»Dich will ich nicht dabeihaben«, erklärte Dr. Metzler energisch, während er sich gründlich die Hände wusch.
»Du brauchst mich aber«, entgegnete Dr. Scheibler. »Das wird eine schwierige Operation. Willst du die mit einem Assistenzarzt durchstehen?«
»Steffi ist deine Frau…«, begann Wolfgang, doch der Oberarzt unterbrach ihn unwirsch.
»Und deine Schwester! Glaubst du vielleicht, daß du emotional weniger beteiligt bist? Komm schon, Wolfgang, wir müssen da zusammen durch. Du schaffst es allein nicht, und außer mir ist niemand mehr da, der dir helfen könnte.«
Inzwischen war Dr. Metzler fertig und ließ sich von der OP-Schwester Petra Dölling die keimfreien Handschuhe überstreifen.
»Also los, tun wir unser Bestes«, meinte er, dann trat er zusammen mit Dr. Scheibler an den OP-Tisch.
»O Gott«, stöhnte Gerrit leise auf, als er einen ersten Blick auf seine Frau werfen konnte. »Wie ist das nur passiert?«
»Keine Ahnung«, antwortete Dr. Metzler. »Aber ich werde es herausfinden, verlaß dich darauf.« Dann streckte er die Hand aus. »Skalpell.«
Während er den Bauchschnitt vornahm, trat auch Stefan Daniel, der hier als Assistenzarzt beschäftigt war, an den OP-Tisch. Wolfgang warf ihm einen kurzen Blick zu.
»Hol Alena aus der Gynäkologie«, befahl er. »Sie muß nachher eine Ausschabung vornehmen, damit es zu keiner Infektion kommt.«
Dr. Scheibler hatte gerade die Operationshaken angesetzt, um Wolfgang freie Sicht auf das Operationsfeld zu verschaffen. Jetzt starrte er seinen Schwager mit brennenden Augen an.
»Nein«, flüsterte er.
Dr. Metzler bedachte ihn mit einem teilnahmsvollen Blick. »Es tut mir leid, Gerrit. Ich hätte es dir gern schonender beigebracht, aber dazu war keine Gelegenheit mehr. Steffi hatte das Baby schon verloren, als ich am Unfallort eintraf.«
In diesem Moment kehrte Stefan Daniel mit der Gynäkologin der Klinik, Frau Dr. Alena Kern, zurück. Dr. Metzler wandte sich ihm zu.
»Stefan, übernimm die Haken«, ordnete er an. »Ich brauche Gerrits Hilfe.«
Stefan gehorchte und warf dabei einen ersten Blick auf das Operationsfeld. Ein Milzriß hatte zu extremen Blutungen im Bauchraum geführt. Unwillkürlich begann Stefan leicht zu schwanken. Er hatte schon eine Menge Operationen miterlebt, aber das hier schien für ihn zuviel zu sein. Vielleicht auch nur deshalb, weil er Stefanie so gut kannte und nun Angst haben mußte, sie könnte hier sterben.
»Mach bloß nicht schlapp, Stefan!« fuhr Dr. Metzler ihn an.
Der junge Assistenzarzt schluckte. »Ich… ich habe so etwas noch nie gesehen und…«
»Dann wird’s Zeit«, fiel Dr. Metzler ihm grob ins Wort. »Los, mach deine Augen auf, und schau zu, was wir hier machen. Es könnte sein, daß du eine solche Operation auch einmal durchführen mußt.«
»Wolfgang, hör auf«, bat Dr. Scheibler. »Ich bin sicher, daß es nicht das viele Blut ist, sondern die Tatsache, daß Steffi hier liegt.«
Nur mit Mühe konnte Stefan
ein Aufschluchzen unterdrücken. »Sie… sie verblutet doch…«
»Nein, das wird sie nicht«, entgegnete Dr. Metzler merklich ruhiger werdend. »Vorausgesetzt, du hältst die Haken so, daß wir etwas sehen können.«
Stefan bemühte sich, dieser Aufforderung nachzukommen, dann sah er zu, wie abgeklemmt und das viele Blut abgesaugt wurde, bevor Wolfgang die gerissene Milz entfernte. Eine Stunde lang arbeiteten die beiden Chirurgen dabei voller Konzentration.
»Geschafft«, murmelte Dr. Metzler, dann trat er vom OP-Tisch zurück. »Stefan, du kannst die Wunde schließen.«
Mit weit aufgerissenen Augen starrte der junge Assistenzarzt ihn an.
»Wolfgang, ich…«, begann er.
Dr. Metzler fuhr zu ihm herum. »Jetzt hör mir mal genau zu! Du willst Arzt sein, also benimm dich gefälligst auch entsprechend! Und in Zukunft, mein Freund, legtst du deine Bedenken draußen vor der Tür ab, bevor du hier hereinkommst, hast du mich verstanden?«
»Ja, Wolfgang«, antwortete Stefan leise.
»Gut, dann geh an deine Arbeit.« Er wandte sich Dr. Scheibler zu. »Kommst du, Gerrit?«
Doch der Oberarzt schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier.« Er sah Stefan an. »Komm, Junge, wir machen das zusammen.«
»Ich glaube, ich werde niemals ein guter Arzt«, murmelte er niedergeschlagen, als er neben Dr. Scheibler im Waschraum stand.
»Doch, Stefan«, entgegnete Gerrit. »Die heutige Operation darfst du nicht als Maßstab nehmen. Es ist nämlich ein gewaltiger Unterschied, ob man irgendeinen Patienten vor sich liegen hat oder einen Menschen, den man kennt, der einem vielleicht sogar sehr nahe steht.«
»Bei dir und Wolfgang habe ich keinen Unterschied zu anderen Operationen bemerkt«, erklärte Stefan.
»Mir war schlecht vor lauter Angst«, gestand Dr. Scheibler offen ein. »Und im Moment habe ich das Gefühl, als würde ich jede Sekunde zusammenklappen. Bei Wolfgang war es nicht anders, oder glaubst du, er war ohne Grund so ruppig zu dir? Er hatte um Steffi genausoviel Angst wie wir alle. Deshalb solltest du seine Zurechtweisung von vorhin auch nicht ganz so ernst nehmen. Er war mit seinen Nerven am Ende, sonst hätte er dich vor Abschluß einer Operation niemals so angeschnauzt.«
Stefan zuckte die Schultern. »Er ist doch immer so streng mit mir. Manchmal könnte ich heulen, weil er mich Tag für Tag so fertigmacht.«
Freundschaftlich legte Dr. Scheibler einen Arm um seine Schultern. »Jetzt übertreibst du aber, meinst du nicht?«
»Vielleicht«, räumte Stefan ein.
»Na, siehst du. Und jetzt werden wir beide zu Steffi hinübergehen und ihre kleineren Wunden noch versorgen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich möchte bloß wissen, welcher Mistkerl das gewesen ist. Wie kann man nur so rücksichtslos fahren?« Und plötzlich fiel ihm seine kleine Tochter ein. Über der Sorge um Stefanie hatte er völlig vergessen, daß seine Frau sicher mit Daniela und Claudia unterwegs gewesen war. Gerrit fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Was, wenn es gar kein Unfall gewesen war? Wenn Stefanie angefahren und die Kinder entführt worden waren?
Stefan fiel die plötzliche Blässe des Oberarztes sofort auf. Er fürchtete schon, daß die Nervenbelastung nun auch für Gerrit zuviel geworden sei und er jeden Moment umfallen würde.
»Gerrit, was ist los?« fragte er besorgt.
»Ich… ich muß zu Wolfgang… sofort«, brachte der mühsam hervor, und schon war er weg.
Stefan sah ihm nach und begriff nicht, was plötzlich in ihn gefahren war, dann zuckte er die Schultern und ging in die Intensivstation hin-über. Stefanie war noch ohne Bewußtsein, aber damit hatte er sowieso gerechnet. Und plötzlich war er wieder die Ruhe in Person. Gewissenhaft untersuchte er die junge Frau, versorgte ihre zahlreichen kleinen Wunden und kontrollierte schließlich noch die Werte, die auf den Monitoren angezeigt wurde.
»Jetzt muß sie nur noch aufwachen«, murmelte er, warf einen letzten Blick auf die bewußtlose Frau und verließ die Intensivstation. Er würde in einer Viertelstunde noch mal nach ihr sehen.
*
Dr. Metzler wußte genau, was los war, als Gerrit, ohne anzuklopfen, in sein Büro stürzte.
»Reg dich nicht auf, Gerrit«, erklärte er, bevor Dr. Scheibler auch nur ein Wort sagen konnte. »Den Kindern geht’s gut.« Er zuckte bedauernd die Schultern. »In meiner Sorge um Steffi habe ich einfach vergessen, dir Bescheid zu geben. Tut mit wirklich leid.«
Aufatmend ließ sich Dr. Scheibler auf einen der beiden Stühle fallen, die Wolfgangs Schreibtisch