La San Felice B7
Siebenter Theil
Erstes Capitel.
Die Flucht
Von diesem Augenblicke an war die Flucht, wie wir gesagt haben, beschlossen und auf demselben Abend des 21. December festgesetzt.
Man kam überein, daß der König, die ganze königliche Familie – mit Ausnahme des Kronprinzen, seiner Gemahlin und seiner Tochter – Sir William, Emma Lyonna, Acton und die vertrautesten Diener des Palastes auf dem »Vanguard« die Ueberfahrt nach Sicilien machen sollten.
Der König hatte, wie man sich erinnern wird, Caracciolo versprochen, daß, wenn er Neapel verließe, dies nicht anders geschehen solle, als auf dem Schiffe dieses Admirals. Durch die Furcht aber wieder unter das Joch der Königin gebeugt, vergaß er sein Versprechen und faßte aus zwei Gründen einen andern Entschluß.
Der erste dieser Gründe, der von ihm selbst ausging, war die Scham, die er dem Admiral gegenüber empfand, Neapel zu verlassen, nachdem er versprochen, daselbst zu bleiben.
Der zweite, welcher von der Königin ausging, war, daß Caracciolo, die patriotischen Prinzipien des ganzen neapolitanischen Adels theilend, den König, anstatt ihn nach Sicilien zu führen, den Jakobinern ausliefern könnte, die, sobald sie sich im Besitze einer solchen Geißel sähen, ihn dann zwingen würden, die Regierung einzusetzen, welche sie wollten, oder die noch schlimmer, ihm vielleicht den Proceß machten, wie die Engländer mit Karl dem Ersten und die Franzosen mit Ludwig dem Sechzehnten gethan.
Als Trost und zur Entschädigung für die ihm entzogene Ehre beschloß man, daß der Admiral die haben solle, später den Herzog von Calabrien mit dessen Familie und Gefolge nach Sicilien zu bringen.
Man unterrichtete die alten Prinzessinnen von Frankreich von dem gefaßten Entschluß, forderte sie auf, mit Hilfe ihrer sieben Leibgarden nach eigenem Belieben für ihre Sicherheit zu sorgen, und schickte ihnen fünfzehntausend Ducati, um ihnen die zu ihrer Flucht nothwendigen Geldmittel zu gewähren.
Nachdem man diese Pflicht gegen sie erfüllt, bekümmerte man sich nicht weiter um sie.
Den ganzen Tag über schaffte man die Schmucksachen, das Geld, die kostbaren Geräthschaften, die Kunstwerke und Statuen, welche man mit nach Sicilien nehmen wollte, in den geheimen Gang hinab.
Der König hätte gern auch seine Känguruhs mitgenommen, aber dies war ein Ding der Unmöglichkeit und er begnügte sich damit, daß er sie durch einen eigenhändigen Brief der Fürsorge des Obergärtners von Caserta empfahl.
Der Verrath der Königin und Acton's, wovon der Brief des Kaisers ihm den Beweis geliefert, lag ihm schwer auf dem Herzen. Er blieb in seine Gemächer eingeschlossen und weigerte sich, irgend Jemand zu empfangen, möchte es sein wer es wollte.
Diese Instruction ward auch streng in Bezug auf Francesco Caracciolo befolgt, welcher, da er von seinem Schiffe aus das Kommen und Gehen und die Signale an Bord der englischen Schiffe gesehen, sogleich argwohnte, daß etwas im Werke sei, eben so auch in Bezug auf den Marquis Vanni, welcher, nachdem er die Thür der Königin verschlossen gefunden und durch den Fürsten von Castelcicala erfahren, daß die Abreise im Werke sei, verzweiflungsvoll an die Thür des Königs zu pochen kam.
Dieser hatte einen Augenblick lang die Idee, den Cardinal Ruffo kommen zu lassen und als Begleiter und Rathgeber auf der Reise mitzunehmen. Er hatte jedoch die feindselige Gesinnung, welche zwischen Ruffo und Nelson herrschte, recht wohl bemerkt.
Uebrigens ward, wie man weiß, der Cardinal von der Königin gehaßt, und Ferdinand gab, wie immer, seiner Ruhe vor den zarten Rücksichten der Freundschaft und der Dankbarkeit den Vorzug.
Dabei sagte er sich, daß der Cardinal als kluger Mann sich recht wohl allein aus der Affaire ziehen würde.
Die Einschiffung ward auf sieben Uhr Abends festgesetzt. Demgemäß ward verabredet, daß sämtliche Personen, welche sich in Gesellschaft der Majestäten auf dem »Vanguard« einschiffen sollten, sich um zehn Uhr in dem Gemache der Königin zu versammeln hätten.
Schlag zehn Uhr trat der König ein, seinen Hund an der Leine führend.
Es war dies der einzige Freund, auf dessen Treue er sich verlassen konnte, und deshalb nahm er ihn mit.
Er hatte auch an Ascoli und Malaspina gedacht, aber er hatte auch zugleich bei sich gemeint, daß diese ebenso wie der Cardinal sich allein aus der Affaire zu ziehen wissen würden.
Er sah sich in dem großen, nur schwach erleuchteten Raum um – man hatte nämlich gefürchtet, daß eine helle Erleuchtung die beabsichtigte Flucht verrathen könne – und er sah, daß sämtliche Flüchtlinge in verschiedene Gruppen vereinigt oder vielmehr zerstreut standen.
Die Hauptgruppe bestand aus der Königin, ihrem Lieblingssohne, dem Prinzen Leopold, dem jungen Prinzen Albert, den vier Prinzessinnen und Emma Lyonna.
Die Königin saß auf einem Sopha neben Emma Lyonna, die den Prinzen Albert, ihren Liebling, auf dem Schoße hielt, während der Prinz Leopold seinen Kopf an die Schulter der Königin lehnte.
Die vier Prinzessinnen saßen theils um ihre Mutter herum, theils lagen sie auf dem Teppich.
Acton, Sir William und der Fürst von Castelcicala standen miteinander sprechend in der Brüstung eines Fensters und hörten den Wind pfeifen und den Regen gegen die Fensterscheiben anschlagen.
Eine andere Gruppe von Ehrendamen, unter welcher man die Gräfin von San Marco, die intime Vertraute der Königin, bemerkte, stand um einen Tisch herum.
Fern von Allen und in dem Dunkel kaum sichtbar, zeigte sich die Gestalt des Secretärs Dick, welcher nur erst diesen selben Tag so geschickt und treu die Befehle seines Herrn und der Königin ausgeführt, welche er hinfort auch ein wenig als seine Herrin betrachten konnte.
Beim Eintritt des Königs erhoben sich Alle und wendeten sich nach ihm herum. Er gab jedoch ein Zeichen mit der Hand, daß Jeder an seinem Platze bleiben solle.
»Laffen Sie sich nicht stören,« sagte er. »Laffen Sie sich nicht stören. Es lohnt nicht mehr der Mühe.«
Und er setzte sich in einen Lehnstuhl in der Nähe der Thür, durch welche er eingetreten war, und nahm Jupiters Kopf zwischen seine Knie.
Der kleine Prinz Albert, welcher von der Königin nicht sonderlich geliebt, die jedem Kinde so kostbare und so nothwendige Liebe, die er von seiner Mutter vergebens erwartete, bei Andern suchte, glitt, als er die Stimme seines Vaters vernahm, von Emmas Schoß herab, kam auf den König zu und bot ihm seine bleiche, ein wenig krankhaft aussehende, von einem Wald blonden Haares umrahmte Stirn.
Der König strich das Haar des Knaben auf die Seite, küßte ihn auf die Stirn und schickte ihn, nachdem er ihn einen Augenblick lang an seine Brust gedrückt und gedankenvoll betrachtet, zu Emma Lyonna zurück, welche der Knabe seine »kleine Mutter« nannte.
Dumpfes Schweigen herrschte in dem düstern Gemach, und Diejenigen, welche sprachen, thaten dies in leisem Tone.
Es war halb elf Uhr, als der Graf von Thurn, der mit dem Marquis von Nizza, dem Commandanten der portugiesischen Flotte, unter Nelsons Befehle stand, durch das kleine Pförtchen und die Wendeltreppe sich in den Palast begeben sollte. Er hatte zu diesem Zwecke den Schlüssel zu einem der Gemächer des Königs erhalten, welches mittelst einer einzigen festen, beinahe massiven Thür mit diesem Ausgang in Verbindung stand, der in den Kriegshafen führte.
Die Pendule schlug mitten unter dem herrschenden Schweigen halb elf.
Unmittelbar darauf hörte man an die Verbindungsthür pochen.
Warum pochte der Graf von Thurn, anstatt zu öffnen, da er ja den Schlüssel hatte?
Unter den Umständen, in welchen man sich befand, ward Alles, was in einer andern Situation blos eine Ursache zur Unruhe gewesen wäre, zu einer Ursache der Furcht und des Schreckens.
Die Königin zuckte zusammen und erhob sich.
»Was gibt’s?« fragte sie.
Der König begnügte sich hinzuschauen. Er wußte nichts von den getroffenen Verfügungen.
»Nun,« sagte Acton immer ruhig und logisch,