Obgleich Sikka ein Wallfahrtsort war, vermochte es eine solche Menschenmenge nicht zu bergen. Der Tempel allein mit seinen Nebengebäuden nahm die Hälfte der Stadt ein. Die Barbaren lagerten sich daher ganz nach Belieben in der Ebene, die Disziplinierten in regelmäßigen Abteilungen, die andern nach Völkern oder wie es ihnen just gutdünkte.
Die Griechen schlugen ihre Zelte aus Fellen in gleichlaufenden Reihen auf. Die Iberer bauten ihre Leinendächer im Kreise. Die Gallier errichteten sich Bretterbuden, die Libyer Hütten aus Steinhaufen, und die Neger scharrten sich mit ihren Nägeln Gruben in den Sand, darin sie schliefen. Viele, die sich nicht unterzubringen wußten, trieben sich zwischen den Packwagen umher und verbrachten in ihren zerschlissenen Mänteln die Nächte auf dem Erdboden.
Die Ebene dehnte sich im weiten Kreise, rings von Bergzügen begrenzt. Hier und dort neigte sich ein Palmbaum über einen Sandhügel. Fichten und Eichen sprenkelten die Abhänge mit grünen Flecken. Bisweilen hing ein Gewitterregen in langen Fransen vom Himmel herab, der blau und klar über der Landschaft lachte. Dann wirbelte ein warmer Wind Staubwolken auf, und ein Gießbach stürzte in Kaskaden von Sikkas Felsenhöhe herab, auf der sich der Tempel der karthagischen Venus, der Herrin des Landes, mit seinen ehernen Säulen und seinem goldenen Dache erhob. Sie erfüllte die Landschaft mit ihrer Seele. Das Übermaß ihrer Kraft offenbarte sich in den Erschütterungen des Bodens, im jähen Wechsel von Wärme und Kälte, und die Schönheit ihres ewigen Lächelns im Spiele der Beleuchtung. Die Berggipfel hatten die Form von Mondsicheln, oder sie glichen vollen Frauenbrüsten. Die Barbaren verspürten vor dieser Augenweide bei aller Ermüdung vom Marsche wonnevolles Wohlgefühl.
Spendius hatte sich für den Erlös seines Kamels einen Sklaven gekauft. Den ganzen Tag lang schlief er, vor Mathos Zelt ausgestreckt. Oft schreckte er empor. Er wähnte im Traume das Sausen der Peitsche zu hören. Dann strich er lächelnd mit der Hand über die Narben an seinen Beinen, an den Stellen, wo so lange die Eisen gedrückt hatten, und schlief wieder ein.
Matho duldete seine Gesellschaft. Wenn er ausging, begleitete ihn Spendius wie ein Trabant, mit einem langem Schwert an der Seite; oder Matho stützte nachlässig den Arm auf seine Schulter, denn Spendius war klein.
Eines Abends, als sie zusammen durch die Lagergassen gingen, erblickten sie Männer in weißen Mänteln; unter ihnen Naravas, den numidischen Fürsten. Matho erbebte.
»Dein Schwert!« rief er. »Ich will ihn töten!«
»Noch nicht!« bat Spendius und hielt ihn zurück.
Naravas trat bereits an Matho heran.
Er küßte seine beiden Daumen zum Zeichen seiner kameradschaftlichen Gesinnung und entschuldigte seinen neulichen Zorn mit der trunkenen Feststimmung. Sodann sagte er allerhand Feindseliges gegen Karthago, doch verriet er nicht, was ihn eigentlich zu den Barbaren geführt hatte.
»Will er uns verraten oder die Republik?« fragte sich Spendius. Da er aber aus allem Bösen Vorteil zu ziehen gedachte, so war ihm jedwede zukünftige Verräterei des Naravas nur angenehm.
Der numidische Häuptling blieb bei den Söldnern. Er schien sich mit Matho befreunden zu wollen, sandte ihm gemästete Ziegen, Goldstaub und Straußenfedern. Der Libyer, über diese Aufmerksamkeiten erstaunt, schwankte, ob er sie erwidern oder darüber in Zorn geraten sollte. Doch Spendius besänftigte ihn, und Matho ließ sich von dem Sklaven leiten. Er war ein Mensch, der nie wußte, was er wollte, und jetzt zumal in einem Zustande unbezwinglicher Teilnahmlosigkeit wie jemand, der einen Trank genommen hat, an dem er sterben muß.
Eines Morgens, als alle drei zur Löwenjagd aufbrachen, verbarg Naravas einen Dolch in seinem Mantel. Spendius blieb ihm beständig auf den Fersen, und sie kehrten zurück, ohne daß der Numidier seinen Dolch gezückt hatte.
Ein andermal lockte Naravas die beiden weit fort, bis an die Grenzen seines Reiches. Sie kamen in eine enge Schlucht. Da erklärte Naravas lächelnd, er wisse den Weg nicht mehr. Spendius fand ihn wieder.
Meistens jedoch brach Matho, tiefsinnig wie ein Augur, schon bei Sonnenaufgang auf, um in der Gegend umherzustreifen. Er streckte sich auf den Sand hin und blieb bis zum Abend unbeweglich liegen.
Er befragte nacheinander alle Wahrsager des Heeres: die den Lauf der Schlangen beobachteten, die in den Sternen lasen und die auf die Asche der Toten bliesen.
Er nahm Galbanum, Sesel und herzversteinerndes Viperngift ein. Negerweiber, die im Mondschein barbarische Lieder sangen, ritzten ihm die Stirnhaut mit goldnen Dolchen. Er behängte sich mit Halsbändern und Amuletten. Abwechselnd rief er Khamon, Moloch, die sieben Kabiren, Tanit und die Aphrodite der Griechen an. Er grub einen Namen in eine Kupferplatte und verscharrte sie im Sande an der Schwelle seines Zeltes. Spendius hörte ihn seufzen und mit sich selbst reden.
Eines Nachts trat er in sein Zelt.
Matho lag auf einer Löwenhaut hingestreckt, nackt wie ein Leichnam, das Gesicht in beide Hände vergraben. Eine Hängelampe beleuchtete seine Waffen, die ihm zu Häupten am Zeltmaste hingen.
»Hast du Schmerzen?« fragte der Sklave. »Was fehlt dir? Antworte mir!« Dabei schüttelte er ihn an der Schulter und rief immer wieder: »Herr, Herr!« Endlich schaute Matho mit großen verstörten Augen zu ihm auf.
»Weißt du?« flüsterte er, einen Finger auf die Lippen legend. »Es ist die Rache der Götter. Hamilkars Tochter verfolgt mich! Ich fürchte mich vor ihr, Spendius!« Er drückte die Fäuste gegen die Augen, wie ein Kind, dem vor einem Gespenste graust. »Rede mit mir! Ich bin krank! Ich will gesund werden! Alles habe ich versucht! Doch du, du kennst vielleicht mächtigere Götter oder irgend eine Beschwörung, die wirklich hilft.«
»Wogegen?« fragte Spendius.
Matho schlug sich mit beiden Fäusten gegen die Stirn. »Um mich aus Salambos Bann zu erlösen!« Und wie zu sich selber sagte er in abgebrochenen Sätzen:
»Gewiß bin ich das Opfer einer Sühne, die sie den Göttern gelobt hat… . Sie hält mich gefesselt … mit einer unsichtbaren Kette… . Gehe ich, so schreitet sie voran … bleibe ich stehen, so verweilt sie… . Ihre Augen verzehren mich … ich höre ihre Stimme … sie umgibt mich und durchdringt mich… . Mir ist, als ob sie meine Seele geworden sei… . Und doch droht etwas zwischen uns wie die unsichtbaren Fluten eines grenzenlosen Meeres… . Sie ist mir fern und ganz unerreichbar… . Der Schimmer ihrer Schönheit umfließt sie mit Strömen von Licht, und bisweilen ist mir's, als hätt ich sie nie gesehen … als lebte sie nicht … als sei alles nur ein Traum!… "
So durchjammerte Matho die Nacht.
Alles schlief. Spendius betrachtete ihn, und er erinnerte sich an jene Jünglinge, die ihn ehemals mit goldenen Gefäßen in den Händen angefleht hatten, wenn er seine Buhlerinnen durch die Städte geführt hatte. Mitleid ergriff ihn, und er sprach:
»Sei stark, Herr! Wende dich an deinen eigenen Willen und flehe nicht mehr zu den Göttern, denn die Gebete der Menschen rühren sie nicht. Du weinst wie ein Feigling! Demütigt es dich nicht, daß du um ein Weib so leidest?«
»Bin ich ein Kind?« gab Matho zur Antwort. »Glaubst du, daß mich das Gesicht und der Gesang eines Weibes noch rühren? Wir hatten in Drepanum ihrer genug. Sie fegten die Ställe. Ich hab ihrer besessen während des Sturmes auf Städte, unter stürzenden Dächern, und wenn die Geschütze vom Rückschlag noch zitterten!… Doch dieses Weib, dieses Weib!«
Der Sklave unterbrach ihn:
»Wenn sie nicht Hamilkars Tochter wäre… .«
»Nein!« schrie Matho. »Sie hat nichts mit den andern Töchtern der Menschen gemein! Hast du ihre großen Augen unter den großen Brauen gesehen? So leuchten Sonnen unter Triumphbögen. Erinnere dich: als sie erschien, verloren alle Fackeln ihren Glanz. Zwischen den Diamanten ihrer Halskette schimmerten Stellen ihres blanken Busens. Wo sie gegangen, duftete es wie nach dem Weihrauch eines Tempels, und ihrem ganzen Wesen entströmte etwas, süßer als Wein und schrecklicher als der Tod. So schritt sie hin, und dann blieb sie stehen… .«
Offnen Mundes und gesenkten Hauptes stand Matho