Erdsegen: Vertrauliche Sonntagsbriefe eines Bauernknechtes. Peter Rosegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Rosegger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066111618
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doch fragen, Vater, warum Euch die Zeitungen gar so zuwider sind?“

      Der Bauer hebt jetzt an, langsam sich zu recken, ganz hoch empor, bis sein Hut unter der Holzdecke sich platt quetscht. Andere schreien, wenn sie zornig sind, mein Hausvater spricht dann noch leiser als sonst.

      „Daß du aber schon gar nichts weißt, Hansel! Hast denn nie was davon gehört, daß die Zeitungschreiber Heiden sind? Oder gar Juden!“

      „Wohl, wohl, Vater. Das habe ich schon gehört!“

      „Und daß die Zeitungen für den Bauersmenschen Gift sind? — Hast gleich ein Beispiel beim Nansen in Hoisendorf. Der nichts thut, als alleweil Zeitung lesen. Wahr ist’s, er hat fortweg mehr gewußt, als wir andern. Er hat gewußt, wie’s in Preußen hergeht, und im Franzosenland, und was die Landboten in der Reichsstuben sich alleweil für Grobheiten sagen und so Geschichten. Aber wie er seine Bauernwirtschaft betreiben soll, das hat er bald nimmer gewußt. Allerhand neue Sachen, wie sie in den Zeitungen angelobt werden — haben hat er sie müssen. Gekauft hat er sie ums teure Geld. Gar eine Kornsäemaschin’ hat er gekauft, als ob er selber keine Händ’ hätt’ dazu. Und wie er mit der neuen Maschin’ säen gehen will, hat er kein Samenkorn im Kasten gehabt. Und zuletzt kauft er dir, der Nansen, kauft dir —“ Er hebt an zu lachen.

      „Was denn, Vater?“

      „Ha, ha! Mußt mich aber für keinen Schwätzer halten, Hans, es ist gewiß wahr, die andern werden dirs auch sagen. Dünger kauft der Bauer! Der Nansenbauer, der den Stall voll Vieh haben könnt’. Kunstdünger kauft er ums bare Geld.“

      Weil ich mich nicht rühre, so kommt mein Adam ganz ans Bett heran, faltet die Hände: „Ich bitt’ dich, Hansel, ein Bauer, der um Bargeld Mist kauft!“

      „Ja, mein Gott,“ sag ich, „Dünger kaufen, warum denn nicht? Dünger ist ja für den Bauer sehr notwendig.“

      Auf diese Bemerkung antwortet der Hausvater allerdings nicht mehr. Nur daß er leise in sich hinein murmelt: „Der Nans ist fertig. Sein Gut, wenn du’s kaufen willst, es steht unter dem Hammer.“

      Bei der Einbrennsuppe nachher war noch einmal davon die Rede, da sagte die Hausmutter: „Was hast denn heut mit dem Hansel, Vater? Du thust ja, als ob er erst bei der Nacht vom Himmel gefallen wär! Der stellt sich nur so!“ Und zu mir: „Ist ja wahr, Hansel, man kann dich gern haben. Aber trauen thu ich dir nit. Du hast was Heimliches in dir, das die Leut nit wissen sollen. Laß es gut sein, Hansel. Schlechtes wird’s wohl nichts sein, ich frag’ dich nit drum. So lang wir sonst nichts Ungutes an Dir wahrnehmen, bleiben wir halt beisammen. Ich weiß nit, haben wir dich nötiger oder du uns.“

      So steht’s. Ein verteufelter Kerl, dieses Weib.

      Ob sie mit ihren Meinungen recht haben? Einerlei, Meinungen haben sie festgründige, und das freut mich. Zwei Hände und einen Kopf dazu. Auf die herausfordernden Worte der Hausmutter habe ich bloß die Achseln gezuckt — ’s war das Beste, nicht wahr? Den Hausvater hingegen habe ich anlügen müssen. Er soll keine Zeitung mehr bei mir finden! Dem geradsinnigen Mann ist das genug. Daß man sie bloß besser verstecken muß, daß sie der Hoisendorfer Lehrer fürderhin heimlich vermitteln wird — das besorgt die Intelligenz. Auf Ehrenwort, Freund, den Alten betrüge ich!

      Denn auf die Zeitung verzichten? Schon darum nicht, weil mein Abscheu vor der Welt noch zweiundvierzig Wochen lang aushalten muß. Nur ein Tag ohne Nachricht von der weiten Welt, und sie lügt sich auf zu weiß Gott was Begehrenswertem. Die Korrespondenz mit den Kollegen von der „Kontinentalen“ habe ich abgebrochen. Das schofle Gewitzel, wenn ich in Bedrängnis bin und hier den blutigen Ernst des Menschseins sehe — es behagte mir nicht mehr. Von der Zeitung aber kann ich lernen, wie gescheit man einmal war und wie ich mich jetzt Woche für Woche von ihrem Geist entferne. Man muß sich nur in acht nehmen. Je weiter von der Zeitungpresse entfernt, desto geneigter ist man, ihr zu glauben. Aufs Glauben hält sie aber selber nichts. Man muß nur zwischen den Zeilen lesen, dort steht schon das Richtige. Und je schlechter es geht da draußen, desto besser für mich. Höre, Freund, was ich dir sage: Ich hasse euere Welt. Aber es ist der Haß der Liebe.

      Es ist der Haß der Liebe, Alfred!

      Lassen wir das jetzt und seien wir der gehorsame Knecht, der die alten Zeitungen in den Ofen werfen will. Doch die Hausmutter wehrt ab: „Nit, Hansel, es thät stinken!“

      Dann bin ich fleißig nach Hoisendorf hinabgegangen in die Kirche. Dort habe ich mich in die Bank des Adamshauses gesetzt. Es hat nämlich jeder Hof in der Kirche seine Bank, wofür vom Pfarramt jährlich ein Abonnement von neun Kreuzern eingehoben wird. Es ist kein Fauteuil. Durchaus nicht. Man ist förmlich eingezimmert zwischen Rück- und Vorwand, auf einem fünf Zoll breiten Sitzbrett und einem Kniebalken.

      Die Kirche ist jetzt in Trauer, die Altäre sind mit blauen Tüchern verhüllt. Wir sind ja in der Fastenzeit. Vom Karneval ist im Adamshause keine Rede gewesen, nur daß der Adam ein Schwein geschlachtet hatte. Ich half ihm beim Metzgern. Als wir dem toten Tier die mit einer Lauge gebrühten Borsten ausrupfen, fragt er mich: „Weißt du, Hansel, weshalb die Sau ein geringeltes Schweifel hat? — Nit? Na, so sag’ ihm’s, Rocherl!“

      Und der Rocherl erzählte: „Wie die Juden in Egyptenland gewesen sind, hat ihnen der Sauhirt des Königs Pharao zu heimlichem Verkauf über den Nil wollen junge Schweine zuwerfen. Aber der Nil ist breit und sie sind alle ins Wasser gefallen. Da kommt der Teufel und sagt: Sauhirt, das kannst du nicht. Siehst du, da muß man dem Schwein beim Schwanz ein Schlingel machen, daß man besser angreifen kann, siehst du? — So packt er eins, schlingt es und schwingt es und wirft es hinüber. Der Moses drüben aber sagt zu den Juden: Nein, meine lieben Leut’, ein Fleisch, das uns der Teufel zuschmeißt, essen wir nicht.“

      „Und davon soll’s kommen,“ setzte der Adam bei, „daß die Säue geringelte Schweiflein haben und daß die Juden kein Schweinfleisch essen.“

      „Das wird wohl wieder so eine Dummheit sein,“ meinte damals die Hausmutter, die es nicht leiden mag, wenn man sich über etwas Biblisches lustig macht. Just in den Faschingstagen scheint sie’s nicht so genau zu nehmen, da wird in der Bauernschaft halt auch ein bißchen geschweinigelt. Früher soll viel gepraßt worden sein, soll es Maskeraden gegeben haben und allerlei alte Tänze. In diesem Jahre hatte in Hoisendorf nur ein sogenannter Holzknecht- und Veteranenball stattgefunden, wobei wenig getanzt aber viel gerauft worden ist. Aha, Du meinst etwa für Gott und Vaterland. Oder gar für Weibsbilder! Nein, mein Lieber. Unter den Holzleuten, Jägern, Bauernknechten und Bergknappen, die zusammengekommen waren, hatten sich — wie der Lehrer erzählt — gesellschaftliche Meinungsverschiedenheiten entsponnen und hätten sie einander Leitartikel über die sociale Frage geschrieben — mit Buchenstäben und Stuhlfüßen auf die rückwärtigen Körperteile. Dieser politische Zeitungstil wird ja auch bei euch draußen wieder modern.

      Nun, das ist ungebrannte Asche. Am darauffolgenden Mittwoch hatte der Hoisendorfer Kurat seinen Gemeindemitgliedern freilich ein anderes Kapitel auf die Stirne geschrieben, und zwar mit gebrannten Buchenstäben: „Du bist von Staub und Asche und wirst zu Staub und Asche!“ Kennst du diese kirchliche Sitte nicht? Ganz freimütig bekennt sie am Aschermittwoch den materialistischen Kreislauf der Natur, die allerdings nicht immer Asche, sondern manchmal auch Stecken sein will.

      Das Adamshaus liegt nur um dreihundert Meter höher, als das Hoisendorfer Wirtshaus. Und hier findest du keinen Unfried mehr. In der schneidigen Hausmutter erfreuen wir uns eines festen Regimes und einer verläßlichen Exekutivgewalt. Selbst der Adam fühlt sich unter dem materiarchalischen Absolutismus behaglich.

      Das vorige Mal fragtest du mich besorgt nach dem Eßgeschirr, aus dem im Adamshause gespeist würde, und nach anderen einschlägigen Dingen. Darüber kann ich dir zum Glücke nichts Besonderes sagen. Die Holzschüsseln und Holzlöffeln sind größtenteils ein überwundener Standpunkt. Auch die Beinlöffeln und Gabeln, obschon mein Hausvater deren noch etliche Paare aufbewahrt, von den Vorfahren her. Diese Hornlöffeln bedingen zwar etwas Großmäuligkeit, also für einen Journalisten durchaus nicht geeignet, sind aber sonst in ihrer perlmutterartig durchscheinenden Farbenpracht sehr schön und appetitlich. Ein alter Hüttler im Gai, der früher aus Rindshörnern solche Löffeln gemacht