Über Felsstufen und gewundene Wege stieg Haymo den Hang des Hügels empor, auf dessen Kuppe das Kloster stand; das ganze Gehänge, einst mit Felsklötzen besät und von wirrem Gestrüpp überwuchert, war in einen freundlichen Garten verwandelt, mit zahlreichen Blumenbeeten, Baumgruppen und säuberlich gehaltenen Pfaden. Wohl war der Garten um diese frühe Jahreszeit noch arm an Grün und Blüten. Aber was mußte das im Sommer für eine Pracht und Freude sein! Frater Severin, der Gärtner, verstand seine Kunst; das mußte auch der Neid bekennen.
Auf schwankendem Steg überschritt Haymo den tiefen Hirschgraben, in dem ein Rudel Hochwild friedlich äste. Die Tiere sahen elend und verkümmert aus; ein Hirsch, auf dessen Haupt schon das neue Geweih zu sprossen begann, war bis zum Rande des Grabens emporgestiegen und drückte die Stirn gegen das hölzerne Gitter; er sah durch die Lücken der Stäbe in der Ferne den freien Bergwald blauen; Haymo wandte sich ab, bewegt von Erbarmen; es dünkte ihn ein hartes Unrecht, solch ein edles Tier gefangen zu halten in traurigem Kerker, nur zu müßiger Augenweide.
Als der Jäger an der Klosterpforte den Hammer rührte, sagte ihm der Pförtner, daß Haymo nach der Messe in der Amtsstube des Klostervogtes sich einzufinden hätte; doch sollte er neben Dienst und Pflicht auch seines irdischen Leibes gedenken und den Umweg über die Küche nicht scheuen. „Freu dich, Junge, heut ist großer Fasttag!“ flüsterte der Pförtner und schmunzelte.
Haymo gab die Armbrust und den Bergstock in Verwahrung und schritt über den weiten Klosterhof dem Münster zu, durch dessen offenes Tor der Weihrauch duftete und die brennenden Kerzen flimmerten. Stehend, die Kappe zwischen den verschlungenen Händen, hörte er die Messe. Im Beichtstuhl hatte er ein schweres Viertelstündchen; er besann und besann sich, aber es fiel ihm keine Sünde ein, die er begangen hätte. Das ganze Jahr hindurch mit sich allein auf den Bergen und im Wald, nichts anderes im Herzen als die stille Freude an der schönen Gotteswelt, nichts anderes im Sinn als die Jägersorgen, die der Morgen weckte und der Schlaf vergessen machte, wie soll man da zu einer Sünde kommen? Kein Gebet, kein Glaube macht die Menschen frömmer als die Einsamkeit des rauschenden Waldes, als die freie Himmelsnähe auf den Gipfeln der Berge. Aber sündigen muß doch der Mensch! Wozu wäre sonst die Beichte da? Haymo sann und sann. Der Pater im Beichtstuhl wurde ungeduldig. Und Haymo, dem der Angstschweiß auf die Stirne trat, stotterte: „Hochwürdiger Vater, ich bitt Euch, habt nur ein Weilchen Geduld, es wird mir gewiß noch eine Sünd einfallen!“ Und richtig – der heiße Zorn, der ihm über die Lippen fuhr, so oft er droben in seinem Revier die verdächtige Spur eines Menschen fand – das war doch Sünde! Und der Wunsch, daß er Flügel haben möchte, um die entflohenen Raubschützen verfolgen und fassen zu können? Wieder eine Sünde! Denn dieser Wunsch war so viel wie ein versteckter Zweifel an der Weisheit Gottes, der die Menschen nun einmal ohne Flügel erschaffen hatte. Haymo atmete erleichtert auf; der Anfang war gemacht, und da ging es prächtig weiter, so daß er schließlich ein ganz gewichtiges Päckl Sünden zusammenbrachte. Der Pater lächelte, als er diesem schwer beladenen Beichtkind die Absolution erteilte; Haymo aber war völlig zerknirscht und hielt die kleine Buße, die er zu beten bekam, für unverdiente Milde. In tiefer Andacht genoß er den Leib des Herrn und verließ die Kirche.
Der Pförtner, der ihm das Tor des Stiftes öffnete, zwinkerte ihm freundlich zu und sagte: „Geh nur! In der Küch wissen sie schon, daß du kommst!“
Haymos eisenbeschlagene Schuhe klapperten auf den Steinfliesen des langen Korridors, den er zu durchschreiten hatte. Durch die hohen Bogenfenster fiel das goldene Sonnenlicht und machte die Farben der frommen Bildnisse leuchten, mit denen die weißen Wände geziert waren. Aus einer Türe hörte er summende Stimmen, dazu ein lautes Klappern und Klirren. Er öffnete und betrat die Klosterküche. Feuchte Hitze umfing ihn, und angenehme Düfte quollen ihm entgegen. Ein großmächtiger Raum mit sechs hohen und breiten Fenstern; die Wände schneeweiß getüncht, der Boden mit roten, spiegelblanken Marmorplatten belegt. Überall weißgescheuerte Tische, Kasten, Schreine und Truhen; alle Wände funkelten von kupfernen Pfannen und zinnernen Schüsseln; an den Fensterpfeilern hingen die aus Blech getriebenen Kuchenformen in Gestalt von Sternen, Herzen, Blumen und allerlei Getier. In der Mitte des Raumes stand der riesige Herd, dessen Inneres, nach den vielen Kupfertüren zu schließen, ein wahres Labyrinth von Feuerhöhlen und Bratröhren enthalten mußte; die Platte des Herdes war dicht bestellt mit dampfenden Pfannen und Kesseln, und über offenem Kohlenfeuer wurde an langem Spieß ein Seeferch gebraten, der wohl an die dreißig Pfund wiegen mochte.
Und welch ein emsiges Leben in diesem Dampf und Duft! Rings um den Herd und um die Zurichttische standen und gingen die Küchenbrüder, mit nackten Armen, mit blauen Schürzen über den Kutten, jeder betraut mit einem hochwichtigen Amt. Hier wurden Hechte, Forellen und Saiblinge gereinigt, dort walkte einer mit derben Fäusten an einer ellenlangen Teigstulle, hier wurden Zwiebeln geschnitten und Zitronenschalen gewürfelt, hier schlug einer mit langer Birkenrute einen ganzen See von Eiweiß zu schneeigem Schaum, dort wurde Mehl abgewogen und Gewürz sortiert, und zwischen den Brüdern tummelten sich die Laufbuben, Holz tragend, das Feuer schürend, die gebrauchten Kessel scheuernd und das zinnerne Geschirr spülend. Hohe Stöße von Tellern wurden durch einen Schalter hinausgeschoben, durch den man das weite Refektorium mit seinen blütenweiß gedeckten Tischen gewahrte. Und in diesem Klappern, Klirren, Zischen und Brodeln ein ununterbrochenes Rufen, Plaudern und Lachen. Und alle Gesichter rotbrennend vor Hitze.
Die Fäuste in die Hüften gestemmt, mit gebieterischer Ruhe, wie ein Feldherr, schritt Frater Friedrich, der Küchenmeister, auf und nieder, alles überblickend, alles überwachend. Breit lag ihm das Doppelkinn auf der Brust, die kleinen Augen versanken fast in den Fettpolstern der Backen, und bei seinem Umfang mochten fünfzehn Ellen Tuch nicht ausreichen für die Kutte. Ja, das Fasten! Das Fasten!
Als Haymo die Küche betrat, weckte sein Erscheinen einen lauten Aufruhr. „Der Jäger! Der Jäger!“ rief es auf allen Seiten, die Brüder kamen auf ihn zu, die Laufbuben ließen fallen, was sie in den Händen hatten, und rannten ihm entgegen. Mit glotzender Neugier umstanden sie ihn; der eine griff nach Haymos Weidmesser, der andere streichelte die Armbrust, der dritte griff in den Köcher und prüfte die Schärfe einer Bolzenspitze am Finger. Und so viele Fragen gab es auf einmal, daß der Jäger sie in einer Stunde nicht hätte beantworten können. Haymo wurde verlegen, ihm war zumut wie der Wildtaube im Hühnersteig. Da kam der Frater Küchenmeister – herbeigegangen? – nein, herbeigerollt wie eine Tonne. „So? Bist du da? Hast du deine Seel gestärkt? Brav, mein Sohn, brav! Das ist Christenpflicht. Jetzt aber komm und stärke deinen Leib!“
Er nahm den Jäger unter den Arm und führte ihn in eine kleine Stube, die neben der Küche lag und halb einer Mönchszelle, halb einer Speisekammer glich. Im Erker war säuberlich ein kleiner Tisch gedeckt, und neben dem Zinnteller stand eine Holzbitsche, bis zum Rande gefüllt mit schäumender ‚Güte Gottes‘.
Die beiden setzten sich, und ein Laufbube trug auf; Schüssel um Schüssel kam, und Haymo machte immer größere Augen. Er hatte noch nie im Leben so herrenmäßig – nein, das will zu wenig sagen – so klosterwürdig getafelt! Der Frater Küchenmeister schien den schmucken Jäger ins Herz geschlossen zu haben; er hatte die Arme breit über den Tisch gelegt und schaute dem Schmausenden mit zufriedenem Lächeln zu.
Da gab es zuerst eine Erbsensuppe mit gerösteten Schnitten, dann kamen Pastetchen, mit Forellenbacken gefüllt; es folgte ein gesottener Hecht, der sich, wie der Frater scherzte, aus Freude darüber, daß er gar so schön blau geraten, in den eigenen Schwanz biß; er trug zwei grüne Rosmarinzweiglein in den Nasenlöchern und hatte absonderliche Augen: aus gelber Zitronenschale geschnitten und in der Mitte ein Pfefferkorn; und rings um den Rand des Tellers lag ein Kranz von Zwiebelscheiben, darin der geputzte Fisch so prächtig anzusehen war, daß Haymo erst nach langem Zureden das Herz hatte, diese Pracht zu zerstören. Dann folgten gedünstete Froschschenkel in köstlicher Tunke mit gebackenen Krapfen. Und nun kam ein richtiger Braten. Ein Braten am Fasttag? Haymo blickte verlegen auf den Frater. „Darf ich denn das essen?“
Der Küchenmeister tätschelte die Hand des Jägers. „Iß nur, Bub! Glaubst du denn, ich möcht deine frischgescheuerte Seel mit einer Sünd beflecken? Iß nur! Das ist Fastenspeis, wie Fisch und Frosch!“
Zögernd