Wenn sie etwas unternahmen, war stets Frau von Gehldorn dabei. Man mußte ja auf die Mitmenschen Rücksicht nehmen, unter denen es solche gibt und leider in der Mehrzahl –, die immer gleich Unrat wittern.
Schon deshalb allein war Frau Irene auf Posten. Wenn sie auch manchmal keine Lust dazu hatte; so begleitete sie denn doch die beiden jungen Menschen überallhin.
Und man nahm sie gern mit. Elonie liebte diese feine Frau ohnehin wie eine Mutter, und Frank verehrte sie sehr. Er schätzte ihre vornehme Art, ihre Ausgeglichenheit, ihr gütiges Verständnis und ihr warmes Lachen, mit dem sie seinen Übermut quittierte. Sie gehörte eben als Dritte zum Bunde, ohne sie war alles halb so schön.
Daß Diederich nicht mit von der Partie sein konnte, betrübte Frank zuerst; denn er mochte den Vetter sehr gern. Aber er war vernünftig genug, um sich zu sagen, daß ein Mann, der soviel zu leisten hatte wie er, in erster Linie mal seiner Arbeit und seinen Pflichten als Gebieter nachkommen mußte. Also zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. So hatte es auch von jeher sein Vater gehalten und seinen Sohn in dem Sinne erzogen.
»Wie ist es, Frank, willst du dir mal meinen Betrieb ansehen?« fragte Diederich, als man an einem Abend zusammensaß, und schon war ersterer Feuer und Flamme.
»Aber mit dem größten Vergnügen! Ich wollte dich schon längst darum bitten, wagte jedoch nicht, deine kostbare Zeit in Anspruch zu nehmen.
Übrigens muß ich jetzt so langsam anfangen, mich für die Universitäten zu interessieren. Dazu hat mein guter Dad mich ja hierher geschickt, mir drei Wochen dafür bewilligt. Zwei davon sind schon um, in denen ich bisher nur Ausflüge machte, Tennis spielte, mit meiner Fechtkunst der süßen Elo heillosen Schrecken einjagte, und manche vergnüglichen Dinge mehr. Nun mußt du mich beraten, geliebter Vetter, wo ich am günstigsten studieren kann.«
»Da wird dich Knut Norber besser beraten können als ich.«
»Knut Norber? Wer ist denn das?«
»Mein Vetter mütterlicherseits. Sein Vater ist Arzt in dem Städtchen, das eine halbe Autostunde von hier entfernt liegt. Vielleicht kannst du an derselben Universität studieren und hättest dann gleich an dem Jungen einen Anschluß.«
»Ist der Knut gut zu leiden?«
»Kann man wohl sagen. Zwar ist er nicht so quecksilbrig wie du, dafür ähnelt er zu sehr seinem bedächtigen Vater, aber ein famoser Junge, verläßlich und treu.«
»Dann ist er mein Mann. Wo kann ich seiner habhaft werden?«
»In seinem Elternhaus Ich sage dort Bescheid, daß Knut übers Wochenende hinkommen soll. Wir treffen da zusammen, und du kannst ihm die Seele aus dem Leib fragen.«
»Was studiert er denn?«
»Medizin. Als Nachfolger seines Vaters.«
»Meine Fakultät wäre mir ja lieber, aber man muß auch so zufrieden sein. Darf ich übrigens so ganz ohne weiteres im Doktorhaus aufkreuzen?«
»Als unser Gast ohne Frage. Du wirst dich dort so wohl fühlen, daß du gar nicht mehr zu uns zurückkehren willst.«
»Na, das wäre! Ich werde doch nicht meine Süße verlassen, die ohne mich überhaupt nicht mehr leben kann.«
»Eingebildet bist du gar nicht«, fuhr Elonie ihm lachend in den Schopf. »Ich würde froh sein, mich von deiner Turbulenz erholen zu können.«
»Das mir, das mir!« Er verdrehte anklagend die Augen. »Aber warte nur, ich räche mich. Steche dich in der nächsten Fechtstunde einfach mit dem Florett tot.«
»Hu, wie grausig! Und wenn Diederich dir dann den Hals umdreht?«
»Tut er nicht. Er wäre froh, dich auf eine so einfache Art loszuwerden.«
Bei der Bemerkung stutzte man zuerst. Als man jedoch in das spitzbübische Gesicht sah, da wußte man, daß der übermütige Schlingel sein Späßchen trieb.
Und so war es auch. Denn erstens hielt er die beiden für ein harmonisches Ehepaar und hätte in einem anderen Fall die Bemerkung gar nicht gemacht, weil sie im höchsten Grad taktlos gewesen wäre. Und das war Frank nicht, dafür hatten seine Eltern ihn zu gut erzogen.
Am nächsten Morgen nahm Diederich den Vetter mit ins Werk. Und je länger die Besichtigung dauerte, um so größer wurde seine Bewunderung für den Gebieter, der diesen Riesenbetrieb so fest in Händen hielt. Es schüchterte ihn direkt ein, als er so sicher und unbeirrt durch sein Reich schritt – ein König der Arbeit. Überall wußte er so gut Bescheid wie in seiner Hosentasche. Dem konnte man wahrlich kein X für ein U vormachen. Seine Erklärungen waren kurz und knapp, aber so anschaulich, daß Frank sie verstand. Begeistert kehrte er Stunden später ins Brendorhaus zurück, wo er sich vor Elonie hin pflanzte und loslegte:
»Na, du hast vielleicht einen Mann! Vor dem muß man den Hut bis zur Erde ziehen. Ein Gebieter, wie er im Buche steht. Hast du denn keine Angst vor ihm?«
»Hast du sie denn?« fragte sie lachend dagegen.
»Angst nicht, aber Bewunderung. Denn bewundernswert ist es doch wahrlich, die unzähligen Fäden so straff in der Hand zu halten und keinen davon zu verlieren. Ein kluger Kopf, ein genialer Kopf. Ich bin stolz, diesen Mann Vetter nennen zu dürfen.«
Und ich habe mich erdreistet, diesen Mann wie einen dummen Jungen zu behandeln, dachte Elonie gequält. Die ich doch ein Nichts gegen ihn bin. Ich bin schön, das hat er mir selbst gesagt. Aber diese Schönheit ist auch alles, was ich in die Waage zu werfen habe – gegen Klugheit, Vornehmheit, Reichtum und Macht.
*
Am Sonntag fuhr man zum Doktorhaus, wo man Frank herzlich willkommen hieß. Mit Knut fand er sofort Kontakt, und nachdem er sich über alles genau erkundigt hatte, stand es bei ihm fest, an derselben Universität zu studieren wie der Arztsohn.
»Da hab’ ich gleich einen Kameraden und kann mich öfter mal im Brendorhaus einfinden, um mich da auszufuttern«, gestand er in schönster Offenheit. »Ansonsten wird wohl Schmalhans Küchenmeister sein.«
»Trotz deines noblen väterlichen Wechsels?« fragte Diederich.
»Na du, so nobel wird der Wechsel gar nicht sein. Zwar ist mein guter Dad für leben und leben lassen, hält jedoch Verschwendung für ein Laster.«
»Genau wie meiner«, seufzte Knut. »Die alten Herren haben aber auch gar kein Verständnis für die Bedürfnisse ihrer Söhne.«
»Und die Töchter müssen hinter ihnen zurückstehen«, bemerkte Birgit altklug. »Ist es bei Ihnen auch so, Herr Frank?«
»Nein, Fräulein Birgit«, gab er ernsthaft Antwort, während der Schalk in seinen Augen blitzte. »Da hat die Mitgift der Tochter so viel Geld verschlungen, daß für den Sohn kaum etwas übrigbleibt. Glaubst du das?«
»Nein.«
»So nimmst du an, daß ich lüge?«
»Lügen nicht, aber Unsinn reden.«
»Birgit!« verwies die Mutter sie, doch Frank winkte lachend ab.
»Die ist richtig, die gefällt mir. Schade, daß du noch in den Kinderschuhen steckst, sonst würde ich dich vom Fleck weg heiraten.«
»Was Sie sich wohl einbilden! Ich heirate nur einen Mann.«
»Und was bin ich?«
»Ein Junge.«
»Ist doch bloß gut, daß du nicht noch ›dummer‹ voransetztest.«
»Oh, ich weiß schon die Grenze zu halten.«
»Wie beruhigend. Aber einen Jungen pflegt man nicht mit Herr anzusprechen.«
»Wenn er das Alter hat, muß man das schon.«
»Hm. Was meinst du, wollen wir Duzbrüderschaft