Emeline musste ihren Drang zurückhalten, sie für ihre Dummheit anzuschreien. Cora musste das gesehen haben, denn sie legte eine Hand auf Emelines Arm.
“Das wird schon gut werden”, flüsterte sie. „Sie werden es vielleicht einsehen.“
„Was du „einsehen“ nennst“, keifte Asha von der anderen Seite des Steinkreises, „nenne ich Verrat an unseren Leuten. Wir sind hier sicher und nicht in deiner Welt.“
Emeline warf ihr einen wütenden Blick zu. Asha konnte Coras Flüstern nicht gehört haben, was hieß, dass sie Coras Gedanken gelesen hatten. Das war mehr als gemein; es war gefährlich, besonders, da Asha diejenige war, die Emeline beigebracht hatte, Erinnerungen bei jemandem zu löschen.
„Die Menschen sind frei, zu kommen und zu gehen, wenn sie möchten“, sagte Vincente. „Wenn Sophia wirklich ein Königreich aufbaut, wo unsere Kinder frei sind, dann werden die Menschen schon von alleine kommen und nicht auf Antrag ihrer Boten.
“Und wie wird es bis dahin aussehen?“, antwortete Emeline. „Wie wird es aussehen, wenn all diejenigen mit Talenten versteckt werden, als wenn man sich wegen ihnen schämen würde? Wird es so aussehen, dass wir keine Bedrohung sind oder wird es den Menschen Raum geben zu behaupten, dass wir ein Geheimnis planen? Damit die alten Gerüchte wieder aufkommen?“
Der schwerste Teil an der Menge um sie herum war, dass es unmöglich für Emeline war abzuschätzen, was für eine Wirkung ihre Worte hatten. Bei einer anderen Menge hätte sie einfach nach ihren Gedanken greifen oder zumindest zuhören können, wie sie sich untereinander unterhielten. Hier waren die Gespräche stille Gedanken die vor und zurückflogen gut genug dirigiert, sodass sie kein Teil davon war.
“Vielleicht hast du recht”, sagte Vincente.
„Haben sie nicht“, sagte Asha. „Sie sind diejenigen, die uns weniger sicher gemacht haben, indem sie es geschafft haben, dass die Menschen wissen, wo wir sind.“
„Wir haben es niemandem gesagt“, sagte Cora.
Asha schnaubte. „Als wenn sie es nicht aus deinem Kopf entnehmen konnten. Wenn du nicht von der Königin geschickt worden wärest, dann hätte ich jeden Gedanken den du hast genommen.“
„Nein“, sagte Aidan und legte eine beschützende Hand auf Coras Schulter. „Das wirst du nicht.“
Vincente stand auf, seine volle Größe war mehr als beeindruckend, um die Dinge zu beruhigen. „Das ist genug Streit. Asha, die neue Abwehr wird mehr als genug sein, um uns zu beschützen, sogar dann, wenn Menschen uns finden. Was den Rest angeht … schlage ich eine Vision vor.“
„Eine Vision“, fragte Emeline.
Vincente machte eine Geste, welche die Menge um sie herum mit einbezog. „Wir haben unsere Gedanken zusammengelegt und wir werden sehen, was für ein Ergebnis aus jeder Handlung kommt. Es ist nicht perfekt, aber es wird uns helfen uns zu entscheiden, was wir tun müssen.“
Der Gedanke, die Gedanken von vielen Menschen zusammenzulegen, war besorgniserregend, aber wenn es ihr eine Gelegenheit gab, sie zu überreden, dann würde Emeline sich nicht zurückhalten.
„Okay“, sagte sie. „Wie machen wir das?“
Einfach die Gedanken mit den anderen verbinden, sagte Vincente. Sie warten.
Emeline nutzte ihre Talente und jetzt konnte sie die Gedanken derjenigen im Kreis um sie herum fühlen, die auf sie warteten. Sie waren jetzt offen auf eine Art wie noch nie zuvor. Sie nahm einen Atemzug und tauchte in die Gedanken ein.
Sie war sie selbst und nicht sie selbst, beides, ein individueller Gedankenstrudel und die größere Wolke von ihnen, die sie zusammentrieb. Mit so vielen Menschen an einem Ort gab es Macht, die größer war, als eine Person jemals besitzen könnte. Die Macht geriet in den Fokus und Emeline spürte, wie Vincentes Hand sie mit dem beherrschte, was sie für eine Fähigkeit hielt, die aus langer Übung stammte.
Konzentriert euch auf die Zukunft schickte er. Darauf was passiert, wenn –
Er kam nicht weiter, denn in dem Moment überkam ihm eine Vision mit der Kraft eines Waldbrandes.
In der Vision gab es Feuer. Es flackerte über die Dächer von Ashton, zerstörte es. Soldaten in Ockerfarbenden Uniformen liefen durch die Straßen und töteten dabei. Emeline hörte Frauen im Inneren der Häuser schreien, sah Männer, die getötet wurden, als sie auf den Straßen versuchten zu fliehen. Die Vision schien durch die Straßen zu schweben und gab ihnen kaum genug Zeit, um das Gemetzel aufzunehmen, als sie zum Palast gingen.
Um sie herum ließ die Zerstörung von Ashton Emeline beim Sehen stöhnen. Die Schlachterei war schrecklich, aber merkwürdigerweise, war der Verlust der Orte, an denen sie aufgewachsen war, schon fast genauso schlimm. Sie sah die Kähne, die auf dem Fluss brannten und dachte an den, auf dem sie versucht hatte, aus der Stadt zu fliehen. Es brach ihr fast das Herz den Marktplatz mit Leichen übersät zu sehen, anstatt mit Marktständen.
Sie erreichten den Palast und der Krähenmeister wartete. Es war kein Irrtum dabei, in seinem altmodischen langen Mantel und mit den Vögeln, die ihn umkreisten. Sogar in diesem Bild ließ sein Anblick Emeline schaudern, aber sie konnte nicht wegschauen. Sie beobachtete, wie er durch den Palast marschierte, wie er so leicht tötete, dass es schon fast belanglos für ihn schien.
Das Bild veränderte sich und er stand auf einem Balkon, ein Baby in seinen Armen. Instinktiv wusste Emeline, dass es Sophias Kind war. Es gab einen Schein an ihr, der sie an Sophias Gedanken erinnerte und Emeline wollte nach dem Kind greifen, um es zu schützen.
Es gab nichts, was sie hier tun konnte, außer dem Krähenmeister zusehen, wie er das Baby hielt, wie er sie über seinem Kopf hielt. Während die Krähen nach unten zum Fressen kamen…
Emeline keuchte, als sie wieder in ihren Körper zurückkam, ihr Herz raste. Im Kreis konnte sie die anderen sehen die hoch schauten, verblüfft oder erschrocken. Sie wusste, dass sie alle dieselben Dinge gesehen hatten, die sie gesehen hatte. Da war der Sinn.
„Wir müssen ihnen helfen“, sagte Emeline, sobald sie wieder genug Atem hatte.
„Was?“, fragte Cora. „Was ist los?“
“Der Krähenmeister wird Ashton abbrennen”, sagte Emeline. „Er wird Sophias Kind töten. Wir haben es in einer Vision gesehen.“
Sofort bekam Cora einen entschlossenen Ausdruck. „Dann müssen wir ihn aufhalten.“ Emeline sah, wie sie sich im Kreis umschaute. „Wir müssen ihn aufhalten.“
“Du willst, dass noch mehr Menschen für dich sterben?”, fragte Asha von der anderen Seite des Kreises. „Ist nicht schon genug kaputt gegangen, nur damit deine Freundin den Thron bekommt?“
„Ich habe von diesem Mann gehört“, sagte Vincente. „Gegen ihn anzugehen wäre gefährlich. Das ist eine zu große Bitte.“
„Es ist zu viel zu fragen, dass ihr dabei helft, ein Kind zu retten?“, frage Emeline und hörte ihre Stimme sich erheben.
„Nicht unser Kind“, sagte Asha.
Um sie herum summte der Kreis mit Gedanken. Das machte Emeline noch wütender, weil es sie daran erinnerte, wie viel Kraft in Stonehome lag.
„Nicht deins?“, entgegnete Emeline. “Sie wird die Thronerbin sein. Wenn ihr wollt, dass das euer Königreich wird, anstatt ein Ort, wo ihr euch verstecken müsst, dann ist sie genauso eure Verantwortung wie die von allen anderen.“
Vincente schüttelte seinen Kopf. “Was würden wir tun müssen? Wir können