»Der Schupo!« rief Fritz leise. Im nächsten Augenblick huschte er durch den Vorgarten ins Bendersche Haus, Erich, der zweite Trommler, folgte ihm. Auch die beiden Knaben, die den Wagen mit dem Schaukelpferd zogen, nahmen Reißaus. Eva warf die rote Tüte im Bogen von sich und suchte gleichfalls Schutz im Hause des Professors, während die rosa Fee sich vergeblich bemühte, aus dem Sportwagen zu kommen. Man hatte das Kleid, um eine gute Wirkung zu erzielen, verschiedentlich festgebunden, damit es wie eine Wolke wirke. Auch der Indianer, der bisher so siegessicher auf dem Pferd gesessen hatte, sah ein, daß er nicht so rasch entfliehen konnte, rückte den Federschmuck recht tief ins Gesicht und schrumpfte mehr und mehr in sich zusammen. Nur Pommerle blies unentwegt auf der Mundharmonika, doch nicht aus Mut, sondern weil es dem herankommenden Polizeibeamten den Rücken zuwandte.
»Was ist denn das für ein Aufzug?«
Die Harmonika verstummte, Pommerle kniff die Augen zusammen, dann lächelte es treuherzig den Beamten an.
»Heute ist der große Zirkus, das sagen wir den Leuten.«
»Habt ihr Erlaubnis?«
Das Kind schaute fragend auf Lotte, die rosa Fee. Die machte ein sehr ängstliches Gesicht.
»Wir haben uns das allein erlaubt, wir wollen den Leuten, die keine Arbeit haben, Geld geben. Du tust uns doch nichts?«
»Und wenn ich euch nun aufschreibe?«
Nun wurde es Pommerle doch recht ängstlich. Es schaute sorgenvoll zu den Fenstern der Wohnung herauf. Doch da kam schon die Rettung in Gestalt des Vaters. Er verhandelte mit dem Polizisten. Währenddessen liefen die beiden Trommler hastig davon, auch die Fee hatte sich endlich aus dem Wagen befreit und fegte in dem langen rosa Gewand durch die Straßen. Und als nach einer Viertelstunde der Polizist Pommerle erklärte, daß der Zug sich nun hinaus zur Sägemühle begeben möge, sah sich die Kleine mit all dem Kram allein auf der Straße. Da stand der Wagen mit dem Schaukelpferd, dahinter der Bernhardiner mit dem Sportwagen, dort lag die rote Tüte, doch von den Kindern keine Spur.
»Nanu, los, los«, mahnte der Polizist. »Der Wagen muß weg von der Straße.«
»Vati, die Pferde sind doch weg – die Fee ist auch weg – die Trommler auch – so ein Reinfall! Aber die Jungens, ich hab's ja immer gesagt, die Jungens sind Kneifer! Die sollen's kriegen!«
So half schließlich Professor Bender seiner kleinen Tochter. Der Wagen und das Schaukelpferd wurde in den Garten gezogen, den Bernhardiner nebst Sportwagen sollte Pommerle zu den Eltern Friedas bringen.
»Wir sind doch noch nicht fertig«, meinte Pommerle kläglich. »Nu werden es die Leute in den anderen Straßen nicht wissen, daß wir heute 'ne Vorstellung haben. Doch daran sind nur die dummen Jungens schuld.«
»Sei versichert, Pommerle, daß man bis fünf Uhr in ganz Hirschberg weiß was ihr angestellt habt.«
Während Pommerle mit dem Bernhardiner durch die Straßen zog, hier und dort angehalten wurde, was der eigenartige Aufzug zu bedeuten habe, denn die Kleine hatte den großen Hut noch nicht abgelegt, sprach Landgerichtsrat Wartenburg bereits lachend zu seinen Beamten davon, daß man heute wohl den Wohltätigkeitszirkus beim Sägemühlenbesitzer Graumann aufsuchen müsse. Und auch Bürgermeister Glove rief seine Beamten zusammen.
»Meine Herren, da hat sich eine kleine Schar bereitgefunden, der großen Not zu steuern. Gehen wir auf den kindlichen Spaß ein. Ich bitte Sie, sich möglichst alle heute nachmittag in dem Wohltätigkeitszirkus zu zeigen.«
So sprach sich der Zirkus wie ein Lauffeuer in Hirschberg herum.
Bereits gegen halb fünf Uhr strömte es zur Wiese hinter der Sägemühle. Herr und Frau Graumann waren fassungslos. Das waren Hunderte und Aberhunderte, die sich einfanden. Noch fassungsloser aber war Pommerle, das mit einem Teller auf einem Holzklotz am Eingang der Sägemühle saß und kassierte. Lotte stand daneben und gab die Eintrittskarten aus. Anfangs strahlte Pommerle, aber allmählich konnte es die Arbeit nicht mehr bewältigen. Aufgeregt rief es nach Hilfe, doch niemand eilte herbei, denn auch Lotte, deren Eintrittskarten aufgebraucht waren, hatte das Weite gesucht, um den mitwirkenden Knaben zu künden, daß sich Menschenmassen heranwälzten. Die Wangen Pommerles glühten, die Aufregung stieg von Minute zu Minute, und schließlich stieß sich das Kind selbst den Teller um, daß die Münzen ins Gras rollten.
»Hoppla – nicht weinen«, tröstete Fabrikbesitzer Stadler, der die kleine Kassiererin schon ein Weilchen lächelnd beobachtete.
Pommerle blickte auf, in den blauen Augen standen tatsächlich Tränen.
»Ich helfe mit, ich kassiere für den Wohltätigkeitszirkus. Wir beide werden es schaffen. Nur nicht drängeln, meine Herrschaften, Sie haben noch viel Zeit. Die Künstler warten, bis Sie alle auf Ihren Plätzen sitzen. Ah – Sie, Herr Professor! Stellen Sie sich doch an die andere Seite des Eingangs und eröffnen Sie die zweite Kasse. Dann geht es schneller.«
Pommerle atmete erleichtert auf. Jetzt hatte es tatkräftige Hilfe. Es konnte die Münzen aus dem Grase sammeln, während der Vater und Herr Stadler Gelder einkassierten. Markstücke und Groschen wurden gereicht, wie eben jeder zahlen konnte. Dann suchte man die Plätze, doch bald waren die vorhandenen Bretter besetzt. Graumann mußte mit seinen Leuten Klötze heranschleppen, denn immer neue Zuschauer stellten sich ein. Es herrschte die fröhlichste Stimmung. Allerlei Vermutungen wurden laut über das, was die Kinder wohl bieten würden.
In dem kleinen Nebenzelt, das als Garderobe der Künstler aufgestellt war, herrschte große Erregung. Emil und Erich streikten. Sie erklärten, sie hätten nicht den Mut ihre Künste zu zeigen, es wären zu viele Menschen draußen. Außerdem säße in der ersten Reihe der Klassenlehrer und der Bürgermeister.
Man hatte Pommerle die Nachricht hinterbracht. Erregt stürzte die Kleine ins Zelt und machte den Knaben Vorwürfe.
»Du hast das alles angezettelt, Pommerle, nu mach du den Kram allein.«
Immer wieder bat die Kleine. Wenn Fritz auf den Händen liefe oder am Barren turnte, würde das gewiß viel Freude machen.
»Auslachen werden sie mich. Im Zirkus wird ganz was anderes verlangt. Ich werde doch nicht auf den Händen laufen, wenn draußen der Bürgermeister sitzt!«
Die Zeit verstrich; draußen klatschte man bereits in die Hände und rief, man möge anfangen.
»Laßt die Lotterie los! Und die Erfrischungen!«
Mit den Erfrischungen war es freilich sehr dürftig bestellt. Die verschiedensten Gläser waren zusammengetragen worden, auch Krüge mit Wasser standen da, doch die kleine Flasche mit Himbeersaft und die vier Zitronen langten natürlich nicht, um dem Wasser etwas Geschmack zu geben. Die Zitronen wurden in ganz kleine Stückchen zerschnitten, die Himbeerlimonade war kaum rosig, trotzdem liefen die Mädchen umher, um Erfrischungen zu verkaufen. Auch das nahm man mit fröhlichem Gelächter auf, die Limonade wurde erstanden, neue verlangt, aber es gab nur noch wundervolles frisches, klares Wasser, das nach Wohltätigkeit schmeckte.
Mit den Losen ging es nicht so glatt. Man wollte wissen, was man gewinne. Paula machte ein geheimnisvolles Gesicht, sagte, sie könne nichts verraten, die Gewinne würden später von der Direktion des Wohltätigkeitszirkusses herangeschleppt werden. So brachte schließlich auch die Lotterie eine nette Summe ein.
Pommerle war in Todesangst. Noch einmal lief es ins Zelt, man mußte doch endlich anfangen, die Knaben sollten sich anziehen, das Eintrittsgeld war bezahlt.
»Fritz – Fritz!«
Pommerle stand wie erstarrt. Das Zelt war leer. Der Clownanzug lag auf der Erde, die vier Knaben waren geflohen.
»Was mache ich nun?« Pommerle rief nach Eva, nach Lotte, aber auch die Mädchen wußten keinen Rat. Man versuchte die Knaben zu finden, doch alles Suchen war erfolglos.
»Was machen wir denn – was machen wir denn? Ich frage die Mutti.«
Pommerle