J’accuse. Brausewetter Max. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Brausewetter Max
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Meyer, wo blieb die Humanität, die dich also beseelte bei den Neuangekommenen?

      Und wer den bittersten Schaden hat, soll noch den Spott dazu in Kauf nehmen, das ist harte Bedingung. Den Namen „Humanitätsmeyer“ bist du nie losgeworden, und für uns wirst du ihn bis an dein seliges Ende tragen. Aber doch hast du es gutgemeint.

      Also das war der Anfang!

      Unsere tüchtigen Seeleute griffen nun ein. Wir erhielten vom Sergeanten Erlaubnis zur gründlichsten Reinigung des Todesraumes. Er versicherte uns mehrfach, wie peinlich ihm die Ausführung des Befehls, der von oben kam, geworden sei. Es wurde tüchtig gearbeitet, alles nach draußen getrieben, während drinnen die Ausräumung des Augiasstalles unternommen wurde. In Haufen wurde der Dreck in den Graben geworfen, der das Kastell umgab. Die Skorpione wurden an einzelne Liebhaber verschenkt; dann wurde gescheuert und gewaschen, bis es schien, daß der Raum bewohnbar sei. Aber unser bemächtigte sich eine tiefe Depression. Wenn das möglich war, wie werden wir Epidemien auf die Dauer fernhalten? Der Sergeant hat uns auch hier geholfen. Er nahm erst einige, dann andere aus dem furchtbaren Raum, erst uns Aerzte, dann die Priester, und später belegte er mehr und mehr den oberen Turmraum. Er hat mir noch einmal wiederholt, wie schwer es ihm geworden sei, dem Befehle zu gehorchen, da er uns höher einschätzte. Es ist das ungefähr das einzige Mal gewesen, daß wir solche Meinung von einem Franzosen gehört haben.

      Unsere Gefangenschaft in Château d’If nahte mehr und mehr ihrem Ende, und nur weniges ist noch von ihr zu berichten. – Ich wurde eines Tages zu den Kommissären gerufen. Man bedeutete mir, daß ein großer Korb mit Damenkleidern noch im Lager sei, und man vermeinte, es sei der meinige. Zu meinem Schrecken mußte ich das zugeben. Meine arme Frau wird schön in Verlegenheit gekommen sein! Da sie im letzten Augenblick noch einige Sachen aus dem Reisekorb für mich herausgegeben hatte, war dieser zum Schluß auf dem Ponton geblieben. Mein Entsetzen wurde indes falsch gedeutet, und da ich auf die Frage, wem die Kleider gehörten, antwortete, „meiner Frau und Tochter“, stellte man immer verfänglichere Fragen, ob meine Frau kleiner sei als ich usw. Ich war harmlos genug, immer noch nicht darauf zu verfallen, in welch fürchterlichem Verdacht ich stände, bis der Kommissär mich aufklärte, ob ich denn nicht begriffe, daß ich dadurch in den Verdacht käme, in Frauenkleidern spioniert zu haben. Nein, daran hatte ich nicht gedacht. – Ich weiß von vielen, die um Geringeres an die Wand gestellt wurden. Gut, daß die Kleider mir durchaus nicht paßten. So entging ich meinem Schicksal und trug meiner Frau Kleider auch weiterhin mit uns. Aus verschiedenen Gründen riskierte ich es nicht, sie nach Hause zu schicken.

      Das Baden im Meere war uns in letzter Zeit erlaubt, aber das Wetter, das sonst unser einziger guter Freund gewesen war, ließ uns nur einige Male zum vollen Genuß kommen. Immer lauter wurde gemurmelt, daß unsere Tage in Château d’If gezählt seien, und unsere Freude, daß die Freiheit winke, wurde zu ausgelassenem Jubel, als wir eines Tages herausgerufen wurden, der Kommissär uns antreten ließ und mitteilte, daß beide Regierungen einen Austausch der Zivilgefangenen beschlossen hätten, und daß die Sisterleute zuerst in Frage kämen. Dann stellte er an jeden einzeln die Frage, ob er zum Austausch bereit sei, die jeder einzeln, fast schreiend, mit „ja“ beantwortete. Dann waren wir entlassen. Wie die Kinder oder wie die Trunkenen gebärdeten wir uns in unserem Jubel. Ich stürmte herauf, Moritz, der sich krank fühlte und sich hingelegt hatte, die Nachricht zu bringen; aber Bonitz war mir schon zuvorgekommen, und Moritz war im Augenblick gesund. Wir vereinigten uns im Saale der Matrosen, da verteilten wir unsere Kasse, sammelten für die Hinterbliebenen, Rede und Gegenrede wurde gehalten, über all das, was wir gemeinsam und einzeln uns angeschafft, wurde verfügt, Abschied wurde genommen; denn schon drang durch den Kantinenwirt ein neues Gerücht zu uns, daß wir noch heute nacht abgeholt werden sollten, um an die Schweizer Grenze befördert zu werden. Aber die Nacht verging, die viele wachend zugebracht haben, und noch manche Nacht, bis endlich der Tag erschien, da das Gerücht deutlichere Fassung annahm, es geht wirklich fort. Die Kantinenwirtin besorgte sich schon keinen Vorrat mehr, und unsere Koffer standen auf höheren Befehl gepackt. Der Kommissär kam eines Tages, und da wir in unsere Becher die Tage unseres Aufenthaltes in Château d’If eingeschnitzt hatten, fragte er, welchen wir denn als Abschiedstag gesetzt hätten. Wir sahen ihn fragend an, und er erwiderte: „Schreiben Sie getrost den heutigen Tag!“ Nun brach der Jubel von neuem los. So schändlich würde der Mann nicht an uns handeln und unser in dieser Lage spotten! Wir hätten ihm nicht trauen sollen. – Mein Panamahut war am Tage vorher bei kolossalem Sturm von oben aus ins Meer getrieben, und da ich seinen Verlust am nächsten Tage beklagte, trat „mit fröhlichem Gesichte ein Fischer“ vor mich hin und gab ihn mir wieder. Ein Aberglauben hatte manchen von uns stutzig gemacht, und ich stehe nicht an, heute zu bekennen, daß ich als aufgeklärter Mann jedem, auch finsterstem und albernstem Aberglauben mehr traue als dem Wort eines Franzosen. Wir haben darin noch bessere Erfahrungen gemacht.

      Der Mann hat zweimal unser gespottet, hier und später in Frioul, und es mit herzlichstem Behagen getan.

      Das Schiff kam wirklich, uns fortzuführen, aber nicht in den Hafen von Marseille, sondern am Nachmittag des 20. September in unseren zweiten Kerker nach Frioul.

      Frioul I

      Und ob das Meer nach Unrat roch,

      Und ob sich unsre Fäuste ballten,

      Zwang man uns in das gleiche Joch

      Mit zweifelwürdigen Gestalten,

      Und regnet’s durch manch Mauerloch

      Auf Stroh und Decken, durch die Spalten,

      Da in Frioul hat man uns doch

      Für Menschen immerhin gehalten.

      Abends fahren wir in Frioul ein. Geduld! Es kann ja nur noch für wenige Tage sein. Die Kommissäre haben es uns versichert, daß die Austauschverhandlungen noch in vollem Gange seien, und daß es nur wenige Tage noch dauern würde, bis wir zu Hause wären. Und wir wappnen uns mit neuer Geduld und stärken uns mit neuer Hoffnung. Vielleicht werden wir auch nur nach Frioul geschafft, weil wir von da leichter transportiert werden können. Frioul ist Quarantänestation für Marseille. Sei dem wie es wolle, vorläufig landeten wir in einer Bucht der Insel, marschierten auf die andere Seite der Bucht und zogen nach dem Anschauen eines riesigen Kochtopfes mit Linsen, die wir hatten schleppen müssen, von denen wir aber nichts zu essen erhielten, knurrenden Magens in den großen Quarantäneschuppen, dessen Anblick uns erschauern machte. Dreckiger Steinfußboden, Holzwände, die überall schadhaft sind, so daß der Wind durch die Hallen pfeift. Unser Abendessen ist Brot, ein bißchen Wein geben die Soldaten, Stroh und Decken werden verteilt, wir suchen müde einen Platz, der nicht zu sehr von Schmutz strotzt und der auch nur einigermaßen geschützt ist. Aber wo den finden? Der Sergeant hat die Krätzekranken abgesondert, und die haben dadurch den einzigen Platz erhalten, wo pritschenartig einige Holzbetten sich über dem Fußboden erheben. Der Platz ist zu schön und einladend, und ich schlage Moritz und Bonitz vor, wir wollen uns zu den Krätzekranken legen. Ich mußte fast lachen, als ich, wie ich es ja bei dem sonderbaren Vorschlag erwarten konnte, ihre entrüsteten Gesichter sah; aber Not bricht Eisen, und als ich ihnen auseinandersetzte, daß wir hier wenigstens die Krätzemilben sehen oder ihren Aufenthaltsort kennen, die Bakterien am schmutzstarrenden Fußboden und die Ungeziefer aber nicht, daß diese geradeso todsicher da wären wie die Krätzemilben, da wirkten so schlagende Gründe, und sie ergaben sich, wie ich, in das rauhe Kriegsgeschick. Wir nahmen Platz neben den Krätzekranken und baten sie nur, einen Isolierraum zwischen uns zu lassen. So schliefen wir auf hartem Lager, eingewiegt von der einen großen Hoffnung: Morgen ist Sistertag, da wird man uns holen und uns die Freiheit wiedergeben. Nach Deutschland! Schon ist fast ein Monat vergangen, und ewig wird die Gefangenschaft ja nicht dauern. Ja, wenn das da nicht wäre, diese sichere Aussicht, die doch nicht täuschen kann – Gute Nacht, und morgen – !!

      Montag! – Es war ein jämmerliches Erwachen am nächsten Morgen. Wie ein Alp drückend legte sich das allmähliche neue Begreifen unserer elenden Lage auf die Brust. Nicht möglich, so kann es nicht fortgehen. Ein Ende muß geschaffen werden! Und wieder stand das Gespenst der Verzweiflung vor uns. Heulender Sturm draußen. Wir wollen heraus, müssen aber wieder zurück. Die „Sister“ kommt nicht, wir sehen nichts von ihr. Vielleicht, daß der Sturm sie zurückgehalten,