»Jetzt, da Sie so gut sind, zu sagen, daß wir einander verstanden haben, Miß Halcombe,« sagte ich, »jetzt, da Sie meiner Dankbarkeit, meiner Entsagung und meines Gehorsams gewiß sind, darf ich es wagen, Sie zu fragen, wer« – ich zögerte; ich hatte mich gezwungen, an ihn als ihren zukünftigen Gemahl zu denken, aber als solchen von ihm zu sprechen, war noch weit schwerer – »wer der Herr ist, mit dem Miß Fairlie sich verlobt hat?«
Sie war offenbar mit der Botschaft beschäftigt, die man ihr von ihrer Schwester gebracht hatte. Sie antwortete hastig und zerstreut:
»Ein Herr mit großem Vermögen in Hampshire.«
Hampshire! Anna Catherick’s Heimat. Wieder und immer wieder die Frau in Weiß. Es mußte ein Verhängniß darin sein.
»Und sein Name?« sagte ich so ruhig und gleichgiltig, wie es mir möglich war.
»Sir Percival Glyde.«
Sir – Sir Percival Glyde! Anna Chatherick’s Frage, jene verdächtige Frage über Leute im Rang von Baronets, die ich etwa kannte, war kaum durch Miß Halcombe’s Rückkehr in’s Lusthäuschen aus meiner Erinnerung verwischt worden, als sie dieselbe durch ihre Antwort schon wieder hervorrief. Ich stand plötzlich stille und sah sie an.
»Sir Percival Glyde,« wiederholte sie, in der Vermuthung, daß ich sie nicht verstanden.
»Ritter oder Baronet?« fragte ich mit einer Aufregung, die ich nicht länger bemeistern konnte.
Sie schwieg einen Augenblick und entgegnete dann ziemlich kalt:
»Baronet, natürlich.«
X
Es wurde kein Wort weiter von uns gesprochen, während wir nach dem Hause zurückgingen. Miß Halcombe eilte sofort auf ihrer Schwester Zimmer; und ich ging auf mein Atelier, um diejenigen von Mr. Fairlie’s Zeichnungen, welche ich noch nicht aufgeklebt hatte, zu ordnen, ehe sie anderen Händen übergeben würden. Gedanken, die ich bisher unterdrückt hatte, Gedanken, die meine Stellung schwerer zu ertragen machten als je, drängten sich jetzt mir auf, da ich allein war.
Sie war verlobt, und ihr zukünftiger Gemahl war Sir Percival Glyde. Ein Mann im Range eines Baronets und Eigenthümer von Gütern in Hampshire.
Es waren Hunderte von Baronets in England und Dutzende von Güterbesitzern in Hampshire. Nach gewöhnlichen Beweisregeln hatte ich somit nicht den Schatten eines Grundes, um Sir Percival Glyde mit der verdächtigen Frage der Frau in Weiß in Verbindung zu bringen. Und dennoch brachte ich sie mit ihm in Verbindung. War es, weil er jetzt in meinen Gedanken mit Miß Fairlie in Verbindung stand und Miß Fairlie ihrerseits mit Anna Catherick seit jenem Abend, wo ich die unheildrohende Aehnlichkeit zwischen ihnen entdeckt hatte? Hatten die Ereignisse des Morgens bereits so sehr meine Nerven erschüttert, daß ich jeder Täuschung anheimfiel, welche ganz gewöhnliche Zufälle und Zusammentreffen in meiner Einbildungskraft hervorriefen? Ich kann es nicht sagen. Ich fühlte nur, daß das, was sich zwischen mir und Miß Halcombe auf unserem Heimwege zugetragen, mich ganz seltsam ergriffen hatte. Das Vorgefühl einer unentdeckbaren Gefahr, die für uns Alle in der Dunkelheit der Zukunft verborgen lag, regte sich stark in mir. Der Zweifel, ob ich nicht bereits ein Glied in der Kette von Ereignissen sei, die selbst meine herannahende Abreise von Cumberland nicht mehr zersprengen konnte, ob irgend Eins von uns das Ende sah, wie das Ende wirklich sein werde, gestaltete sich immer finsterer in meinem Geiste. So bitter und schneidend das Leiden auch war, das mir das kummervolle Ende meiner kurzen, verwegenen Liebe verursachte, so schien es abgestumpft und geschwächt durch die noch stärkere Ahnung von etwas Bevorstehendem, etwas unsichtbar Drohendem, das die Zeit über unseren Häuptern hielt.
Ich war etwas über eine halbe Stunde mit meinen Zeichnungen beschäftigt gewesen, als an meine Thür geklopft wurde. Auf meinen Ruf öffnete sich dieselbe und zu meinem Erstaunen trat Miß Halcombe in das Zimmer.
Ihr Auftreten war aufgebracht und erregt, sie ergriff einen Stuhl, ehe ich Zeit hatte, ihr einen zu reichen, und setzte sich dicht neben mich nieder.
»Mr. Hartright,« sagte sie, »ich hatte gehofft, daß für heute wenigstens alle unangenehmen Unterhaltungsgegenstände abgemacht seien. Aber es sollte nicht so sein. Es ist irgend eine versteckte Büberei im Werke, um meine Schwester über ihre herannahende Heirat zu ängstigen. Sie sahen mich den Gärtnerburschen mit einem Briefe, der in unbekannter Handschrift an Miß Fairlie adressirt war, in’s Haus schicken?«
»Gewiß.«
»Jener Brief ist ein anonymer Brief – ein abscheulicher Versuch, Sir Percival Glyde in der Achtung meiner Schwester herabzusetzen. Derselbe hat sie so ergriffen und beunruhigt, daß es mir nur mit größter Mühe gelungen ist, sie hinlänglich zu besänftigen, daß ich ihr Zimmer verlassen und hierher kommen konnte. Ich weiß, daß dies eine Familienangelegenheit ist, über die ich Sie nicht zu Rathe ziehen sollte, und für die Sie weder Theilnahme noch Interesse fühlen können –«
»Ich bitte um Entschuldigung, Miß Halcombe. Ich fühle die allergrößte Theilnahme und das tiefste Interesse für Alles, was Miß Fairlie’s Glück oder Ihr eigenes betrifft.«
»Es freut mich, Sie das sagen zu hören. Sie sind die einzige Person im Hause – und außerhalb desselben, die mir rathen kann. An Mr. Fairlie ist bei seinem Gesundheitszustande und seinem Abscheu gegen jede Art von Schwierigkeiten oder Geheimniß unnöthig zu denken. Der Geistliche ist ein guter, schwacher Mensch, der außer dem Einerlei seiner Amtspflichten von gar Nichts weiß; und unsere Nachbarn sind gerade die Art von gemächlichen Alltagsbekanntschaften, die man in Zeiten der Sorge und Gefahr nicht bemühen darf. Was ich zu wissen wünsche, ist dies: soll ich sogleich diejenigen Schritte, die mir zu Gebote stehen, thun, um den Schreiber des Briefes zu entdecken? oder soll ich warten und mich morgen an Mr. Fairlie’s Rechtsanwalt wenden? Es handelt sich um den Gewinn oder Verlust eines Tages, was vielleicht von großer Wichtigkeit ist. Sagen Sie mir, wie Sie darüber denken, Mr. Hartright. Hätte nicht die Nothwendigkeit mich bereits gezwungen, Sie unter sehr zarten Verhältnissen in mein Vertrauen zu ziehen, so wäre vielleicht selbst meine hilflose Lage keine Entschuldigung für mich. Aber wie die Sachen stehen, kann es doch gewiß nach Allem, was zwischen uns vorgegangen ist, nicht unrecht sein, zu vergessen, daß Sie erst seit drei Monaten unser Freund sind.«
Sie reichte mir den Brief. Derselbe begann plötzlich, ohne alle Einleitung oder Anrede, wie folgt:
»Glauben Sie an Träume? Ich hoffe es, um Ihrer selbst willen. Sehen Sie nach, was die heilige Schrift über Träume und deren Erfüllungen sagt (Erstes Buch Moses XL, V. 8; XLI, V. 25; Daniel IV, V. 18-25), und hören Sie die Warnung, die ich Ihnen sende, ehe es zu spät ist.
In letzter Nacht träumte mir von Ihnen, Miß Fairlie. Mir träumte, ich stände innerhalb des Altargitters einer Kirche: ich auf der einen Seite des Altars und der Geistliche in seinem Priestergewande und mit dem Gebetbuche in der Hand, auf der anderen.
Nach einer Weile kamen durch das Schiff der Kirche ein Mann und ein Weib auf uns zu, um getraut zu werden! Sie waren das Weib. Sie sahen in Ihrem weißseidenen Kleide und Ihrem langen Spitzenschleier so schön und unschuldig aus, daß mein Herz für Sie fühlte und mir Thränen in die Augen kamen.
Es waren Thränen des Mitleids, junge Dame, welche der Himmel segnet; und anstatt wie die alltäglichen Thränen, die wir Alle vergießen, aus meinen Augen zu fallen, wurden sie zu zwei Lichtstrahlen, die sich nach dem Manne hinzogen, der an Ihrer Seite am Altar stand, bis sie seine Brust berührten. Die beiden Strahlen standen in Bogen, wie zwei Regenbogen zwischen mir und ihm. Ich schaute an ihnen hin und blickte tief in sein innerstes Herz hinab.
Das Aeußere des Mannes, den Sie heirateten, war schön genug anzusehen. Er