Natürlich verlangte sie auch von ihm die gewohnte Vergötterung. Er hatte nur für sie dazusein, mußte sich widerstandslos ihren Launen fügen. Und als er es nicht tat, versuchte sie, ihn durch widerliche Szenen zu zwingen.
Ganz erbärmlich schämte Elonie sich, wenn sie daran dachte. Vor ihm, vor den prächtigen Norbers, vor Frau von Gehldorn, die gewiß um alles wußte.
Sie sprang auf, trat zu Beate, umarmte sie und drückte einen Kuß auf deren Wange.
»Ach, Tante Beate, was bist du doch nur für ein lieber Mensch.«
»Nanu.« Die Tante war perplex. »Was ist denn plötzlich in dich gefahren? Willst du mich etwa mit dem Zugeständnis umgarnen, damit ich dir aus der Klemme helfen soll?«
»Pfui, Tante Beate, wie kannst du nur so von mir denken? Ich mag dich gern. Darf ich dir das nicht zeigen?«
»Man immerzu«, lachte sie. »Doch bei dir weiß man nie so recht, woran man ist. Tränen? Aber Elo, komm, kriegst auch von mir einen Kuß. So, jetzt sind wir uns wieder einig, nicht wahr?«
»Mutti, wie kannst du bloß Elo so kränken«, sagte Birgit vorwurfsvoll, die junge Frau dabei umfassend.
»Mach dir nichts daraus, Elolein, mit mir verfährt sie genauso. Immer wenn ich zu ihr zärtlich bin, denkt sie gleich, ich will was von ihr haben.«
Es klang so gottergeben, daß es Heiterkeit auslöste. Auch Elonie lachte mit, obgleich ihr die Tränen noch an den Wimpern hingen. Forschend ging des Gatten Blick zu ihr hin. Er glaubte zu wissen, was sie bedrängte, aber damit mußte sie allein fertig werden. Für ihn gab es nur noch ein Entweder – Oder.
*
Um sechs Uhr mahnte Diederich zum Aufbruch. Zwar wollte man ihn umstimmen, bis nach dem Abendessen zu bleiben, doch er winkte entschieden ab.
»Nein, das geht nicht, so gern ich auch bleiben möchte. Aber wir müssen vor Dunkelwerden zu Hause sein, damit wir nicht den Weg verfehlen.«
Das sah man ein, und Onkel Fritz sorgte dafür, daß eine halbe Stunde später die Pferde zur Stelle waren. Erfreut trollte sich der Pfleger mit einem noblen Trinkgeld, ein herzliches Abschiednehmen, dann fuhr das Auto ab, und hinterher setzten sich die ausgeruhten Tiere in Trab.
»Wenn die man nicht der Hafer sticht, den sie in der Gaststätte bestimmt sehr reichlich bekamen«, meinte der Arzt, der gleich den anderen dem eleganten Reiterpaar nachsah. »Elonie wird es nicht leicht mit ihrem weißen Roß haben, das nicht so unschuldig ist, wie es in seiner Weißheit aussieht.«
»Sie wird es schon zügeln«, bemerkte Knut zuversichtlich. »Außerdem ist Diederich dabei, der mit kleinen Kanaillen umzugehen versteht, mit vierbeinigen wie mit zweibeinigen.«
Man ging zur Terrasse zurück, streckte sich in die Liegestühle und faulenzte so recht nach Herzenslust.
Indes strebten die Pferde dem heimatlichen Stall zu. Es war für Elonie zuerst nicht einfach gewesen, den übermütigen Schimmel zu zügeln, doch sie schaffte es, ohne daß Diederich einzugreifen brauchte. Wohlbehalten langten sie zu Hause an, wo Frau von Gehldorn, die schon früher eingetroffen war, sie mit der Meldung überraschte:
»Vor etwa fünf Minuten hat ein Herr Frank Brendor angerufen.«
»Frank Brendor?« fragte Diederich gedehnt. »Woher kam denn der Anruf?«
»Das weiß ich nicht, Herr Doktor. Als ich dem Herrn sagte, daß die Herrschaften nicht zu Hause wären, jedoch bald eintreffen müßten, versprach er, noch einmal anzurufen und legte dann auf.«
»Dann ist der Junge bestimmt im Lande«, lachte Diederich. »Na, auf dessen Besuch können wir uns freuen. Der wirbelt alles durcheinander, daß es man so braust. Gehen wir ins Wohnzimmer, dort werde ich erklären, wer der Anrufer ist.«
Als man saß, sahen die beiden Damen ihn erwartungsvoll an, und schmunzelnd folgte die Erklärung:
»Franks Vater ist der Bruder des meinen, der nach Kanada übersiedelte. Aber bitte nicht an ein schwarzes Schaf denken, das ist er bestimmt nicht. Er heiratete eine Kanadierin, deren Vater, ein ausgewanderter Deutscher, dort große Ländereien besitzt. Seine Frau ist gleichfalls eine Deutsche. Ich bin schon einige Male dagewesen und hab’ mich in der Familie äußerst wohl gefühlt. Es sind durchweg prächtige Menschen, Eltern wie Kinder. Die Tochter ist bereits verheiratet, hat eine Bombenpartie gemacht. Frank ist zweiundzwanzigjährig, ein prächtiger Bursche. Als ich vor etwa einem halben Jahr das letzte Mal da war, versprach er, mich zu besuchen, sofern er sein Studium hinter sich hätte, was jetzt der Fall zu sein scheint.«
In dem Moment schlug der Fernsprecher an, nach dessen Hörer Diederich griff. Gleich darauf hörte man ihn lachend sagen:
»Jawohl, hier hängt er. Grüß Gott, du Schlingel. Ob du mich besuchen darfst? Du stellst vielleicht Fragen! Wo bist du überhaupt? Im Hotel Krone? Dann mal raus aus dem feudalen Kasten! Obwohl es nur ein Katzensprung ist, werde ich dir den Wagen schicken. Denn soweit ich dich kenne, wirst du ja nicht mit dem Rucksack gekommen sein. Beeile dich, damit wir nicht eine halbe Ewigkeit mit dem Abendessen auf dich zu warten brauchen.«
Er legte auf und sagte schmunzelnd:
»Der Bengel scheint ja gut in Form zu sein. Sollte er dir gleich eine Liebeserklärung machen, Elonie, nimm’s nicht weiter tragisch. Sein Herz, das ist ein Bienenhaus, da fliegen die Mädchen ein und aus. Bitte mich zu entschuldigen, damit ich dem Chauffeur Bescheid sagen kann.«
Als er zurückkam, fragte die Hausdame, welches Zimmer sie für den Gast herrichten lassen sollte.
»Das größte Fremdenzimmer, Frau von Gehldorn. Der Junge braucht viel Platz. Schon allein für die Sachen, die er mitschleppen wird.«
Aber er erschien nur mit zwei mäßig großen Koffern, da er nicht länger als drei Wochen zu bleiben gedachte, wie man später erfuhr. Er durfte sich mit Erlaubnis des Vaters eine Universität aussuchen, an der er Volkswirtschaft studieren konnte. Vetter Diederich sollte ihm ratend zur Seite stehen.
So langte er denn an, erwartungsvoll und kreuzfidel. Kaum hatte er das Haus betreten, als er auch schon von allem, was darin lebte und webte, Besitz ergriff.
»Menschenskind, Diederich, das ist ja ein fürstlicher Kasten«, sagte er begeistert in tadellosem Deutsch, mit einem leichten fremden Klang. »Du hast es nötig, so bescheiden zu tun, wie du bei uns tatest –. Ja, wer ist denn das?« Sein Blick blieb jetzt mit unverhohlener Bewunderung an Elonie hängen. »Etwa mein Kusinchen? Und diese bezaubernde Schönheit hast du uns so lange vorenthalten? Schäm dich!«
»Na, nun mal langsam«, verteidigte der Vetter sich lachend. »Ich bin ja erst ein Jahr verheiratet.«
»Da hättest du gefälligst die Hochzeitsreise zu uns machen müssen. Aber das holst du nach, verlaß dich drauf. Komm, Prinzeßchen, gib mir deinen Arm und führe mich in dein trautes Heim.«
Lachend kam sie seinem Wunsche nach. Dieser neue Vetter gefiel ihr ausnehmend gut. Als er im Wohngemach mit Frau von Gehldorn bekannt gemacht wurde, kratzte er sich bedenklich den Kopf.
»Uijeh, gnädige Frau, bei Ihnen muß man wohl immer sehr artig sein, nicht wahr.«
»Wenn Ihre Ungezogenheiten charmant sind, will ich sie mir ganz gern gefallen lassen«, versprach sie lächelnd, worauf er sie anstrahlte wie ein beschenkter kleiner Junge. Groß und blond mit blauen Augen, hatte er Ähnlichkeit mit seinem Vetter Diederich. Nur war sein Gesicht runder und weicher, die Kopfform weniger rassig und der Mund nicht so hart geschnitten. Außerdem fehlte ihm die vornehme Gelassenheit, überhaupt das Herrische des Gebieters. Er war vielmehr ein bildhübscher Junge, ein strahlender Schwerenöter, der sich mühelos die Herzen der Menschen gewann.
Wenn er sich auch zwanglos gab, so merkte man ihm sofort die gute Kinderstube an. Er konnte wohl übermütig, aber niemals flegelhaft sein, wußte immer, wie weit er zu gehen hatte, auch Elonie gegenüber, in die er sich spontan