Soll und Haben. Gustav Freytag. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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seinen Hut und stürzte mit dem Briefe des Herrn Jordan hinaus.

      Draußen rieselte kalter Regen herunter, Anton merkte es nicht. Er fühlte sich vernichtet, gehöhnt von einem Stärkeren, tödlich gekränkt in seinem jungen, harmlosen Selbstgefühl. Sein ganzes Leben schien ihm zerstört, er kam sich hilflos vor auf seinen Wegen, allein in einer fremden Welt. Gegen Fink empfand er etwas, was halb glühender Haß war und halb Bewunderung; der freche Mensch erschien ihm auch nach dieser Beleidigung so sicher und überlegen. Es wurde ihm schwer ums Herz, und seine Augen füllten sich mit Tränen. So kam er an das Haus, wo er seinen Auftrag auszurichten hatte. Vor der Tür hielt der Wagen seines Prinzipals, er huschte mit niedergeschlagenen Augen vorbei und hatte kaum Fassung genug, in dem fremden Kontor sein Unglück zu verbergen. Als er wieder herauskam, traf er an der Haustür mit der Schwester seines Prinzipals zusammen, welche im Begriff war, in den Wagen zu steigen. Er grüßte und wollte neben ihr vorbeistürzen; Sabine blieb stehen und sah ihn an. Der Bediente war nicht zur Stelle, der Kutscher sprach vom Bock nach der anderen Seite hinab laut mit einem Bekannten. Anton trat herzu, rief den Kutscher an, öffnete den Schlag und hob das Fräulein in den Wagen. Sabine hielt den Schlag zurück, den er zuwerfen wollte, und blickte ihm fragend in das verstörte Gesicht. »Was fehlt Ihnen, Herr Wohlfart?« fragte sie leise.

      »Es wird vorübergehen«, erwiderte Anton mit zuckender Lippe und einer Verbeugung und schloß die Wagentür. Sabine sah ihn noch einen Augenblick schweigend an, dann neigte sie sich gegen ihn und zog sich zurück, der Wagen fuhr davon.

      So unbedeutend der Vorfall war, er gab doch den Gedanken Antons eine andere Richtung. Sabinens Frage und ihr Gruß waren in diesem Augenblick eine Beschwörung seiner Mutlosigkeit. In ihrer dankenden Verbeugung lag Achtung und ein menschlicher Anteil in ihren Worten. Die Frage, der Gruß, der kleine Ritterdienst, den er der jungen Herrin des Hauses geleistet hatte, erinnerten ihn, daß er kein Kind sei, nicht hilflos, nicht schwach und nicht allein. Ja auch in seiner bescheidenen Stellung genoß er die Achtung anderer, und er hatte ein Recht darauf, und er hatte die Pflicht, sich diese Achtung zu bewahren. Er erhob sein Haupt, und sein Entschluß stand fest, lieber das Äußerste zu tun als den Schimpf zu ertragen. Er hielt die Hand in die Höhe wie zum Schwur.

      Als er in das Kontor zurückkam, richtete er mit entschiedenem Wesen seine Besorgung aus, ging schweigend und unbekümmert um die neugierigen Blicke der Herren an seinen Platz und arbeitete weiter.

      Nach dem Schluß des Kontors eilte er auf Jordans Zimmer. Er fand bereits die Herren Pix und Specht daselbst vor, in dem gemütlichen Eifer, welchen jede solche Szene bei Unbeteiligten zu erzeugen pflegt. Die drei Herren sahen ihn zweifelhaft an, wie man einen armen Teufel ansieht, der vom Schicksal mit Fäusten geschlagen ist, etwas verlegen, etwas mitleidig, ein wenig verächtlich. Anton sagte mit einer Haltung, die in Betracht seiner geringen Erfahrung in Ehrensachen anerkennenswert war: »Ich bin von Herrn von Fink beleidigt worden und habe die Absicht, mir diese Beleidigung nicht gefallen zu lassen. Sie beide, Herr Jordan und Herr Pix, sind im Geschäft meine Vorgesetzten, und ich habe große Achtung vor Ihrer Erfahrung. Von Ihnen wünsche ich vor allem zu wissen, ob Sie in dem Streite selbst mir vollkommen recht geben.«

      Herr Jordan schwieg vorsichtig, aber Herr Pix zündete entschlossen eine Zigarre an, setzte sich auf den Holzkorb am Ofen und erklärte: »Sie sind ein guter Kerl, Wohlfart, und Fink hat unrecht, das ist meine Meinung.«

      »Meine Meinung ist es auch«, stimmte Herr Specht bei.

      »Es ist gut, daß Sie sich an uns gewendet haben«, sagte Herr Jordan, »ich hoffe, der Streit wird sich beilegen lassen; Fink ist oft rauh und kurz angebunden, aber er ist nicht maliziös.«

      »Ich sehe nicht ein, wie die Beleidigung ausgeglichen werden kann, wenn ich nicht die nötigen Schritte tue«, rief Anton finster.

      »Sie wollen den Streit doch nicht vor den Prinzipal bringen?« fragte Herr Jordan mißbilligend. »Das würde allen Herren unangenehm sein.«

      »Mir am meisten«, erwiderte Anton. »Ich weiß, was ich zu tun habe, und wünsche nur vorher noch von Ihnen die Erklärung, daß Fink mich unwürdig behandelt hat.«

      »Er ist Volontär«, sagte Herr Jordan, »und hat kein Recht, Ihnen Aufträge zu geben, am wenigsten in seinen Privatgeschäften mit Hasen und Rebhühnern.«

      »Das genügt mir« , sagte Anton. »Und jetzt bitte ich Sie, Herr Jordan, mich einen Augenblick unter vier Augen anzuhören.« Er sagte das mit so viel Ernst, daß Herr Jordan stillschweigend die Tür seiner Schlafkammer aufmachte und mit ihm eintrat. Hier ergriff Anton die Hand des Prokuristen, drückte sie kräftig und sprach: »Ich bitte Sie um einen großen Dienst, gehen Sie hinab zu Herrn von Fink und fordern Sie von ihm, daß er mir morgen, in Gegenwart der Herren vom Kontor, das abbittet, was er von beschimpfenden Ausdrücken gegen mich gebraucht hat.«

      »Das wird er schwerlich tun«, sagte Herr Jordan kopfschüttelnd.

      »Wenn er es nicht tut«, sagte Anton heftig, »so fordern Sie ihn von mir auf Degen oder Pistolen.«

      Wenn vor Herrn Jordan plötzlich aus seiner Tintenflasche ein schwarzer Rauch gestiegen wäre, wenn dieser Rauch sich zu einem fürchterlichen Geiste zusammengeballt hätte wie in jenem alten Märchen, und wenn dieser Geist die Absicht ausgesprochen hätte, Herrn Jordan zu erdrosseln, so hätte dieser Herr nicht bestürzter dastehen können, als er jetzt unserm Helden gegenüberstand. »Sie wollen sich mit Herrn von Fink duellieren, er ist ein toller Pistolenschütz, und Sie sind Lehrling und erst seit einem halben Jahr im Geschäft, das ist ja unmöglich!«

      »Ich bin Primaner gewesen und habe mein Abiturientenexamen gemacht und wäre jetzt Student, wenn ich nicht vorgezogen hätte, Kaufmann zu werden! – Verwünscht sei das Geschäft, wenn es mich so erniedrigt, daß ich meinen Feind nicht mehr fordern darf. Ich gehe dann noch heut zu Herrn Schröter und erkläre ihm meinen Austritt«, rief Anton mit flammenden Augen.

      Herr Jordan sah mit größtem Erstaunen auf seinen gutmütigen Schüler, der auf einmal als ein phantastischer Riese vor ihm umherflackerte. »Seien Sie nur nicht so heftig, lieber Wohlfart«, bat er begütigend, »ich werde zu Fink hinuntergehen, vielleicht läßt sich alles im guten ausgleichen.«

      »Ich verlange Abbitte vor dem Kontor«, rief Anton wieder, »Abbitte oder Satisfaktion.«

      Es war wohltuend, unterdes die beiden Herren in der Nebenstube zu beobachten. Pix hatte als kluger Feldherr mit einem Ruck seinen Holzkorb in die Nähe der Kammertür geschoben und saß scheinbar gleichgültig da, nur mit seiner Zigarre beschäftigt, während Herr Specht sich nicht enthalten konnte, das Ohr an die Tür zu legen. »Sie schießen sich«, flüsterte Herr Specht, entzückt über die großen Empfindungen, welche dieser Streit hervorzurufen versprach. »Passen Sie auf, Pix, es wird ein furchtbares Unglück; wir alle müssen zum Begräbnis gehen, keiner darf fehlen. Ich wirke die Erlaubnis aus, daß wir Junggesellen die Leiche tragen dürfen.«

      »Wessen Leiche?« fragte Herr Pix verwundert.

      »Wohlfart muß dran glauben«, rief Herr Specht wieder in dumpfem Flüsterton.

      »Unsinn«, sagte Pix, »Sie sind ein Narr!«

      »Ich bin kein Narr, und ich verbitte mir alle Anzüglichkeiten«, rief Herr Specht wieder flüsternd und nach dem Beispiel Antons entschlossen, sich nichts gefallen zu lassen.

      »Schreien Sie mir nicht so ins Ohr«, sagte Herr Pix unbewegt, »man kann nichts verstehen.« In dem Augenblick öffnete sich die Tür, Herr Specht sprang an ein Fenster und starrte angelegentlich in die finstere Regennacht, während Pix unserm Anton die Hand schüttelte und ihm erklärte, er sei ein tüchtiger Mann und das Provinzialgeschäft sei ganz auf seiner Seite. – Herr Jordan ging zu Fink hinab und kam bald wieder herauf; Herr von Fink war nicht zu Hause. Wahrscheinlich saß der Jockei ahnungslos in irgendeiner Weinstube. Anton sagte darauf: »Ich lasse die Sache nicht bis morgen ruhen, ich werde ihm schreiben und den Brief durch den Bedienten auf seinen Tisch legen lassen.«

      »Tun Sie das nicht«, bat Herr Jordan, »Sie sind jetzt zu zornig.«

      »Ich bin sehr ruhig«, erwiderte Anton mit heißen Wangen, »ich werde ihm nur das Nötige schreiben. Sie, meine Herren, bitte ich, daß Sie über alles, was Sie hier gehört haben, gegen die andern schweigen.«

      Das