der Andere sie anders interpretirt, ist eine Frage zweiter Ordnung, deren Beantwortung den Werth des Princips nicht berührt. Um so grössere Bedeutung hat sie für die Erörterung der Einzelvorgänge, und es ist gewiss zu bedauern, dass nicht schon lange eine Einigung erzielt ist. Die Schwierigkeiten, auf welche wir hier stossen, datiren unmittelbar von der ersten Begründung der Zellenlehre. Schwann, der auf den Schultern des Botanikers Schleiden stand, deutete seine Beobachtungen nach botanischen Mustern, und so kam es, dass alle Lehrsätze der Pflanzen-Physiologie mehr oder weniger entscheidend wurden für die Physiologie der thierischen Körper. Die Pflanzenzelle in dem Sinne, wie man sie zu jener Zeit ganz allgemein fasste und wie sie auch gegenwärtig häufig noch gefasst wird, ist aber ein Gebilde, dessen Identität mit dem, was wir thierische Zelle nennen, nicht ohne weiteres zugestanden werden kann.
Fig. 1. Pflanzenzellen aus dem Centrum des jungen Triebes eines Knollens von Solanum tuberosum. a. Die gewöhnliche Erscheinung des regelmässig polygonalen, dickwandigen Zellengewebes. b. Eine isolirte Zelle mit feinkörnigem Aussehen der Höhlung, in der ein Kern mit Kernkörperchen zu sehen ist. c. Dieselbe Zelle, nach Einwirkung von Wasser; der Inhalt (Protoplasma) hat sich von der Wand (Membran, Capsel) zurückgezogen. An seinem Umfange ist eine besondere feine Haut (Primordialschlauch) zum Vorschein gekommen. d. Dieselbe Zelle bei längerer Einwirkung von Wasser; die innere Zelle (Protoplasma mit Primordialschlauch und Kern) hat sich ganz zusammengezogen und ist nur durch feine, zum Theil ästige Fäden mit der Zellhaut (Capsel) in Verbindung geblieben.
Wenn man von gewöhnlichem Pflanzenzellgewebe spricht, so meint man in der Regel damit ein Gewebe, das in seiner einfachsten und regelmässigsten Form auf einem Durchschnitt aus lauter vier- oder sechseckigen, wenn es etwas loser ist, aus rundlichen oder polygonalen Körpern zusammengesetzt erscheint. An jedem dieser Körper (Fig. 1, a.) unterscheidet man eine ziemlich dicke und derbe Wand (Membran) und eine innere Höhlung. In der Höhlung können je nach Umständen, insbesondere je nach der Natur der einzelnen Zellen, sehr verschiedene Stoffe abgelagert sein, z. B. Fett, Stärke, Pigment, Eiweiss (Zelleninhalt). Aber auch ganz abgesehen von diesen örtlichen Verschiedenheiten des Inhaltes, ist die chemische Untersuchung im Stande, an jeder Pflanzenzelle mehrere verschiedene Stoffe nachzuweisen.
Die Substanz, welche die äussere Membran bildet, die sogenannte Cellulose, ist stickstofflos, und characterisirt sich durch die eigenthümliche, schön blaue Färbung, welche sie bei Einwirkung von Jod und Schwefelsäure annimmt. (Jod allein giebt keine Färbung, Schwefelsäure für sich verkohlt.) Dasjenige, was in der von der Cellulose-Haut umschlossenen Höhle liegt, wird nicht blau, es müsste denn zufällig Stärke (Amylon) vorhanden sein, welche schon durch Jod allein blau gefärbt wird. Ist die Pflanzenzelle recht einfach, so erscheint vielmehr nach der Einwirkung von Jod und Schwefelsäure eine bräunliche oder gelbliche Masse, die sich als besonderer Körper im Innern des Zellenraumes isolirt und an der sich häufig eine besondere faltige, häufig geschrumpfte Umhüllungs-Haut erkennen lässt (Fig. 1, c.). Hugo