Ingénue. Александр Дюма. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Александр Дюма
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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eine offene und zu drei Vierteln leere hornene Tabaksdose; als Schrenzblatt das Tabakstuch von grobem Rouener Zeug mit großen blauen Vierecken.

      Marat hatte seinen Tisch weit vom Fenster in eine Ecke des Zimmers gestellt. Er wollte nicht zerstreut, nicht einmal durch die Sonne erfreut sein; er wollte nicht, daß die zwischen den Spalten der Steine wachsenden Grashalme mit ihm von der Welt sprächen; er wollte nicht, daß die auf seiner Fensterlehne flatternden Vögel mit ihm von Gott sprächen.

      Die Nase auf seinem gelben Papiere, wenn er schrieb, das Auge auf einer alten Tapete, wenn er dachte, genoß er keine andere Zerstreuung bei der Arbeit, als die Arbeit selbst; die ganze Freude des Schriftstellers, der ganze Luxus seines Schaffens waren ihm nicht nur unbekannte, sondern auch gleichgültige Dinge.

      Bei ihm schien das Wasser jedem andern Bedürfnisse als dem des Durstes fremd.

      Marat war einer von jenen cynischen Dichtern, welche die Muse mit schmutzigen Händen um ihre Gunst bitten.

      Bei dem Geräusche, das der sonore Husten von Danton hervorbrachte, als er in das Zimmer von Marat eintrat, wandte sich dieser um, und den erwarteten Gast erkennend, machte er mit der linken Hand ein Zeichen, das für seine rechte Hand um Erlaubniß bat, den angefangenen Satz vollenden zu dürfen.

      Doch dieser Satz war nicht rasch vollendet, wie Danton bemerkte.

      »Wie langsam schreiben Sie!« sagte er; »das ist seltsam bei einem lebhaften, mageren Manne wie Sie. Ich hätte geglaubt, Sie seien ganz Ungeduld, ganz nervös, und ich sehe Sie Ihre Gedanken Buchstaben um Buchstaben an einander reihen, als ob Sie beauftragt wären, für irgend eine Schule ein kalligraphisches Musterblatt zu machen.«

      Doch ohne aus der Fassung zu kommen, führte Marat seine Zeile vollends aus, wobei er sich indessen die Mühe nahm, mit der linken Hand Danton ein zweites Zeichen zu machen; dann, nachdem er geendigt hatte, drehte er sich um und reichte beide Hände seinem neuen Freunde mit einem Lächeln, das den finsteren Rictus seiner schiefen Lippen öffnete.

      »Ja, es ist wahr,« sagte er, »heute schreibe ich langsam.«

      »Wie, heute?«

      »Setzen Sie sich doch!«

      Danton, statt einen Stuhl zu nehmen, wozu man ihn eingeladen, näherte sich dem von Marat, stützte sich auf die Lehne, so daß sein Blick den Schreibtisch und denjenigen, welcher davor saß, umfaßte, und fragte noch einmal:

      »Warum heute? haben Sie Tage der Geschwindigkeit und Tage der Indolenz wie die Boas?«

      Marat ärgerte sich nicht über die Vergleichung; sie hatte nur Schmeichelhaftes: Viper wäre unhöflich gewesen: die Vergleichung verkleinerte Marat; aber Boa! diese Vergleichung vergrößerte.

      »Ja, ich begreife,« erwiederte Marat, »und meine Worte bedürfen der Erklärung. Ich habe verschiedene Manieren, zu schreiben,« fügte er mit einer leichten Geckerei bei; »schreibe ich, was ich heute schreibe, so ist meine Feder langsam; sie gefällt sich darin, die feinen Züge und die fette Schrift zu studieren, die Punkte und die Beistriche liebkosend zu behandeln; sie gefällt sich darin, zugleich das Wort und den Gedanken zu sagen, den Augen die Gefühle des Herzens zu malen.«

      »Was Teufels sagen Sie mir da?« rief Danton ganz erstaunt über diese Sprache; »ist es wirklich Herr Marat in Fleisch und Knochen, der mit mir spricht, oder sollte es nicht der Schatten von Herrn von Voiture oder von Fräulein von Scudéry sein?«

      »Ei! ei!« versetzte Marat, »Collegen!«

      »Ja, aber keine Muster . . .«

      »Was die Muster betrifft, – ich kenne nur eines: das ist der Zögling der Natur, es ist der Schweizer Philosoph, es ist der treffliche, der erhabene, der unsterbliche Verfasser von Julie.«

      »Jean Jacques?«

      »Ja, Jean Jacques . . . Dieser schrieb auch langsam, dieser gab auch seinem Gedanken Zeit, vom Gehirne niederzusteigen, sich in seinem Herzen aufzuhalten und sich sodann auf dem Papiere mit der Tinte seiner Feder zu verbreiten.«

      »Es ist also ein Roman, was Sie schreiben?«

      »Ganz richtig,« sagte Marat, indem er sich in seinem Strohfauteuil zurückwarf und sein tiefes Auge unter seinem matten, gelben, tausendfältig gerunzelten Lide erweiterte, »ein Roman!«

      Und seine Stirne faltete sich wie bei einer schmerzlichen Erinnerung.

      »Vielleicht sogar eine Geschichte,« fügte er bei.

      »Ein Sittenroman? ein historischer Roman?« fragte Danton; »ein . . .«

      »Ein Liebesroman.«

      »Ein Liebesroman?«

      »Ja wohl; warum nicht?«

      Bei diesem warum nicht konnte der Riese seinen Ernst nicht behaupten: er schmetterte gleichsam mit einem unverschämten Blicke den schmierigen, ungestalteten Pygmäen nieder, klatschte in seine breiten Hände und ließ seiner Heiterkeit freien Lauf.

      Doch wider alles Erwarten ärgerte sich Marat nicht; er schien sogar nicht einmal das unschickliche Gelächter von Danton zu bemerken; sein Auge senkte sich im Gegentheile auf das Manuscript und tauchte sich gerührt und träumerisch darein. Dann, nachdem er mit leiser Stimme ein paar lange Sätze gelesen, stieg sein Blick wieder zu Danton empor, der nicht mehr lachte.

      »Verzeihen Sie, wenn ich lache,« sagte dieser; »doch Sie begreifen, ich finde einen Romanendichter, und zwar einen sentimentalen Romanendichter, wie es scheint, da, wo ich einen Gelehrten suchte; ich glaubte, ich habe es mit einem Physiker, mit einem Chemiker, mit einem Experimentenmacher zu thun, und ich finde einen Seladon, einen Amadis, einen Percerose.«

      Marat lächelte, antwortete aber nicht.

      »Man hat mir von einigen Büchern von Ihnen gesagt,« fuhr Danton fort; »ja, Guillotin sprach davon; obgleich er behauptet, Sie täuschen sich, schätzt er sie sehr, selbst mit ihren Irrthümern; doch das sind wissenschaftliche Werke, philosophische Werke und nicht Werke der Einbildungskraft.«

      »Ach!« erwiederte Marat, »oft ist beim Schriftsteller die Einbildungskraft nur Gedächtniß, und derjenige scheint zu componiren, welcher nur erzählt.«

      Danton, obwohl scheinbar ziemlich oberflächlich, war nicht der Mann, um einen tiefen Gedanken fallen zu lassen. Es dünkte ihm gut, das, was Marat gesagt hatte, zu ergründen, und er schickte sich an, den ganzen geheimnißvollen Sinn daraus zu ziehen, der darin verborgen sein konnte, als Marat rasch von seinem Stuhle aufstand, seinen ungeordneten Anzug ein wenig zurecht richtete, und zu ihm sagte:

      »Lassen Sie uns frühstücken; wollen Sie?«

      Und er ging in den Corridor, um die Köchin zu benachrichten, es sei Zeit, aufzutragen.

      Danton, als er allein war, senkte rasch die Augen auf das Manuscript; es war betitelt: Abenteuer des jungen Grafen Potocky; der Held hieß Gustav und die Heldin Lucilie.

      Sodann, da er diese Indiscretion begehend überrascht zu werden befürchtete, kehrte sein Blick vom Manuscripte zum Uebrigen des Cabinets zurück.

      Eine abscheuliche grau und rothe Tapete, Karten an der Wand, Zitzvorhänge an den Fenstern, zwei Vasen von blauem Glase auf dem Kamine, eine wurmstichige Truhe von altem Eichenholz, dies war das Ameublement des Cabinets von Marat.

      Die schöne Sonne des Frühlings, die heiße Sonne des Sommers brachten diesem Zimmer nichts Lebendiges oder Heiteres. Man hätte glauben sollen, sie möge nicht hier eintreten, sicher, sie werde weder eine Pflanze finden, um sie aufgehen zu machen, noch eine geglättete Oberfläche, um sie glänzen zu machen.

      Als Danton sein Inventar vollendete, trat Marat wieder ein.

      Er trug ein Ende des völlig servirten Tisches, die Köchin trug das andere Ende.

      Man stellte diesen Tisch mitten ins Cabinet; die Köchin rückte den Strohstuhl von Marat daran und ging wieder hinaus, ohne sich um den Fremden zu bekümmern.

      Danton hoffte, sein Freund werde die Frage der Entschuldigungen nicht in Angriff nehmen: er täuschte sich.

      »Ah!« sagte Marat, »ich gebe nicht zweitausend