Soll und Haben. Gustav Freytag. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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auf der Stumpfnase Schluß zu gewinnen. Veitel bemerkte, daß dieser Mann mit der Brille einen ungewöhnlich schlechten Rock anhatte und zuweilen aus einer Zinndose schnupfte, wobei er jedesmal den Händler mit einem eigentümlichen Schielblick ansah, mit einer Art von inquisitorischem Blinzeln, welches seinem Gesicht einen gutmütigen Ausdruck geben sollte, dies aber nicht tat. Offenbar war der Mann ein Schriftgelehrter, und Veitel beschloß abzuwarten, ob er an ihn kommen könne. Endlich war die Verhandlung geschlossen, der Händler empfing ein Papier und legte dafür ein Geldstück, vor Veitels Adleraugen ein Achtgroschenstück, auf den Tisch, welches von dem Herrn mit der Brille nachlässig in die Tasche des Beinkleides versenkt wurde. Der Händler entfernte sich, der Fremde blieb, wie es schien, in gemütlicher Stimmung sitzen und goß sich aus einer kleinen Flasche Branntwein den letzten Rest in das Glas. Veitel trat auf ihn zu, der kleine Herr blickte mißtrauisch auf, aber als er die verbindliche Stellung Veitels sah, fuhr ein vertrauliches Lächeln über sein rotes Gesicht, und eine scharfe Stimme sprach: »Nur näher, mein junger Freund, Sie wollen mich konsultieren, ich stehe zu Diensten.«

      Veitel begann zögernd: »Wenn der Herr bekannt ist am Orte, so wollte ich ihn wohl ersuchen um etwas.«

      »Immer heraus, mein Sohn«, ermunterte der andere, indem er sein Glas austrank und Veitel mit seinem gutmütigen Blick ansah.

      »Ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht jemand wüßten, der gegen eine billige Vergütung einem Manne von meiner Bekanntschaft Unterricht geben würde im Schreiben und in den Aufsätzen, wie man sie braucht zum Geschäft.«

      »So?« fragte der schäbige Herr. »Wie man sie braucht zum Geschäft? – Und dieser Mann von Ihrer Bekanntschaft sind Sie selbst, mein Sohn?«

      »Was soll ich daraus machen ein Geheimnis?« antwortete Veitel aufrichtig. »Ja, ich bin es selbst; aber ich bin noch ein Anfänger und bin nicht imstande, mehr zu geben als wenig.«

      »Wer wenig gibt, erhält wenig, mein Lieber – wie war doch der Name?« fragte der Alte gleichgültig dazwischen und drehte die Dose.

      »Veitel Itzig heiße ich.«

      »Also, lieber Itzig«, fuhr der Alte fort, »guter Unterricht kostet gutes Geld. Und was treiben Sie für ein Geschäft?« forschte er mit väterlicher Miene weiter.

      »Ich bin im Kontor bei Hirsch Ehrenthal«, erklärte Veitel mit Selbstgefühl.

      Der Fremde wurde aufmerksam. »Herr Ehrenthal ist ein reicher Mann, ein kluger Mann, ich habe seinerzeit viel mit ihm zu tun gehabt, er hat eine schöne Gesetzkenntnis. Wenn Sie den Geschäftsstil erlernen wollen und bei Herrn Ehrenthal sind«, fuhr er überlegend fort, »vielleicht kann da Rat werden. Welches Honorar würden Sie zahlen, wenn sich jemand fände?«

      Veitel fand es gewissenlos, etwas zu bieten, er bemerkte zurückhaltend: »Ich weiß doch noch nicht, was er fordern wird für solchen Unterricht.« –

      »So will ich’s Euch geradeheraus sagen«, erklärte der Herr mit der Brille. »Ich selbst könnte Euch vielleicht den Unterricht geben, vielleicht auch nicht; man gibt solche Anweisung nicht jedem, ich müßte mich erst näher nach Euch erkundigen. Wenn ich Euch aber den Gefallen tue, so will ich Euch den Unterricht erteilen in Erwägung, daß Ihr ein Anfänger seid, in Erwägung, daß Ihr arm seid, und in Erwägung, daß ich jetzt gerade einige freie Zeit habe und aufgelegt bin, mehr Theorie als Praxis zu treiben, wenn Ihr mir fünfzig Taler zahlt; fünfundzwanzig Taler vor der ersten Lektion und fünfundzwanzig Taler in einem Schuldschein, den ich selbst Euch schreiben werde, binnen vier Wochen.«

      »Fünfzig Taler!« rief Veitel entsetzt und sank wie vom Schlag gerührt auf einen Schemel. »Fünfzig Taler!« wiederholten mechanisch seine Lippen, als das Räderwerk seines Geistes bereits ins Stocken geraten war.

      »Ist Euch das zuviel?« fragte der Herr mit der Brille in scharfem Ton. »So laßt Euch sagen, junger Itzig: erstens, daß ich mit keinem Gelbschnabel handle, zweitens, daß ich meine Hilfe andern noch nie so billig gegönnt habe, und drittens, daß ich mich den Teufel mit Euch befassen würde, wenn ich nicht große Lust hätte, einige Wochen in dieser Stube zu verweilen.«

      »Fünfzig Talerstücke«, rief Itzig außer sich. »Ich habe geglaubt, es würde nicht kosten mehr als zwei, drei Taler, wenn ich noch vielleicht wollte zugeben eine Weste und ein Paar gute Stiefeln.« Der alte Herr fuhr heftig nach seiner Brille. – »Und einen Hut, der noch ist wie neu«, fügte Veitel schnell hinzu, weil er einen Sturm herannahen sah und bemerkt hatte, daß der Hut auf dem Tische sehr schadhaft war.

      »Scher dich zum Henker, du Dummkopf«, fuhr ihn der Alte mit einer Überlegenheit an, welche Veitel nur von jungen Herren mit großen dänischen Doggen zu ertragen gewohnt war. »Suche dir einen Schulmeister bei der Armenschule.«

      »So ist der Herr kein Schreiber?« fragte Itzig gedrückt, aber beharrlich.

      »Nein, du Narr«, brummte der Alte. »Wie konnte ich denken, daß der Ehrenthal in seinem Geschäft einen solchen Strohkopf hat«, fügte er in lautem Monologe hinzu. »Er hält mich für einen Schreiblehrer.«

      »Was sind Sie denn sonst?« fragte Itzig gekränkt.

      »Etwas, das dich nichts angeht«, sprach der fremde Herr entschieden, stand mit einem durchbohrenden Blick auf den armen Veitel von seinem Platz auf und begab sich auf den Söller des Hauses. Dort drückte er sich in eine Ecke, wo er aussah wie ein Kleiderbündel, zog ein Aktenstück aus der großen Rocktasche und las eifrig darin.

      Veitel stand noch einen Augenblick verdutzt in dem einsamen Zimmer und faßte endlich den Entschluß, sich bei Pinkus Auskunft über den fremden Mann zu holen. Er trat unter einem Vorwande in den Branntweinladen und fragte den Wirt mit möglichster Unbefangenheit nach Namen und Geschäft des kleinen Herrn.

      »Ihr kennt ihn nicht?« sprach Pinkus mit ironischem Lächeln, von dem Veitel nicht recht wußte, ob es ihm oder dem Fremden galt. »Nehmt Euch in acht, daß Ihr diesen Mann nicht mit Schaden kennenlernt. Nach dem Namen fragt ihn selbst, er wird ihn besser wissen als ich.«

      »Wenn Sie mir auch kein Vertrauen schenken, so will ich es doch haben zu Ihnen«, antwortete Veitel und erzählte ihm seine Unterredung mit dem Fremden.

      »Also er hat Euch Unterricht geben wollen?« fragte Pinkus erstaunt und schüttelte seinen dicken Kopf. »Fünfzig Taler sind viel Geld, aber mancher reiche Mann würde geben hundertmal soviel, wenn er wüßte, was der weiß, das will ich Euch sagen. Übrigens geht’s mich nichts an, ob Ihr etwas lernt und bei wem«, schloß Pinkus grob und ging zu seinen Likörflaschen.

      Veitel ging noch verwirrter hinauf, als er heruntergekommen war, und setzte sich wieder grübelnd in seine Ecke, indem er nachdachte, wie man für eine so gewöhnliche Sache, als der Geschäftsstil ist, so ungewöhnliches Geld fordern könne. Unterdes war der Wirt heraufgekommen, hatte das Licht auf den Tisch gesetzt und eine einfache Abendkost für den Fremden mitgebracht. Ganz gegen seine Natur war er diesem gegenüber von großer Leutseligkeit, ließ sich von ihm auf den Altan führen und hatte dort im Finstern eine kurze Unterredung, deren Gegenstand, wie Veitel merkte, seine Person war.

      Als Pinkus mit dem Fremden wieder in die Stube trat, sagte er zu Veitel: »Dieser Herr wird einige Wochen hier wohnen und will nicht, daß man darüber spricht. Ihr werdet gegen niemanden sagen, daß er hier ist, wer Euch auch deswegen ausfragen mag.«

      »Weiß ich doch gar nicht, wer der Herr ist«, sprach Veitel, »wie kann ich jemandem sagen, daß er hier wohnt?«

      »Sie können sich auf den jungen Menschen verlassen«, bemerkte Pinkus gegen den Fremden, worauf dieser gleichgültig mit dem Kopfe nickte. Der Wirt ließ diesmal das Licht brennend in der Stube zurück und schied mit einem Nachtgruß. Der Herr setzte sich behaglich nieder, aß mit unangenehmem Schmatzen die Abendkost und sah dabei von Zeit zu Zeit auf Veitel, ungefähr wie ein alter Rabe auf das gelbe Küchlein sieht, welches sich mit dem Leichtsinn der Jugend in seine Nähe gewagt hat.

      Während der Alte zwinkernd auf seine Beute sah, fuhr dem jungen Itzig plötzlich der Gedanke durch den Kopf: diese geheimnisvolle Person mit den ungeheuren Forderungen ist vielleicht einer von den Auserwählten, ein Besitzer der Rezepte, durch welche ein armer Handelsmann unfehlbar Glück, Gold und alle Güter der Erde erwerben kann. Ihm wurde